von Carmen Epp

Wenn lokale Wachhunde verschlafen

In der Affäre um den Erstfelder Cabaret-Betreiber Ignaz Walker ist einiges schief gelaufen. Geschlampt haben dabei nicht nur die Untersuchungsbehörden in Uri. Auch die Lokalmedien haben verschlafen – bis zum Weckruf aus Zürich.

Es ist der wohl grösste Justizfall in der Geschichte des Kantons Uri: Der Erstfelder Cabaret-Betreiber Ignaz Walker soll auf einen Bargast geschossen und später einen Auftragskiller auf seine damalige Ehefrau angesetzt haben, glücklicherweise erfolglos. So die Version der Urner Staatsanwaltschaft, von der auch die Urner Gerichte überzeugt sind: Das Land- und später auch das Obergericht sprachen Walker schuldig. Das Verdikt: 15 Jahre Haft.

Was als Krimi im Lokalen begann, hat durch die «Rundschau» des Schweizer Fernsehens inzwischen schweizweite Beachtung gefunden. Im vergangenen Oktober hat die Sendung den Fall aufgerollt und dabei verheerende Mängel in der Untersuchung aufgedeckt. Der krasseste Vorwurf: Ausgerechnet ein Polizist, der zuvor mit Ignaz Walker in ein anderes Verfahren verwickelt war, hat die Spurensicherung geleitet und dabei das Hauptindiz, eine DNA-Spur, beigesteuert.

Die Recherchen der «Rundschau» zeigten Folgen: Keine zwei Monate nach der Ausstrahlung der Sendung hat das Bundesgericht die fragliche DNA-Spur als unverwertbar beurteilt und den Fall zur Neubeurteilung ans Urner Obergericht zurückgewiesen. Und so wurde von höchster Gerichtsinstanz die Frage amtlich, die bis dahin nur hinter vorgehaltener Hand gestellt wurde: Sitzt Ignaz Walker womöglich unschuldig hinter Gitter?

Dabei ist die Geschichte nicht neu. Ignaz Walker sitzt seit über vier Jahren in Untersuchungshaft, die Taten ereigneten sich 2010. Das Landgericht urteilte 2012, ein Jahr später fiel das Urteil des Obergerichts. Bleibt also die Frage: Wo waren die Lokalmedien? Hätten nicht sie als Erste die Ungereimtheiten in einem Fall aufdecken müssen, der über fünf Jahre im eigenen Umfeld verhandelt wurde? Wieso mussten erst Journalisten aus Zürich kommen, um die lokalen Wachhunde aufzuwecken? Ich kenne die Antwort und weiss, dass die Sache komplizierter liegt als man zunächst denken mag.

Als Journalistin beim «Urner Wochenblatt» habe ich den Fall Walker stets verfolgt, spätestens seit 2013 intensiv. Ich war als Berichterstatterin an den tagelangen Verhandlungen vor Obergericht, habe mir alle Plädoyers angehört und über alle Entwicklungen während der Verhandlungen berichtet. Schon bald beschlich mich der Verdacht, dass hier irgendwas im Argen liegt. Und ich erinnere mich noch gut an den Tag, als das Obergericht seinen Schuldspruch bekannt gab. Ich verstand die Welt nicht mehr. Bei all den Indizien, die gegen Walkers Schuld sprachen und den meist hanebüchenen Argumenten der Staatsanwaltschaft – wie konnte man unter diesen Umständen jemanden schuldig sprechen?

Meine Zweifel stiessen jedoch auf wenig Nährboden. Walker ist seit jeher bekannt wie ein bunter Hund im Kanton Uri und genoss noch nie einen guten Ruf. Entsprechend gemacht waren denn auch die Meinungen in der Bevölkerung: Walker ist zu allem fähig und sitzt zu Recht hinter Gittern. Trotzdem liess mich der Fall nicht mehr los. Ich studierte die Akten, verglich Aussagen miteinander und rekonstruierte die Abläufe. Und je mehr ich las, desto sicherer wurde ich mir: Hier lief einiges schief.

