Es braucht wieder Fakten
Wünscht Christoph Blocher dem Bundesrat «ais ad Schnure», diesen «Siechen», wie das Francesco Benini in der NZZ am Sonntag und Alex Capus in der Aargauer Zeitung schreiben? Eine Untersuchung des Falls zeigt, woran die Beziehung zwischen Journalisten und Blocher krankt: An Unschärfe, verbunden mit der Lust an der Empörung.
«Dene Sieche da obe ghört emol eini ad Schnure.»
(unbekannt)
Auf Einladung der SVP Chur redete Christoph Blocher am 16. Oktober 2014 im Churer Hotel Drei Könige. Francesco Benini von der NZZ am Sonntag war dabei und beobachtete unter anderem diese Szene:
Nach seinem Vortrag steht in Chur ein älterer Besucher auf und sagt, wenn man wirklich etwas unternehmen wolle gegen die Zuwanderung in die Schweiz, müsse man der Ecopop-Initiative zustimmen. Blocher erwidert, das sei nicht seine Position, er empfehle ein Nein. Gleichzeitig äussert er Verständnis für die Haltung des Mannes: Die Mitglieder des Bundesrats, welche die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative verschleppten, hätten «ais a d Schnure» verdient, diese «Sieche».
In der Aargauer Zeitung diesen Montag hörte sich das bereits dramatischer an. Alex Capus widmete dem Vorfall ganze zwei Absätze, hier ein Ausschnitt:
An einer öffentlichen Veranstaltung zur Ecopop-Initiative verkündet ein demokratisch gewählter und abgewählter alt Bundesrat fäusteschüttelnd, die heute amtierenden Bundesräte verdienten «ais a d Schnure», diese «Sieche». Das ist kein Schulbub und auch kein besoffener Fuhrknecht, der so spricht, sondern ein altgedienter Nationalrat und Minister, einflussreicher Unternehmer und Oberst der Schweizer Armee. (…) Da kann einer öffentlich unserer demokratisch gewählten Landesregierung Prügel androhen – und niemand regt sich auf. Die eine oder andere Zeitung mokiert sich zwar über die hemdsärmelige Art des selbst ernannten Volkstribuns – aber wirklich aufregen tut sich niemand. Kaum jemand sieht eine Gefahr darin, wenn eine autoritäre Führerfigur Demokraten mit Gewalt droht.
Auf Anfrage streitet Christoph Blocher ab, dem Bundesrat so etwas gewünscht zu haben. Es sei zwar richtig, dass er diese Worte verwendet habe, aber klar deklariert als Zitat. Zitiert habe er Wortmeldungen von «rechtschaffenen, soliden Gewerblern», die sich bei einem früheren Anlass zur Abzockeriniative zu Wort gemeldet hatten: «Herr Blocher, sie möget rächt ha, aber jetzt isch gnueg Heu dune. Dene Sieche da obe ghört emol eini ad Schnure», hätten diese gesagt. So erklärte er es auch in der «Tele-Blocher»-Ausgabe vom 24. Oktober:
Zurück also zu Francesco Benini, der unsere Bitte um Klarstellung wie folgt beantwortet: «Ich halte an meiner Darstellung fest, eine Korrektur ist nicht geplant, Herr Blocher ist mit keinem Begehren an die NZZ am Sonntag gelangt. Blocher sagte am Vortrag in Chur, er habe Verständnis für die Haltung, dass die ‹Siechen› im Bundesrat ‹ais ad Schnure› verdient hätten. Und zwar dafür, dass sie bei der Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative nicht schnell genug ans Werk gingen. Was er nun sagt – er zitiere jemanden, mit dem er im Abstimmungskampf über die Abzocker-Initiative geredet habe – daran habe ich keine Erinnerung, und ich finde in meinen Notizen nichts dazu.»
«Blocher-Medien»
– und wer gehört dazu? Retten sie den Journalismus oder schaffen sie ihn ab, geht es um Information oder Propaganda? Die MEDIENWOCHE beleuchtet in einer Serie Persönlichkeiten und Medien, die in einer Beziehung mit dem Politiker und Unternehmer Christoph Blocher stehen.
Als ich Dennis Bühler von der «Südostschweiz» und Nadja Maurer vom «Bündner Tagblatt» kontaktiere, die dem Vortrag ebenfalls als Berichterstatter beigewohnt haben, haben sie beide bereits mit Francesco Benini telefoniert; sie bestätigen mehrheitlich dessen Sichtweise. Blocher habe etwa 85 bis 90 Minuten geredet, erzählt Bühler. Im Anschluss an den Vortrag habe sich ein älterer Herr aus den hinteren Reihen zu Wort gemeldet und verkündet, dass er, anders als von Blocher empfohlen, die Ecopop-Initiative annehmen werde. Daraufhin dann habe Blocher zuerst die Formulierung gewählt, so erinnert sich auch Maurer, vielleicht sei es ja dann nur recht, wenn der Bundesrat mal «ais ad Schnure» kriege. Dass Blocher seine Aussage als Zitat verwendet hat, daran können sich beide nicht erinnern.
