von Redaktion

Wieviel Verantwortung erträgt der Journalismus?

Für einen Journalismus mit Augenmass und Sachverstand: der frühere NZZ-Chefredaktor Markus Spillmann mit ein paar grundlegenden Gedanken zu einem Beruf am Scheideweg zwischen globalisierter Geschwätzigkeit und einer Renaissance der Relevanz; sein Gastreferat anlässlich der Verleihung des Zürcher Journalistenpreises 2015.

Das Publikum ist von unersättlicher Neugierde erfüllt, alles zu wissen, ausser dem, was wissenswert ist. Der Journalismus, der dies weiss, erfüllt in richtiger Geschäftskenntnis dieses Verlangen. In früheren Jahrhunderten nagelte man die Ohren von Journalisten an Pumpen. Das war sehr hässlich. In unserem Jahrhundert haben die Journalisten ihre eigenen Ohren an die Schlüssellöcher genagelt. Das ist weit ärgerlicher.

Wie könnte es anders sein, es ist Oscar Wilde, der dies sagt. Und es liegt weit über 100 Jahre zurück. Seinen Worten entnehmen wir, dass unser Berufsstand offenkundig schon damals nicht den besten Ruf genossen hat. Viel hat sich daran bis heute nicht geändert – im Gegenteil. Das ist mit einer gewissen Gelassenheit zu ertragen, denn wer geliebt werden will, der sollte um den Journalismus einen grossen Bogen machen.

Weniger gleichgültig lassen sollte uns aber die vielstimmige, oft auch schrille Kritik an uns Journalisten; wir alle wissen nur zu gut, dass in unserem Geschäft einiges schief gehen kann – und leider auch einiges schief geht. Wollen wir also nicht geliebt, aber respektiert werden, dann sollten wir als Berufsstand die Verantwortung für das, was und vor allem wie wir es tun, ernst nehmen.

Umso wichtiger sind Anlässe wie der heutige, weil sie den Beweis dafür liefern, dass Journalismus allen Unkenrufen zum Trotz sehr wohl immer wieder seiner Kernaufgabe gerecht wird, sich dem Recherchierten, dem Kenntnisreichen, dem der Sache Verpflichteten, dem Aufklärerischen, dem Investigativen, dem Narrativen, dem Interpretatorischen – kurzum: sich dem Wertbeständigen, weil Werte schaffenden – zu widmen. Dies gilt allen voran für die Preisträgerinnen und Preisträger des diesjährigen Zürcher Journalistenpreises. Sie werden ausgezeichnet, weil ihre Arbeiten bzw. in einem Fall gar das Lebenswerk exemplarisch dafür stehen, was wertegeleitete Publizistik sein sollte.

Liebe Preisträgerinnen und -träger; es ist nicht an mir, Sie zu würdigen – das werden im Anschluss andere tun. Aber ich gratuliere Ihnen bereits an dieser Stelle sehr herzlich zu dieser Auszeichnung! Guter Journalismus braucht solche wie Sie. Als Anstifter, als Vorreiter, als Vorbilder. Mehr denn je.

Nun denn, das waren erstmals die Rosen für Sie, nun kommt das Efeu für uns Nicht-Prämierte.
Denn an diesem welken einige Blätter, bei allem satten Grün, das da spriesst. Lassen Sie mich zum Herbsteln im Journalismus einige Gedanken äussern. Sie sind erstens nicht als Belehrung zu verstehen, weil mir eine solche weder zusteht noch ich sie leisten mag. Zweitens erhebe ich keinen Anspruch auf Ausgewogenheit. Und drittens ist es auch keine persönliche Bilanz meiner bisherigen beruflichen Karriere, schon gar nicht jener der vergangenen neun Jahre an der Spitze der Publizistik der NZZ. Ein solche zu ziehen überlasse ich gerne anderen – es sitzen heute Abend ja einige hier im Saal, die das berufsbedingt leisten, auch wenn ich mir – dieser kleine Seitenhieb sei mir verziehen – ab und an in all den Jahren schon auch die Frage gestellt habe, ob da wohl immer alles verstanden, über das scharfzüngig gerichtet wird.

Nein, meine Ausführungen sind eher einer gewissen Besorgnis über den Gang der Dinge in unserem Geschäft geschuldet – eine Besorgnis, wie ich sie im Übrigen in den letzten Jahren öffentlich immer wieder geäussert habe.

