Gegen Journalisten, die der institutionellen Autorität dienen
Die Publikation der Dokumente von Edward Snowden machen Glenn Greenwald zum derzeit bekanntesten Journalisten der Welt. In seinem Buch «Die globale Überwachung» schildert er, wie es zur Publikation der Leaks gekommen ist, er kritisiert die Regierungsfreundlichkeit des etablierten Journalismus und antwortet jenen, die glauben, nichts zu verbergen zu haben.
«Unsere führenden Kritiker sind Journalisten, die es falsch finden, Geheimnisse der US-Regierung zu veröffentlichen, obwohl genau das die Aufgabe von Journalisten ist.»
Glenn Greenwald im April 2014
Am 9. Juni 2013 bekannte sich Edward Snowden verantwortlich für ein Leak, das die Öffentlichkeit über das Ausmass der weltweiten Überwachungs- und Spionagepraktiken von Geheimdiensten informiert. MEDIENWOCHE beschäftigt sich ein Jahr später mit der Beziehung zwischen Journalisten und Whistleblowern.
Wir leben in seltsamen Zeiten. Denn die wichtigsten Themen unserer Zeit lösen sowohl beim Publikum als auch bei den Journalisten selbst sofort Gähnreflexe aus: Die für viele neuen Gesetze verantwortlichen Mechanismen der europäischen Gesetzgebung, die gigantischen Bailouts für Banken und Staaten, die masslose Überschuldung der Staaten, die grenzen- und unterschiedslose Überwachung durch Geheimdienste. Wie sagt es Homer Simpson so schön: Gibt’s den Blödsinn immer noch?
Glenn Greenwald kennt das. Wenn Leute ihn fragen, was sie denn Überwachung bitteschön angehe, sie hätten doch gar nichts zu verbergen, dann bittet er sie jeweils um die Passwörter zu ihren E-Mail- und Facebook-Konten, er wolle darin nur etwas lesen und gegebenenfalls daraus etwas veröffentlichen. Noch nicht eine Person, die angeblich nichts zu verbergen hat, hat ihm bislang seine Passwörter zugesandt. Wer wirklich nichts zu verbergen hat, kann doch auch Kameras in Schlaf- und Badezimmer installieren und die Aufnahmen live im Internet veröffentlichen.
Sind die Schweizer Leser gut über Überwachung informiert? Nun ja, vieles von dem, was zu US-Themen und zu internationalen Themen in Schweizer Publikationen steht, haben Schweizer Journalisten und Korrespondenten (vor dem Verpacken in eigene Worte) in US-Leitmedien gelesen, zum Beispiel in der Washington Post. Glenn Greenwald sieht diese Zeitung so:
Ich respektiere Gellman*, nicht aber die Washington Post, die in meinen Augen der Inbegriff eines regierungsfreundlichen Presseorgans ist und die schlimmsten Attribute der politischen US-Medien in sich vereint: übermässige Regierungsnähe, Ehrfurcht vor dem Sicherheitsstaat, ständiges Totschweigen abweichender Meinungen.
Glenn Greenwald, «Die globale Überwachung», Seite 84
(*gemeint ist Journalist Barton Gellman).
Greenwald, dem seinerseits (von Julian Assange) vorgeworfen wird, seine Veröffentlichungen einer «Zensur» zu unterziehen, kritisiert das Verhalten der Zeitung gegenüber Regierungsgeheimnissen:
Ausserdem wusste ich, dass die Washington Post sich pflichtschuldig an die ungeschriebenen Regeln halten würde, wie die Medien des Establishments mit Regierungsgeheimnissen umzugehen haben. Gemäss diesen Regeln, die es der Regierung ermöglichen, Enthüllungen selbst zu steuern und ihre Auswirkungen zu minimieren oder gar zu neutralisieren, wendet sich die Redaktion zuerst an die Behörden und informiert sie darüber, was sie zu veröffentlichen gedenkt. Sicherheitsbeamte der Regierung erklären den Redakteuren dann lang und breit, wie die nationale Sicherheit durch diese Veröffentlichungen angeblich bedroht werden würde. Man verhandelt darüber, was veröffentlicht wird und was nicht. Im besten Fall ergibt sich dadurch zumindest eine erhebliche Verzögerung. Häufig werden dabei absolut berichtenswerte Informationen zurückgehalten. Das bewog die Post beispielsweise 2005, als sie über die Existenz von Geheimgefängnissen der CIA berichtete, die Namen der Länder, in denen es solche Gefängnisse gab, nicht preiszugeben; auf diese Weise trug sie sogar zum Fortbestehen dieser gesetzeswidrigen CIA-Folterstätten bei.