Wir fragen auch bei der Aargauer Zeitung nach. Hans Fahrländer, der die täglich erscheinende Meinungsseite verantwortet, meldet sich zu Wort und gibt zu bedenken, dass es für die Redaktion unmöglich sei, «alle Aussagen, die in einer persönlichen Kolumne stehen, auf allfällige Fehlzitierungen hin abzuklopfen»: «Nach Angaben unseres stellvertretenden Chefredaktors Gieri Cavelty hat sich Christoph Blocher über eine unpräzise Zitierung beschwert. Sollte es sich weisen, dass seine Beschwerde berechtigt ist, dass die Aussage durch Herrn Capus tatsächlich falsch oder irreführend oder aus dem Zusammenhang gerissen dargestellt wurde, erhält Herr Blocher selbstverständlich eine Plattform, um die Sache präzis ins richtige Licht zu rücken.»
Blocher sagt aus, exakt zu wissen, wie es sich zugetragen hat, Benini hält an seiner Darstellung fest, es steht Aussage gegen Aussage. Und die anderen beiden Journalisten im Saal können sich – was jetzt nicht unverständlich ist, wenn man nicht darauf achtet – nicht genau erinnern. Die an exakten Fakten interessierte Öffentlichkeit bleibt somit ratlos, während sich die Medien und Blocher gegenseitig hochschaukeln. Denn Bild- oder Tonaufnahmen des Vorfalls wurden offenbar keine gemacht, und die scheint es trotz der Anwesenheit dreier Journalisten zu brauchen, um zweifelsfrei die Wahrheit zu erfahren. Was die eine Seite als Propaganda einstuft, ist der anderen Seite Wahrheitsverdrehung. Es bleibt die Empörung und ihre Bewirtschaftung.
Nachtrag vom 10. November 2014: Die Aargauer Zeitung veröffentlicht eine Replik von Christoph Blocher: «Ein Vortrag und seine Kritiker – Blochers Antwort auf Capus‘ Kolumne».
Übersicht der Serie zu den «Blocher-Medien»:
1. Teil: Schlachtplan Zufall
2. Teil: Unter dem Guru von Herrliberg
3. Teil: Der Provokateur
4. Teil: Es braucht wieder Fakten
5. Teil: Politiker der Redaktion
6. Teil: Für Partei und Vaterland
7. Teil: Sicherheit in Statistiken
8. Teil: Sie sind klein und sie sind überall
Annabelle Huber 05. November 2014, 14:08
Capus celebriert seit Jahren seine Nähe zur Arbeiterschaft . Und nun ruft er zur Empörung auf, weil sich Blocher des Vokabulars der Arbeiterschaft bedient haben soll.
Wohl weil solches proletarisches Sprechen und Hören sensiblen Wanderern zwischen den Kasten vorbehalten bleiben muss, Leuten wie Capus.
-Ruft zur Empörung auf gegen Blocher, wie neu, wie originell ! Warum ist eigentlich noch kein Journalist vor ihm auf diese Idee gekommen ?-
Und Capus hatte auch den einmaligen Mut aufgebracht, sich in einer grossen Deutschen Zeitung darüber zu empören, dass Immigrations-Verlierer unter den Schweizer Bürgern für die MEI gestimmt haben.
Die Capus sche Empörung ist empörend im Capus schen Sinne.
Samuel B. 06. November 2014, 07:59
Schönes Beispiel dafür, wie Empörungsbewirtschaftung beiden Seiten in die Hände spielt. Und Spalten füllt. Aber letztlich das Land nicht weiter bringt.
Ueli Custer 11. November 2014, 07:59
Ich bin alles andere als ein Blocherfreund, aber pardon, wenn Herr Blocher die Aussage wirklich so gemacht hätte wie es Alex Capus geschrieben hat, dann hätten sich die Journalisten im Saal mit Sicherheit daran erinnert. Denn das wäre so ungeheuerlich, dass man das als aufmerksamer Journalist nicht so schnell vergisst. Ich vermute eher, dass sich die anwesenden Journalisten auf das Vergessen herausreden wollen, weil es eben doch nicht ganz so war, wie es von Capus geschildert wird, der offenbar alles nur vom Hörensagen kennt. Und wie heisst es so schön: Vom Hörensagen lernt man Lügen.
Ernst Jacob 17. November 2014, 00:17
Ich wundere mich eigentlich immer wieder daüber, jeder Furz, den Blocher rauslässt, scheint für Journalisten gut genug zu sein, um darüber eine reisserische Story zu schreiben. Es kommt mir manchmal fast schon so vor, als würde Jeder eigentlich nur darauf hoffen, auch endlich einmal persönlich in Kontakt mit Blocher zu kommen. Und wie mehr, oder zumindest dümmer, man über ihn schreibt, desto grösser scheint wohl die vermeintliche Chance, dadurch in den Genuss zu kommen, seinen Freunden plagieren zu können, man kenne ihn jetzt auch persönlich.