Nach inzwischen mehr als 20 Jahren im Journalismus, davon über die Hälfte der Zeit in Führungsfunktionen, habe ich in den letzten vier Monaten – wenn auch unfreiwillig – Gelegenheit gehabt, mich nicht nur gut zu erholen, sondern auch das eine oder andere zu überdenken, was ich in den letzten Jahren so erlebt habe. Andere gehen dafür gegen teures Geld ins Kloster oder nach Goa. Bei mir kam es unverhofft, dafür war es fast kostenlos – zumal ich wahrlich kein Klosterschüler bin und auch nicht so auf Batik-Standtücher stehe.

«Wie viel Verantwortung erträgt der Journalismus?», so habe ich den Veranstaltern vor einigen Wochen meinen Arbeitstitel für meine Rede übermittelt. Ich wusste damals noch nicht, was genau ich eigentlich damit sagen will – aber Sie kennen ja alle bestens die Krux des Titelsetzens zum Zeitpunkt fehlenden Inhaltes. Denn die Frage ist eigentlich falsch gestellt. Es geht mir nicht um das «wie viel», sondern vielmehr um die Verantwortung selbst. Gibt es sie noch, wird sie wahrgenommen und wenn ja wie – und wird von uns Journalisten überhaupt noch verantwortungsvolles Handeln erwartet?

Irgendwie pendeln wir Journalisten immer ein wenig zwischen Dramaqueen und Glamourgirl – seelisch jedenfalls sind wir nicht sehr ausgeglichen, als Berufsmenschen, wie mir scheint. Wir sind Meister im Austeilen, leiden aber wie Hunde, wenn wir selbst in die Mangel genommen werden. Wir fühlen uns erhaben, allwissend, sind aber bei der nüchternen Analyse unseres eigenen Tuns des Öftern betriebsblind, uneinsichtig und beratungsresitent. Wir sonnen uns in unserem Ego, ohne zu merken, dass die Selbstinszenierung des Journalisten auf Kosten des Journalismus‘ geht – und von weiten Teilen des Publikums, gerade des hiesigen, eher mit Argwohn als mit Bewunderung verfolgt wird.

Meine Vermutung ist, dass wir mit solchem Verhalten im Grunde nur kaschieren, dass wir im Zeitalter der Konvergenz und der sogenannt multimedialen Kanalkompetenz – Sie sehen, ich beherrsche den Jargon noch – viel stärker an den dramatischen Veränderungen des Medienmarktes nagen, als wir uns das eingestehen. Schlagwortartig zusammengefasst lauten diese: Die Erträge aus dem eigentlichen Kerngeschäft, die Kommerzialisierung publizistischer Inhalte, vermögen die Kosten für deren Herstellung nicht mehr zu decken, weil Technologien und Nutzungsgewohnheiten das lange Zeit funktionierende faktische Monopol der Medien für die Informationsbeschaffung, -verarbeitung und –verbreitung zerstört haben.

Das ist für uns Journalisten bei allen Chancen, die das Internetzeitalter bietet, in erster Linie einmal eine Bedrohung – weil ohne vernünftige Refinanzierung dessen, was wir leisten, das, was wir eigentlich leisten sollten, nicht mehr zu leisten sein wird.

Ich habe mich in den letzten Jahren jeweils in alle Richtungen unbeliebt gemacht, wenn ich darauf hingewiesen habe, dass Digitalisierung erstens keine Strategie, sondern eine zwar unabdingbare, aber dennoch nur operative Vorgehensweise ist, und zweitens Onlinejournalismus für die Redaktionen nicht mit weniger, sondern mit mehr Aufwand verbunden ist – und zwar auf allen Ebenen. Es gehört zu den Absonderlichkeiten unseres Metiers, dass dies bis heute noch immer nicht überall verstanden wird.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Verleger, CEOs und Medienmanager: Hören wir doch endlich auf, uns selbst in die Tasche zu lügen. Wir sparen dann Kosten ein, wenn es uns gelingt, ineffiziente Produktionsprozesse zu straffen oder nicht-rentable Produkte gänzlich einzustellen. In der Publizistik aber benötigen wir auch in gut organisierten Newsrooms mehr qualifiziertes Personal als je zuvor – wenn wir denn den Anspruch haben, nicht weniger, sondern mindestens gleich viel wenn nicht sogar mehr Inhalte mit einer gewissen Substanz in immer kürzeren Zeitintervallen herzustellen.