Glenn Greenwald, «Die globale Überwachung», Seite 85/86.
Auch Greenwald und der Guardian kamen der gesetzlichen Verpflichtung nach, die Behörden vorab über die Veröffentlichung zu informieren, werteten die dagegen vorgebrachten Einwände aber sehr schnell als irrelevant ab. Und veröffentlichten.
Während Wikileaks sich als Leaking-Plattform zur Verfügung stellte, selbst prüfte und (unter Beizug etablierter Medien) veröffentlichte, leakte Snowden nur und überliess die komplette Verantwortung, was veröffentlicht wird, den Journalisten. Dass er sich Greenwald ausgesucht hatte, ist kein Zufall:
Snowden erklärte mehrere Male, er habe mich und Laura von Anfang an bei den Veröfffentlichungen dabeihaben wollen, weil er wusste, dass wir offensiv berichten und uns von Drohungen seitens der Regierung nicht einschüchtern lassen würden. Häufig erwähnte er die New York Times und andere grosse Medien, die brisante Storys auf Verlangen der Regierung gestoppt hatten.
Glenn Greenwald, «Die globale Überwachung», Seite 83.
Was die Beurteilung des Überwachung-Skandals betrifft, müssen sich die etablierten Journalisten Fragen gefallen lassen. Waren nicht sie es, die US-Präsident und Friedensnobelpreisträger Barack Obama (zumindest im Wahlkampf 2008) zu einem Mann hochgeschrieben haben, dem eigentlich nur noch Jesus, Buddha oder Mohammed das Wasser reichen konnte? Wie gehen sie damit um, ihn jetzt kritisieren zu müssen? «Der Krieg der Regierung gegen Geheimnisenthüllungen und andere Massnahmen zur Nachrichtenkontrolle sind die aggressivsten seit der Amtszeit Nixons», schrieb Leonard Downie jr., ein Ex-Chefredaktor der Washington Post über die Regierung Obama, in einem Report für das internationale «Committee to Protect Journalists». Sechs beim Staat und zwei bei staatlichen Auftragnehmern Angestellte wurden von der Regierung Obama seit 2009 wegen an die Presse übermittelter vertraulicher Informationen unter dem Spionagegesetz von 1917 angeklagt. Unter allen Regierungen zuvor wurden deswegen lediglich drei Personen angeklagt.
Der «Zeit»-Podiumsdiskussion vergangenen Sonntag im Deutschen Theater in Berlin folgte ein langer, Glenn Greenwald geltender Beifall, die Rolle des Journalismus wurde leider nicht angesprochen. Greenwald sagte, sei sei eine Klischeevorstellung von Journalisten, wenn sie Snowden dazu auffordern, doch bitte seinen Mann zu stehen («to man-up») und sich in den USA zu stellen. Greenwald erinnert im Buch daran, dass das Bild, das die Öffentlichkeit von Snowden gewinnen konnte, nämlich das eines «eigenverantwortlich handelnden, sich klar äussernden Menschen, der seine Ansichten verteidigen und erklären kann, was er getan hat und warum», keineswegs selbstverständlich sei und durchaus auch «das eines Häftlings im orangefarbenen Overall und mit Fussfesseln» sein könnte. Die Präsentation von Whistleblowern als leicht irre und höchst narzisstische Wesen mit krimineller Energie sei Absicht der Regierung – ganz offensichtlich wird diese von den Medien in vielen Fällen unreflektiert weitergetragen.