Innerhalb der Redaktion reagierte man jedoch zurückhaltend auf meine Zweifel und mahnte mich zur Vorsicht, was die Argumente von Walkers Verteidiger angeht. Dies sicher nicht zu Unrecht: Wie oft sass ich schon in Gerichtsverhandlungen, hörte der einen, dann der anderen Seite zu und wusste zuletzt immer weniger, wem ich mehr Glauben schenken soll? Um keinen Preis hätte ich je den Platz mit einem der Richter tauschen wollen. Zu unklar die Sachlage, zu gross die Verantwortung.

Nachdem die «Rundschau» sich für den Fall zu interessieren begann, bestätigten sich schliesslich meine Zweifel. Und ich konnte im «Urner Wochenblatt» nachziehen. Zwar waren die Erkenntnisse in der «Rundschau» nicht immer ganz neu – die Zweifel der Verteidigung wurden im Rahmen der Gerichtsberichterstattung bereits zuvor in Uri publik. Doch mit den bisher drei SRF-Sendungen zum Thema erlangten die Ungereimtheiten nun mehr Durchschlagskraft und Aufmerksamkeit über die Kantonsgrenzen hinaus. Hatte man die Argumente von Walkers Verteidigung bisher als Irrsinn belächelt, wurden sie nun plötzlich plausibler denn je.

Zurück bleibt für mich eine Mischung aus Ärger, Verständnis und Genugtuung. Ärger über die Zurückhaltung der Lokalmedien, die in ihrer Funktion als Wachhunde zu lange geschlafen haben. Ärger aber auch über mich selbst, dass ich den Widerständen innerhalb der Redaktion nicht entschlossener gegenüber getreten bin, um die Geschichte als eigene Recherche publizieren zu können. Ein Versäumnis nicht nur für meine Karriere als Journalistin, sondern auch für Ignaz Walker als Wartender in der Zelle.

Gleichzeitig habe ich aber auch Verständnis für die Zurückhaltung der Redaktion. Einem Gericht vorzuwerfen, einen falschen Entscheid gefällt zu haben – das war eine Aufgabe, die nicht nur neu, sondern womöglich auch zu gross war. Für mich und die Redaktion. Auch wenn Lokaljournalisten durch die Nähe zum Geschehen mehr Einblicke haben als Aussenstehende, so bringt dies automatisch auch mehr Verantwortung mit sich. Und die auf sich zu nehmen ist kein Leichtes – auch wenn es in diesem Fall angezeigt gewesen wäre.

Trotz allem überwiegt bei mir das Gefühl der Genugtuung. Darüber, dass meine Zweifel begründet waren und ich als Teil des Ganzen zur Wahrheitsfindung beitragen konnte. Und ich habe gelernt, künftig auch entgegen alle Widerstände hartnäckiger zu sein – als freischaffende, ehemalige Lokaljournalistin. Bleibt zu hoffen, dass der Weckruf der «Rundschau» die schlafenden Wachhunde in Uri ebenfalls nachhaltig geweckt hat.

Leserbeiträge

Maria Bruggmann 30. Juni 2015, 02:07

JAaaa!!! Genau, sehr schön alles gesagt! Meistens, über 90 % „können sich von Carmen Epp mehr als eine Scheibe abschneiden“ , sie hat den Mut und das Feeling, wenn es um Wahrheit geht, sie ist jung und schön, und sie hat beruflichen Ambitionen, DAS ist echte, FREIE Journalismus… hier kann ich nur 1 zufügen: „Chapeau, Carmen!!!“

Monika Brunschwiler 08. Juli 2015, 04:25

Ein Klassiker? Im Fall Harry Wörz war er auch unschuldig – auch über 4 Jahre Haft – ist bei Ignaz Walker wie im Fall Wörz am Schluss auch noch ein Polizist /in der/ die Täter/in? Gelogen wir im Fall Walker von der Polizei her auf alle Fälle…., unglaublich das können wir so nicht hinnehmen!

Spooky Red 08. November 2015, 01:46

Das Urner Wochenblatt und die Urner Zeitung als lokale Wachhunde zu bezeichnen, ist ein Witz. Die Journalisten dieser beiden Zeitungen sind Hofberichterstatter. Carmen Epp ist mit ihren kritischen Beiträgen zum Fall Ignaz Walker ein absoluter Ausnahmefall. Wie sie es geschafft hat, die Erlaubnis einzuholen, im Urner Wochenblatt die Urner Justiz zu kritisieren, ist mir ein Rätsel. Chapeau !!!!