Das zu verstehen, braucht nun wahrlich kein Grundstudium im Verlagswesen, sondern es reicht das kleine Einmaleins. Die Sites müssen – nur als Beispiel unter vielen – in der Regel während 20h und 365 Tage betreut werden; Online findet im dreidimensionalen Raum statt; und wir haben als Berufsstand mit Berufung die hehre Pflicht, publizistisch dem Medium durch neue Erzähl- und Darstellungsformen gerecht zu werden. Tun wir eines nicht, beides schlampig oder gleich alles schlecht, sind wir schlicht und ergreifend chancenlos, unser Publikum zu erreichen.

Um an dieses anzuknüpfen; ich bin mir ehrlicherweise nicht mehr ganz sicher, ob unsere Kundschaft immer die gleichen Vorstellungen hat, wie wir es vielleicht als Berufsgruppe gerne möchten. In einer reizüberfluteten Welt hedonistisch geprägter Individualität, in der gesellschaftliche Werte – eben unter anderem Verantwortung – zwar oft angemahnt, selten aber wirklich konsequent gelebt werden, sind Sorgfalt, Besonnenheit, der Sinn für Gerechtigkeit und Fairness etwas in den Hintergrund gerückt. Es dominieren die Sucht nach dem Ego, die Selbstverliebtheit und das Verhaftetsein im Augenblick – und damit einhergehend auch eine gewisse Nonchanlance gegenüber dem, was da auch noch wäre oder kommen könnte.

Tempo zählt, nicht das gemessen Voranschreiten, das laute wird dem leisen Wort vorgezogenen – die Polemik der Reflexion. Mit dieser Nachfrage ist auch der Journalismus konfrontiert. Und sie wird umso williger befriedigt, weil dies mindestens auf kürzere Sicht durchaus lukrativ sein kann. Längerfristig gräbt diese Form von Ambitionslosigkeit uns allen eine tiefe Grube; oder wir graben uns diese gleich selbst, das ist nun eine Frage der Sichtweise und der jeweiligen Betroffenheit.

Oscar Wilde hat dieses Verhalten wie eingangs zitiert schon im vorletzten Jahrhundert als «logisch», wenn auch als ärgerlich kritisiert. Ich neige eigentlich nicht zu Kulturpessimismus – aber bisweilen beschleicht mich selbst als Profi mit sehr hohem und sehr breit gefächertem Medienkonsum der Gedanke, die Welt könnte sich tatsächlich informationstechnisch wieder dorthin zurückentwickeln, wo sie vor einigen Jahrhunderten schon einmal stand: Zum Dorfbrunnen, wo Geschwätzigkeit, Halbwissen und Gerüchte den Alltag der Menschen bestimmte – und einige wenige die Macht besassen, dies zu ihren Gunsten zu nutzen.

Heute heisst dieser Brunnen Facebook oder Twitter, um nur exemplarisch zwei soziale Medien der Gegenwart zu nennen – wobei der Marktplatz der Eitelkeiten, des Hinterhältigen, des Blauäugigen und des Verführerischen dank der Verbreitung in Bits und Bytes zeitlich, geographisch und mengenmässig schrankenlos geworden ist. Wen wundert es, wenn in einer solchen Welt während Wochen die Fälschung, oder Echtheit, oder war es nun die Satire über die Echtheit der Fälschung? – kurzum: wenn über Wochen der Mittelfinger des griechischen Finanzministers plötzlich das dominierende Thema ist, wenn innerhalb von wenigen Stunden nach einem Flugzeugabsturz Küchenpsychologen den Gemütszustand von Piloten deuten oder selbst auf seriösen Nachrichtensites Heerscharen von Trollen Wahrheiten zur Lüge und Lügen zur Wahrheit umdeuten können, wie es bei der russischen Expansion in der Ostukraine seit Monaten der Fall ist.