Schleimer sind sie, ganz einfach Schleimer, und wie halt Schleimer sind, die Meisten bleiben es auch, ein Leben lang. Man glaubt wohl , zu einer Art Super-Clan zu gehören, als Hüter der Demokratie, des Systems. Und übersieht dabei gern, doch auch nur eine kleine Figur, im grossen, Ganzen, zu sein, nicht bedeutender als Andere, die ja auch nur versuchen, sich grösser zu machen als sie es in Wirklichkeit sind.
Es bräuchte wieder Fakten, unbestritten, aber woher denn soll man sie nehmen? Und welche Art von Berichtestattung soll es denn sein? Früher einmal bestimmten Verleger wie Vater Wanner, welche Politik, zum Beispiel, das Badener Tagblatt, zu vertreten hatte. Heute aber doch diktiert der ‚Mainstream‘, was Sache ist, auch wenn man dabei in Kauf nimmt, doch damit nur das zu wiederholen, was andernorts bereits bis zum Abwinken geschrieben, oder gesagt, wurde.
Zudem, Fakten zu sammeln ist langweilig, und benötigt Zeit, und so Geld. Da ist es doch einfacher, darüber zu berichten, welche grad mit welchem, und wie genau, dazu noch ein passendes Bild. Oder dann, zur Abwechslung, die immer wiederkehrende Wiederholung, dass Blocher einfach gar keinen Stil habe, sich nur pöbelhaft ausdrücken könne, und und so doch nicht mehr als ein dummer Prolet ist, der es eigentlich gar nicht verdiene, gesellschaftlich – oder gar politisch, eine Rolle zu spielen.
Ich nehme an, dass bei den Meisten, die Blocher vertrampen, der Neid an vorderster Stelle steht. Es ist ein artypisch deutschschweizerisches Phänomen, der Neid. Neid ist wahrscheinlich auch Ursache und Grund dafür, dass wir es soweit gebracht haben. Und sobald wir keinen gemeinsamen Feind mehr haben, werden wir selbst wieder zu Feinden, gegen alle, die was von uns wollen, und so letztlich gegen uns selbst.
Wir haben die Wahl. Die Wahl zwischen Denen, die uns seit Jahrzehnten erzählen, wie gut es uns doch gehe, und wie schlecht es werde, wenn wir den Zug etwas abbremsen würden, und den Anderen, die uns davor warnen, einfach alles Nationale und Traditionelle wegzuwerfen, weil wir sonst letztlich gar nichts mehr hätten.
Somit bleibt mir doch eigentlich gar keine Wahl, ich kann ja nur zwischen dem wählen, was ich kenne, und dem, was ich sehe. Aber wenn ich mich umschaue, erkenne ich doch, dass, zumindest ausserhalb der Schweiz, so ziemlich nichts existiert, was wirklich funktioniert, und zudem die, zu Denen so viele gehen möchten, uns ja eigentlich gar nicht wollen, und unser direkt-demokratisches System.
Da mag Blocher sein, wie/was er will. Ist mir immer noch lieber als Solche, die von einem Europa träumen, das, logischerweise unter deutscher Führung (sie sind ja die Einzigen, die noch Geld haben), bereits wieder davon träumt, eine dominante Rolle in der Welt zu spielen. Hatten wir doch alles schon mal, mehrmals, und hat noch nie funktioniert. Nicht einmal, als es noch gar keine Roten und Grünen gab, die davon träumten, die Welt mit Blumen bekehren zu können, wenn nötig, mit etwas Nachdruck und, vor Allem, mit möglichst viel Staat.
Meine Meinung, Gut, dass es ihn gibt.
Ugugu 17. November 2014, 11:59
Zu Gast bei Schawinski wurde Blocher mit dem gleichen Zitat konfrontiert. Erst jetzt bei Capus enerviert er sich über das angeblich falsche Zitat. How come?
Ronnie Grob 17. November 2014, 12:26
Von welcher Sendung, von welchem Ausschnitt redest Du? In dieser Sendung kommt das Zitat in meiner Erinnerung nicht zur Sprache. Falls doch, wo genau?
Ugugu 19. November 2014, 13:20
@ronniegrob musste die sendung jetzt selbst nochmals von a-z durchhören, nur das zitat indem er professoren als „professörchen“ verhöhnt kommt vor. ausserdem unterstellt er claude longchamp quasi gefakte umfragen zu veröffentlichen. item: falls es nur ein zitat gewesen ist, was ich bis auf den gegenbeweis nicht glaube, muss man blocher trotzdem vorwerfen gewaltphantasien anderer unnötigerweise zu portieren. frau nideröst lässt grüssen.