Die MEDIENWOCHE ist ein digitales Magazin für Medien, Journalismus, Kommunikation & Marketing. Die Redaktion beobachtet und begleitet publizistisch die Entwicklung der Branche in der Schweiz, verfolgt aber auch internationale Trends. Neben den redaktionellen Eigenleistungen bietet die MEDIENWOCHE mit dem «Medienmonitor» (zweimal wöchentlich) und der wochentäglichen Rubrik «Auf dem Radar» Lektüreempfehlungen aus nationalen und internationalen Medien.
Satire ist mehr als nur lustig: Forscher haben herausgefunden, dass Satire-Sendungen eingängiger informieren als traditionelle Nachrichten. Ihre Studien sind ein Plädoyer für mehr Satire im deutschen Fernsehen.
Das deutsche Satiremagazin «Titanic» veröffentlichte im letzten Herbst eine Tweet, wo der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz mit einem Fadenkreuz auf der Brust abgebildet war. Dazu der Text: «Zeitreise in Österreich – Endlich möglich: Baby-Hitler töten!» Das ist keine öffentliche Aufforderung zu Straftaten, befand nun ein Gericht in Berlin. Ob es sich um eine Beleidigung handelt, klärten die Gerichte nicht, weil Kurz keinen entsprechenden Strafantrag gestellt hatte.
Es gibt ihn noch, den guten alten Nebelspalter! Das traditionsreiche Satireblatt fiel in den letzten Jahren immer wieder mit originellen Mediensatiren auf. So auch diesmal zum Tag der Pressefreiheit. Chefredaktor Marco Ratschiller blickt in die Glaskugel und sieht, wo sich die Schweizer Medien bis 2020 hinbewegen: Markus Somm wird Tamedia-Hyperchefredaktor, Watson verzichtet auf Buchstaben und SDA/Keystone wird Parkplatzvermieter, um nur einige Schlagzeilen dieser «vorgezogenen Presseschau» zu nennen. Am Ende bleibt eine pressefreie Schweiz.
Vom Studio auf die Bühne: Das bekannte Westschweizer Komiker-Duo Vincent Veillon und Vincent Kucholl, geht nach dem Ende ihrer wöchentlichen TV-Show «26 Minutes» auf Bühnentournee. Sie wollen über Geld sprechen im Programm «Le Fric». Im Gespräch mit Sascha Buchbinder für die «Zeit» liefern Vincent & Vincent einen Vorgeschmack und reden über ihr Verhältnis als Künstler zum Geld, wie sie etwa bei Festivals zur Bedingung machen, dass ihre Vorstellungen bezahlbar sind. «Wir wollen möglichst viele Zuschauer, nicht möglichst viel Geld», sagt dazu Vincent Veillon.
Der Coup war gelungen. «Titanic» führte die «Bild»-Zeitung vor. Die Empörung war gross. Und dem Satiremagazin Applaus gewiss. Autor Moritz Hütgen, der die «Bild» aufs Glatteis führte mit der erfundenen Geschichte, wonach der Juso-Vorsitzende mit russischen Trollen konspiriere, tritt nach vollbrachter Tat beim russischen Staatssender RT auf. Verwirrung. Ist das auch Teil der satirischen Inszenierung oder schlicht eine Grenzüberschreitung? Das Medienmagazin Meedia dokumentiert die kritischen Reaktionen auf Hütgens Auftritt. Die «Bild»-Zeitung wiederum hat den Steilpass dankend angenommen und die «Titanic» der Kumpanei mit einem Regime gescholten, «zu dessen Agenda die Zersetzung freier Medien gehört».
Mitte Februar berichtete die «Bild»-Zeitung prominent darüber, dass der deutsche Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert mit einem russischen Internet-Agitator in Kontakt gestanden habe. Es soll darum gegangen sein, wie der Russe Kühnerts Kampagne gegen die neue grosse Koalition unterstützen könnte. Als vermeintliche Belege für die Korrespondenz zeigte «Bild» einige E-Mail-Ausschnitte. Für Fachleute war schnell klar: es handelt sich um Fälschungen. Jetzt meldet sich das Satire-Magazin «Titanic» zu Wort. Alles Fake, sie habe der «Bild» die gefälschten Mails untergejubelt: «Eine anonyme Mail, zwei, drei Anrufe – und ‹Bild› druckt alles, was ihnen in die Agenda passt.» Nur: Ob diese Version stimmt, oder ob die «Titanic» nicht einfach einen Fake auf den Fake draufgesetzt hat, wissen nur die Satiriker selbst.
Satire ist nicht genug, «Der Postillon» kann auch Fakten checken. Die Meldung, dass in Schweden ein neues Gesetz auf den Weg gebracht wurde, wonach zukünftig jede sexuelle Handlung, die nicht im gegenseitigen Einverständnis geschieht, strafbar wird, trieb in vielen Medien seltsame Blüten. Der «Blick» titelte etwa: «Handschlag vor jedem Höhepunkt», «Die Welt» sah gar einen rechtlichen und moralischen Rigorismus dräuen, der in bürokratischen «Koitalformularen» zu münden drohe. Das konnte und wollte «Der Postillon» so nicht stehen lassen und wies via Twitter auf die unzulässige Interpretation der neuen Gesetzgebung in Schweden hin; mit bescheidenem Erfolg. Einzelne Redaktionen korrigierten die Fehler andere liessen aber die Faktenverdrehung bis heute stehen. Das Portal Postillleaks bilanziert darum: «So bleibt vor allem die Ernüchterung, dass die Spassvögel des Postillon offenbar ein weitaus grösseres Interesse daran haben, Sachverhalte korrekt darzustellen.»