Meister der Debatte
Herzinfarkt mit 54 Jahren, der grosse deutsche Feuilletonist Frank Schirrmacher ist tot. Er war nicht nur ein Meister der Debattenführung, sondern auch ein Mann mit grossem Themengespür. Dass er sich zuletzt aktiv mit den Themen Internet und Überwachung auseinandersetzte, ist kein Zufall, sondern die konsequente Lebensführung eines stets neugierigen Menschen.
Ich war mit Frank Schirrmacher eher selten einverstanden. Er war mir zu links und zu konservativ, seine Bücher zu ängstlich und zu unsorgfältig und zum Internet hatte er eine völlig falsche Haltung, fand ich. Wiederum war ich fasziniert von ihm, diesem Menschen, der im deutschsprachigen Raum wohl am Meisten verstand vom Wesen der Debatte. So prophezeite er Filmproduzent Nico Hofmann mal bei einem Abendessen, welche Debatte sich nach der Ausstrahlung seines Films «Unsere Mütter, unsere Väter» in den deutschen Medien entspinnen wird. Hofmann erzählte dazu in einem Weltwoche-Interview:
«Der Film war ja ein riesiger Erfolg mit über zwanzig Millionen Zuschauern. Wochenlang war er nach der Ausstrahlung Thema in den Medien – inklusive einer Titelgeschichte im Spiegel. FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher hat das alles vorausgesehen. Er hat den Film vor der Ausstrahlung gesehen und mir bei einem Abendessen die gesamte Debatte mehr oder weniger vorausgesagt. Ich habe ihm nicht glauben wollen, aber in vielen Punkten hat er recht erhalten.»
Wie alle grossen Journalisten war Schirrmacher ein Mensch, an dem man sich wunderbar reiben konnte und der einen immer wieder überraschte mit neuen Ideen, Texten, Themen. Ein wacher Geist, keiner dieser verschnarchten Langweiler, die vor sich hindämmernd Spalten abfüllen und auf den Feierabend warten.
Schirrmacher, der 1985 zur FAZ stiess und 1994 mit erst 34 Jahren zum Mitherausgeber der Zeitung berufen wurde, führte im FAZ-Feuilleton echte Debatten, bei denen alle relevanten Positionen zu Wort kamen. Das ist unbestritten, auch wenn ich ihn öfters verdächtigte, Debatten so zu führen, dass sich am Ende beim Leser seine eigene Meinung festsetzen musste. Er hatte das Talent, Leute dazu zu bringen, für ihn Texte zu verfassen, in denen am Ende exakt das stand, was er von ihnen in seiner Zeitung lesen wollte. Internetmensch Sascha Lobo rief im FAS-Feuilleton «Das Internet ist kaputt» und vom unerschrockenen Kapitalisten Mathias Döpfner erschallte im FAZ-Feuilleton ein ängstlicher Hilferuf nach Regulierungen. Frank Schirrmacher war ein genialer Strippenzieher und wäre wohl auch ein hervorragender Politiker oder Öffentlichkeitsarbeiter geworden (aber natürlich nur für die wirklich grossen Themen).
Von Schirrmacher wird unter anderem in Erinnerung bleiben, das Feuilleton der deutschsprachigen Zeitungen an die Netzthemen-Debatte angeschlossen zu haben und sich als einer der wenigen Top-Journalisten schon früh entschieden gegen die Überwachung gestellt zu haben. Eben weil er Debatten führen liess zu neufeuilletonistischen Themenkomplexen wie Internet, Überwachung und Suchmaschinen, brachte er Themen in Gang, um die sich die Kollegen Journalisten erst nach und nach zu kümmern beginnen. Anders als so viele seiner Printkollegen hat Frank Schirrmacher erkannt, welche grundlegende Umwälzung das Internet für alle Kommunikation bedeutet und welche Gefahr die Überwachung für die Freiheit und die Demokratie. Anders als so viele seiner Printkollegen machte er das absolut Naheliegende: Er nahm das Internet ernst, beschäftigte sich damit, und setzte diese neuen Themen wieder und wieder in die Zeitung. Er war auch mit 54 noch ausreichend neugierig, wollte dazulernen, sich ändern. «Er lernte in aller Öffentlichkeit», schrieb Wolfgang Blau in seinem kurzen Nachruf.
Ein Konservativer also, der sich redlich bemüht hat, die neue Zeit zu verstehen und so eben, viel früher als andere, auch einiges verstanden hat. Jene Positionen, die das FAZ-Feuilleton aktiv vertrat, standen allerdings unter dem Verdacht, den Zielen von Schirrmacher oder der FAZ zu dienen, vor allem der Kampf gegen Google wurde oft mit intellektuell verpackten, aber boulevardesken Methoden geführt. Den vielen dem Neuen reserviert bis offen ablehnend bleibenden Texte standen verhältnismässig wenige Texte gegenüber, welche das Neue auch einfach mal gut fanden. Errungenschaften des Internets wurden selten gewürdigt, meist wurde nur gewarnt. Verstörend war auch, wie das FAZ-Feuilleton oft die Rolle des Staats ausblendete und sich ganz der Kritik an den (US-amerikanischen) Grossunternehmen verschrieb. Die Positionen von Schirrmacher blieben oft eintönig und statisch. Der Perlentaucher schrieb mal völlig erschöpft:
«Im Leitartikel der FAZ ruft Frank Schirrmacher wie jeden Samstag dazu auf, die digitale Revolution nicht allein der Mathematik und den Internet-Konzernen aus dem Silicon Valley zu überlassen, sondern politisch und gesellschaftlich zu verhandeln.»
Der «Zeit» sagte er 2012:
«Wir müssen erkennen, dass der sogenannte Empfänger ein Medium geworden ist, das selbst senden kann. Ein Blog kann genauso wichtig sein wie ein Leitartikel in der FAZ oder ein Spiegel-Artikel. Wir alle begreifen erst allmählich die Wirkung dieser Technologie auf unsere Gesellschaft.»
Danke dafür, Frank Schirrmacher, dass Sie das Internet ernst genommen haben. Ihre Kollegen mögen von Ihnen lernen.