Wir Journalisten sind vor solchem Irrlichtern nicht gefeit, weil wir einerseits simpel gesprochen auch nur Menschen unserer Zeit sind, andererseits aber auch immer abzubilden haben und mitleben, was die Zeit aus uns Menschen macht. Selbstkritisch müssen wir aber auch eingestehen, dass wir in den letzten Jahren viel dafür getan haben, uns als Berufsstand selbst in Frage zu stellen – etwa dann, wenn wir solche Hysterien anzetteln, sie befeuern bzw. sich ihrer unkritisch annehmen.

Und gerade deshalb begegne ich dem sogenannt partizipativen Journalismus mit einiger Reserviertheit. Ich kenne keine andere Berufsgruppe, die sich in so kurzer Zeit so freigiebig der Mitsprache und dem Mitspracherecht durch alle und jeden geöffnet hat. Es wäre mir jedenfalls neu, dass sich der Metzger über die Güte des Fleisches dreinreden lässt oder der Neurologe seine Diagnose von den Likes seiner Postings abhängig macht. Von Selbstvertrauen in das, was uns Journalisten von Nicht-Journalisten unterscheidet, zeugt es jedenfalls nicht.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Die viel besungene Demokratisierung des Internets hat im Journalismus durchaus Gutes bewirkt. Leider steht auf der Negativseite eine zunehmende Infantilisierung und Verarmung dessen, was wir gemeinhin als Journalismus bezeichnen. Schund und Ramsch vermengt sich mit Werthaltigem und Tiefsinnigem. Diese Mélange ist daher so fatal, weil sie für den Konsumenten nicht mehr erkennbar aus mehreren Teilen besteht, sondern eine graue Molasse ist. Hören wir also schleunigst damit auf, uns als Berufsgattung obsolet zu machen, weil die Beteiligung von Hinz-und-Kunz den scheinbar wichtigeren Beitrag leistet als eine profunde Ausbildung, die im Rahmen einer branchenweiten und gattungsneutralen Berufszertifizierung zu schützen wäre. Dass wir eine solche auch in diesem Land immer noch nicht kennen, halte ich für einen grossen Fehler – und ich frage mich seit Jahren, ob das trotzige Streiten um einen neuen GAV zwischen Verlegern und Journalisten den wahren Herausforderungen im digitalen Zeitalter gerecht wird.

War der Speakers Corner früher ein begrenzter Raum, in dem sich selbsternannte Weltdeuter und Spinner an ein überschaubares Publikum richten konnten, ist der Einbezug jedes und jeder bei der journalistischen Selektion, Kuration und Interpretation des Geschehens inzwischen zum eigentlichen Mantra in vielen Verlagshäusern geworden. Wir Journalisten werden in einer Mischung aus Staunen, Schaudern und Überforderung blitzschnell zu willfährigen Dienstleistern, statt dass wir gemeinsam Grenzen setzen dort, wo die viel beschworene Einbindung des Konsumenten keinen publizistischen Mehrwert bietet, sondern vielmehr grundlegende journalistische Prinzipien gefährdet.

Ich halte nicht viel vom Pathos der Berufung; Journalismus ist ein Handwerk, wenn auch ein ehrbares und in Demokratien und Diktaturen unabdingbares, weil Transparenz schaffendes. Aber etwas mehr Herzblut bei der Verteidigung dieses Ethos, das wünschte ich mir schon. Das gesagt, gehört natürlich in einer Zeit der fundamentalen Transformation ein Mehr an unternehmerischem Denken dazu, vor allem bei uns Journalisten. Sich den Gesetzmässigkeiten von Markt und Wettbewerb in einer Redaktion zu verweigern, ist falsch verstandene Arbeitsteilung zwischen Medienmanagement und Journalismus.

Denn die Folge dieser Verweigerungshaltung ist unter vielem, dass das Spezifikum journalistischen Arbeitens immer weniger verstanden wird. Zum Beispiel, dass ein Journalist Inhalte herstellt, die nicht reproduzierbar sind. Wir sind Meister der Einzelanfertigung – nicht standardisierbar, nicht für eine industrielle Massenproduktion tauglich. Punkt.

Sie können Roboter einsetzen, um Börsen- oder Sportberichte zu texten, aber Sie können nicht – noch nicht – die kurrligen Gedanken eines Spezialisten im Feuilleton für zeitgenössische Naturton- Musik oder den Spürsinn eines investigativen Reporters bei der Frage, wie gross die Macht der Lobbyisten in Bern nun wirklich ist, auf Knopfdruck abrufen. Geht nicht. Wirklich nicht.