Natürlich haben pflichtbewusste, treue Anhänger des Präsidenten und seiner Politik, brave Bürger also, die nichts tun, was die Aufmerksamkeit der Mächtigen auf sie lenkt, keinerlei Grund, sich vor dem Überwachungsstaat zu fürchten. Das gilt für jede Gesellschaft: Wer den Mächtigen keine Probleme bereitet, wird selten das Ziel von Unterdrückungsmassnahmen. So jemand kann leicht zu dem Schluss kommen, dass es gar keine Unterdrückung gibt. Aber die Freiheit einer Gesellschaft misst sich eben daran, wie sie mit Abweichlern und Randgruppen umgeht, nicht daran, wie sie ihre loyalen Mitglieder behandelt.
Glenn Greenwald, «Die globale Überwachung», Seite 278.
Im ersten Drittel erzählt «Die globale Überwachung» (im Original «No Place to Hide») auf packende Weise die Details der Veröffentlichung der Snowden-Leaks. Der mit vielen geleakten und veröffentlichen Grafiken der Geheimdienste NSA und GCHQ gespickte Mittelteil macht klar, weshalb die grenzenlose Überwachung ein Skandal ist – und ein echtes Problem, das uns auch in Zukunft noch ausgiebig beschäftigen wird.
Das letzte Kapitel, «Die vierte Gewalt», ist ganz dem Journalismus gewidmet. Greenwald klagt darin jene Journalisten an, die Edward Snowden ohne genauere Kenntnisse des Falls zu einem Spion Chinas oder Russlands (vgl. «Guter Whistleblower, böser Whistleblower») machen wollten, zu einer labilen Unperson, zu einem «geltungssüchtigen Narzissten». In Tat und Wahrheit lehnte Snowden die täglich mehrfach eingehenden Interviewanfragen der Medien ab. Weil er den Fokus nicht auf sich, sondern auf den Inhalt der Leaks lenken wollte.
Auch Greenwald selbst musste bemerken, von anderen Journalisten plötzlich nicht mehr «Journalist», sondern «Aktivist» oder «Polemiker» genannt zu werden und durfte Zeuge werden, wie sie öffentlich darüber debattierten, ob er eine Gefängnisstrafe verdiene oder nicht. Ihm drohe eine Strafverfolgung wegen Spionage, sagte er der Taz, wenn er als Informationsverteiler auftrete oder Dokumente an die Regierung eines anderen Staates weitergebe.
Früher galten echte Journalisten als die Aussenseiter schlechthin. Viele, die diesen Beruf ergriffen, wollten sich eher den Mächtigen widersetzen als ihnen dienen, und nicht nur auf theoretischer Ebene, sondern auch mit ihrer ganzen Person. Die Wahl des Journalistenberufs war praktisch eine Garantie dafür, das Dasein eines Aussenseiters zu führen: Reporter verdienten wenig, hatten kein hohes gesellschaftliches Ansehen und galten meist als zwielichtig.
Das ist heute ganz anders. Mit dem Aufkauf von Medienunternehmen durch die grössten Konzerne der Welt wurden die meisten Medienstars zu hochbezahlten Angestellten, die sich nicht von anderen Mitarbeitern gleichen Ranges unterscheiden. Sie offerieren der Öffentlichkeit Medienerzeugnisse im Namen ihres Unternehmens, als handelte es sich um Bankdienstleistungen oder Finanzprodukte. Ihre berufliche Laufbahn wird von den Parametern bestimmt, die nun einmal in einem solchen Umfeld zum Erfolg führen, also davon, inwiefern sie die Konzernchefs zufriedenstellen und den Interessen des Unternehmens dienen.
Wer innerhalb der Strukturen grosser Unternehmen Karriere macht, hat sich meist daran gewöhnt, im Sinne der institutionellen Macht zu handeln, statt sie zu untergraben. Daher eignen sich die Erfolgreichen des Unternehmensjournalismus gut als Zuarbeiter der Macht. Sie identifizieren sich mit der institutionellen Autorität und sind darauf trainiert, ihr zu dienen.
