Ich habe einen Schoggi-Job
Ich bin freie Journalistin und glücklich dabei. Am «Tag der Freien» der Mediengewerkschaft Syndicom hatte damit ich die Rolle der Ausnahme zu spielen: Eine Freie, die überlebt, ohne zu den Edelfedern zu gehören. Meine Überlebensstrategie sind Fachmedien und die Spezialisierung auf komplexe Themen, die viele Leute angehen.
Darf man in einer Zeit, in der sich die Honorar-Budgets von nicht-existenzsichernd immer mehr in Richtung nicht-existierend bewegen, vor freie JournalistInnen hinstellen und sagen: Ich habe einen Schoggi-Job? Ein wenig mulmig war mir schon. Doch ich war am Tag der Freien in Zürich eingeladen um von meiner persönlichen Überlebensstrategie zu erzählen. Und mir geht’s als Freie gut. Sehr gut sogar! Ich werde zwar nicht reich, habe aber immer genug zum Leben. Und ich mache genau das, was ich schon immer machen wollte: Ich frage Leute Löcher in den Bauch, recherchiere viel und jongliere mit Zahlen. Im Unterschied zu vielen meiner KollegInnen habe ich das Glück, meine Arbeit an Fachmedien verkaufen zu können. Und ich bewege mich in einer Nische. Einer ziemlich grossen allerdings, denn Landwirtschaft ist ein Thema, das mehr als nur Kühe und Käse umfasst, es reicht vom Stall bis zum Teller und vom Markt bis zur Politik.
Nischen haben es an sich, dass sie anders ticken als der Mainstream. Obwohl die Bauern immer weniger werden, blieb z.B. die Anzahl der landwirtschaftlicher Fachmedien in den letzten zehn, zwanzig Jahren konstant. Gleichzeitig müssen die Redaktionen immer komplexere Themen bearbeiten. Da sind einige froh, wenn sich ein Journalist oder eine Journalistin darauf spezialisiert hat, komplexe Zusammenhänge in einfache Worte zu fassen (oder es zumindest versucht). Genau das ist meine Chance.
Die meisten landwirtschaftlichen Fachmedien zahlen zwar auch nicht gerade Literaturpreisträger-Honorare, aber sie bewegen sich noch in einem Rahmen, der eine halbwegs vernünftige Recherche erlaubt. Wer ein paar Jahre dranbleibt, hat bald einen ordentlichen Fundus an Recherchematerial zusammen. Damit kann man dann andere Zeitungen und Zeitschriften bedienen, die so schlecht zahlen, dass man von ihnen allein nicht leben kann. Deshalb stimmt es tatsächlich: Ich komme allein mit sauberem journalistischem Handwerk und der Beherrschung der Grundrechenarten (plus, minus, mal, geteilt und Prozent) durch. Ein wenig hilft mir vermutlich noch, dass ich gerne an heiklen Fragen dranbleibe, wie eine Bulldogge am Hosenboden des Postboten.
Das mach ich genauso gern wie mich in die Nesseln setzen, Fettnäpfchen aufstellen und mit spitzer Feder schräge Zahlen präsentieren. Die kritische Schreibe hat mir – entgegen den Befürchtungen mancher TagungsteilnehmerInnen – in meiner Nische nie geschadet, sondern im Gegenteil eher genützt. Fachmedien mögen Zündstoff, solange die Aussagen fundiert sind. Meine hartnäckige Recherche verhalf mir letzten November sogar zu Gratis-PR, als mich ein genervter Mediensprecher vom Bundesamt für Landwirtschaft, BLW, kaltstellen wollte. Damals wurden Medien auf mich aufmerksam, die meinen Namen bis anhin noch nie gehört hatten. Das hat mich zwar ein paar Nerven gekostet, war aber insgesamt weniger aufwändig als ein Personenmarketing über Facebook, Twitter, Blog und Co. wie Constantin Seibt das am Tag der Freien empfahl. Vermutlich war die Aktion aber einmalig – die Verwaltung ist durchaus lernfähig.
Ich habe einen Schoggi-Job und seit ich auch noch im Mandat (mit einem rein erfolgsbasierten Honorar) die Chefredaktion des Magazins «Freude am Garten», die ich dieses Jahr übernommen habe, kann ich beim Schreiben sogar noch meine nette Seite ausleben. Trotzdem ist klar: Wenn von einem Berufsstand nur noch diejenigen halbwegs überleben, die eine Nische gefunden haben, dann stimmt etwas nicht. Das System des Journalismus ist krank, Heilung ist keine in Sicht. Die Podiumsdiskussion am Ende der Tagung mit David Sieber (Südostschweiz), Matthias Daum (Leiter Schweiz-Redaktion «Die Zeit»), Daniel Rihs (Freier Fotograf), Angela Barandun und Constantin Seibt (Tages-Anzeiger) unter der Leitung der festen freien Radiojournalistin Kaa Linder (SRF2 Kultur) lässt sogar noch eine Verschlimmerung befürchten.
Adrian Meier 16. September 2014, 15:27
Ich gebe Eveline grundsätzlich recht. Nischenqualifikationen sind, insbesondere im IT-Journalismus gefragt. Der heutige Nachwuchs hingegen wird nur noch auf möglichst vielseitige „Einsatzmöglichkeiten trainiert: Schnell, unreflektiert,
Layouter Social-Media-Researcher und Redaktor; allwissend, polyvalent, smart und empatisch (für gute Interviews).
Wer dies nicht bieten kann. ist weg. Mit einer solchen Erwartungshaltung seitens der Verlage, werden Tür und Tor geöffnet für einen Gefälligkeitsjournalismus à la „20 Minuten“. Last exit to Brooklyn. Wollen wir das wirklich?