Ich singe hier nicht blauäugig das hohe Lied des nur fleissigen und nur kreativen Vielschreibers; glauben Sie mir, ich kenne mich – und ich kenne viele unter Ihnen. Und ich habe wahrlich genügend oft mit dem Interessenkonflikt umgehen müssen, redaktionelle Kosten der wirtschaftlichen Realität anzupassen und trotzdem gute Publizistik sicherzustellen. Denn beides, inhaltliche und kaufmännische Solidität, ist entscheidend für den Erfolg eines jeden Medienproduktes, ganz egal, ob in einem etablierten Verlagshaus hergestellt oder in der digitalen Ich-AG entstanden.

Das gesagt, bleibt wichtig und richtig, in Redaktionen, auf Korrespondentenposten oder im Netzwerk freier Journalistinnen und Journalisten auf eine gute Durchmischung von Kompetenzen, Qualifikationen und Charakteren zu achten. Und es irrt, wer meint, mit platten weltanschaulichen oder gar politischen Glaubenssätzen eine Redaktion führen zu können. Ein guter Journalist ist vor allem einmal einer, der nicht nach Nullachtfünfzehn strebt, sondern immer ein wenig fünf vor zwölf hat. Ein Journalist, eine Journalistin, benötigt immer auch ein Quäntchen Narrenfreiheit, soll er oder sie nicht nur faktenorientiert und akribisch präzise, sondern eben auch immer aufrührerisch, aufklärerisch, anregend und bildend sein. Dabei dürfen wir eines nie vergessen: Wir Journalisten sind Sprachrohr, Täter, Opfer und Richter in einem – was uns Macht verleiht, mit der wir sorgsam umzugehen haben. Schlendrian gerade in diesen Dimensionen rächt sich bitter. Für uns alle!

Einen so verstandenen Beruf können Sie nun nicht einfach in eine Excel-Tabelle giessen und damit einen Businessplan berechnen. Genau darum ist meine Achtung vor dem generationsübergreifendem Verlegertum in den letzten Jahren gewachsen. Auch dieses ist vor Dummheiten nicht gefeit; aber gedacht wird in der Regel nicht in Quartalen, sondern in Dekaden. Und an Sie als Journalistinnen und Journalisten appelliere ich, sich Wissen und Mitsprache in verlegerischer Fragen zu erarbeiten, statt sich als Angestellte Schritt für Schritt von unternehmerischen Entscheidungen zu entmündigen. Anders als branchenfremde Manager und Berater wissen Sie wie kein anderer um die Ingredienzen dieses so speziellen Geschäftes. Etwa, dass Sie nicht alles berechnen können – vor allem eines nicht; die Güte von Inhalten und deren Akzeptanz auf dem potentiellen Markt. Journalismus – mindestens jener mit Anspruch – ist knochenharte Langzeitarbeit. Und er bedarf der stetigen, unaufgeregten und verlässlichen Pflege, Hege und Sorgfalt.

Dieser Ambition steht das Mittelmass gegenüber; das viel gescholtene «Mainstreamige» gerade im Journalismus ist letztlich nur ein Abbild einer gesellschaftlichen Entwicklung, ein Spiegelbild der sättigenden und eindösenden Genügsamkeit. Und so existiert leider eine Hybris zwischen hysterischer Aufgeregtheit über wenig Relevantes und dem gelangweilten: «Ach herrje, das interessiert doch Niemanden» bei durchaus Gewichtigem. Wen wundert es, wenn bei einer solchen Einstellungen nicht nur die Glaubwürdigkeit unseres Berufes leidet, sondern sich auch immer mehr Menschen vom Journalismus abwenden bzw. keinen Unterschied mehr erkennen können zwischen uns als Berufsleuten, dem Hobby-Schreiber, dem Möchtegern-Reporter, dem Kommunikationsbeauftragten, dem Native Advertiser oder dem Lobbyisten.