Glenn Greenwald, «Die globale Überwachung», Seite 330/331
Die New York Times, so schreibt Glenn Greenwald weiter, war 2004 bereit, auf Anweisung der Behörden die Aufdeckung des illegalen Abhörprogramms der NSA durch den damaligen Public Editor James Risen zu unterdrücken. Ähnliches sei 2006 bei der Los Angeles Times geschehen. Dessen damaliger Chefredaktor, Dean Baquet, ist seit dem 14. Mai der neue Chefredaktor der New York Times.
«Die globale Überwachung», Verlag Droemer/Knaur 2014, 365 Seiten, 31,90 Franken.
Philip Kübler 28. Mai 2014, 12:25
Gutes Gedankenfutter zum Journalismusberuf.
Greenwalds hoher Anspruch an den Berufsstand klingt hierzulande in der „Erklärung der Journalistinnen und Journalisten“ an. Zunächst nur Papier, aber immerhin. In den Richtlinien des Presserates findet sich dann allerdings auch ein Hinweis auf mögliche „Angriffe auf die innere oder äussere Sicherheit des Staates“, dies (nur) im Abschnitt zum Quellenschutz.
Welches Berufsbild gälte in der Schweiz also? Das wäre interessant zu vertiefen.
Dann noch ein kleines Argument der Verteidigung etablierter Journalisten: Es scheint mir nicht zwingend ein „Diener“ zu sein, wer – als Wachhund der Demokratie – auf das sofortige Bellen verzichtet, während ihm ein verdächtiger Vorgang vorgelegt wird. Neben dem Vollgas von Greenwald und dem Guardian darf es auch andere Tempi und Modi geben, nicht? Entscheidend sind Zweck und Motiv solcher Sorgfaltsausübung und Rücksicht – und da wären wir eben beim Journalistenkodex und seiner Beachtung seitens der Verlage und Medienschaffenden.
RM 02. Juni 2014, 08:31
Sehr richtig. Nicht jeder, der am schnellsten bellt oder am lautesten brüllt, ist schon ein hehrer Verteidiger der Wahrheit und ein seriöser Kämpfer gegen „die Mächtigen“ (ein diffuser Begriff!). Siehe das peinliche Meutengebell gegen den früheren deutschen Bundespräsident Christian Wulf.
Heer Grau Charlotte 09. Juni 2014, 18:31
At Philip Kübler – Kleine Gegenrede: Es geht auch Greenwald – so lese ich ihn – nicht um sofortiges Bellen. Er selbst hat lange, sehr lange gezögert, bis er auf die Anfrage von Snowden reagiert hat. Erst Laura Poitras hat ihn schliesslich dazu bewegt, sich der Sache anzunehmen. Aber dann hat er. Und dies unterscheidet ihn von den „Dienern“. Unterscheidet auch den Guardian von vielen anderen Medien. Es darf „andere Tempi und Modi“ geben, durchaus, wenn es um Glanz&Gloria & sonstige Peanuts geht. Sorgfalt und Zurückhaltung, wenn es um „Menschen, wie du und ich geht“, verletzliche Menschen ohne Lobby (Stichwort Carlos). Ansonsten aber sollten wir unsere Arbeit tun können, mit Rückendeckung von mutigen ChefredaktorInnen.
Wir Schweizer Medien haben aber praktisch durchs Band „andere Tempi und Modi“, bis einer zum Abschuss freigegeben wird. Dann erst wird zum Halali geblasen, tagelang, wochenlang wird dann scharf geschossen. So sehe ich das, so habe ich das jahrelang wahrgenommen.
Ihr einleitender Satz drum ist wunderbar und trifft den Kern. Ja, auf dem Papier haben wir es. Aber das „immerhin“ genügt nicht für eine Demokratie, welche wir immer noch zu haben meinen. Welches Berufsbild brauchen wir für die Schweiz? Welches journalistische Selbstverständis haben wir? Es ist mehr als Gedankenfutter. Diese Diskussion ist essenziell.