Ich halte nicht viel vom «Entschleunigungs»-Mantra, das nun auch im Journalismus wieder Einzug hält. Journalismus, mindestens der aktualitätsorientierte, ist per definitionem «schnell». Sehr wohl aber glaube auch ich, dass wir ein Mass an Aufgeregtheit erreicht haben, dass dem Wesen des Journalismus zuwiderläuft: Nämlich die Prüfung der Sachlage, bevor man sie verkündet und gleich auch schon interpretiert. Mut zur Lücke und Mut zur Reflexion, kurzum: mehr Sorgfalt und Demut vor der Tatsache, dass das Sofortige oft auch das rasch Vergessene ist, täten uns gut. Denn unsere Existenzberechtigung ist nicht in erster Linie die Geschwindigkeit, sondern die Fähigkeit, relevant von unwichtig zu trennen, Informationen also zu kuratieren und so aufzubereiten, dass neben dem rein Faktischen auch ein Erkenntnisgewinn durch die Einbettung in das grössere Ganze erzielt wird.

Dafür, liebe Anwesende, kann man Geld verlangen. Für alles andere gibt es entweder keine Nachfrage oder schon zig Anbieter, die zu deutlich tieferen Gestehungskosten deutlich bessere Produkte anbieten. Google beispielsweise, oder auch Facebook – die sinnigerweise beide nun von renommierten Verlagshäusern als Partner akzeptiert werden; sinnigerweise, weil man noch eben einen Kampf gegen Snippets und für das Leistungsschutzrecht führte und gemeinsam in das hohe Lied der Bezahlinhalte einstimmte.

Das gesagt, fällt mir mit etwas Distanz auf, wie sehr wir uns bei der Debatte über die Zukunft der Medien mit Fragen der Verpackung beschäftigen, statt mit jener der Inhalte. Löbliche Ausnahme bildet dieser Tage die anstehende RTVG-Abstimmung, die erfreulicherweise zu einer Diskussion über Aufgabe und Grenzen des Service public geführt hat. Sonst aber dominiert das Technologische, das Markentechnische, die Verkäuflichkeit von Inhalten; wie diese aussehen oder aussehen könnten und vor allem, mit welchen Fragen sich diese beschäftigen sollten, bleibt sehr oft eine etwas akademische Diskussion unter Fachleuten und ambitionierten Journalisten – und das meine ich auch durchaus selbstkritisch mit Blick auf den Fokus meiner Tätigkeit in den letzten Jahren.

Die Marginalisierung der Inhaltsdiskussion widerspiegelt sich auch auf höchster Managementebene oder in Verwaltungsräten; es hat praktisch keine Journalisten in solchen Gremien mehr, und angesichts der dramatischen Veränderungen im Medienmarkt richtet sich das Augenmerk bei der Besetzung von Führungsfunktionen nachvollziehbarerweise sehr stark auf die betriebswirtschaftliche und unternehmerische Kompetenz. Wen wundert’s, wenn in einer solchen Atmosphäre das Kerngeschäft, so es denn überhaupt noch eines ist, öfters als «notwendiges Übel» denn als wertschaffend wahrgenommen wird?

Werden wir unserer Verantwortung als einzigartiger Berufsstand also gerecht – auch mit Blick auf die grossen Fragen unserer Zeit? Ich zögere, mit einem klaren Ja zu antworten. Vielleicht auch, weil ich aus meiner bisherigen beruflichen Tätigkeit erfahren habe, dass zwischen «wahr», «halb-wahr», «möglicherweise wahr» und «schlicht falsch» oft nur eine sehr feine Grenze verläuft, wenn überhaupt.

Liebe Anwesende; wir sollten uns wieder bewusster werden, wem und für was unsere Arbeit eigentlich dient; nehmen wir uns dabei nicht zu wichtig; bleiben wir kritisch nicht nur gegenüber Dritten und Drittem, sondern auch gegenüber uns selbst; vermeiden wir Zynismus, weil er uns nicht zusteht, und Arroganz, weil sie uns blind macht; und seien wir achtsam darauf, dass das, was wir in welcher Form und in welchen Kanälen auch immer publizieren, wirklich Hand und Fuss besitzt – was natürlich auch für den Vortragenden und dessen heutige Wortmeldung gilt.

Leserbeiträge

Peter Eberhard 01. Juni 2015, 15:42

Auf den Punkt gebracht, jeder weitere Kommentar überflüssig. Danke, Markus Spillmann.