Warum Marc Walder seine Zeitung weiterhin kritisch lesen sollte
Klare Kante von ganz oben: Ringier-Konzernchef Marc Walder bemängelt die Relevanz des «Blick». Der Konkurrenz wirft er Konzernjournalismus vor. Im nächsten Interview könnte er diesen Vorwurf auch seiner Zeitung machen.
Es gibt sicher einfachere Aufgaben, als ein Interview zu führen mit dem eigenen Scheffscheff für die Hauspostille. Aber Hannes Britschgi löst sie ganz gut in der März-Ausgabe von «Domo», dem Ringier-Unternehmensmagazin. Das Gespräch mit Ringier-CEO Marc Walder liest sich als launige Tour d’Horizon quer durch den Konzern, rund um die Welt, von Aufbruch bis Zuversicht. Ein Interview mit Ecken und Kanten, kein weichgespülter CEO-Speak, sondern klare Kante von ganz oben.
Neben der digitalen Zukunft geht es auch um die gedruckte Gegenwart. Mit seinem «Blick» ist Walder nicht zufrieden, das Blatt habe die journalistische Linie, die er und Verleger Michael Ringier erwarten, noch nicht gefunden. Es fehle an Relevanz:
Heute, an dem Tag, an dem wir dieses Interview führen, sind fünf Clowns aus Luzern auf der Titelseite, die sagen: «Wir beschützen unsere Frauen.» Das ist schon beinahe Satire.
Walders Rezept gegen mangelnde Relevanz liest sich simpel, taugt aber fürs Tagesgeschäft nur bedingt — gerade weil es so einfach klingt, aber in allen Punkten der Interpretation bedarf.
Spielt die grossen Geschichten, die die Welt, die Schweiz bewegen. Punkt.
Walder verteilt nicht nur den eigenen Publikationen Zensuren, auch die Konkurrenz kriegt ihr Fett weg. Ihm missfällt die Berichterstattung zum gemeinsamen Vermarktungsunternehmen, das Ringier mit SRG und Swisscom gegründet hat (inzwischen bekannt als Admeira). Das Joint Venture steht in der Kritik. Es gibt medien- und ordnungspolitische Bedenken, der Verband Schweizer Medien klagt gegen den neuen Koloss auf dem Werbemarkt. Und darüber wird natürlich berichtet. Aber nicht sachlich und unabhängig, findet Walder, sondern interessengeleitet:
Das publizistische Feuerwerk, das gegen diese Initiative abgefackelt wird, ist kein gutes Zeugnis für den Schweizer Journalismus. Da ist viel Konzernjournalismus im Spiel.
Viel Konzernjournalismus im Spiel? Natürlich nur bei den anderen. Oder war da was? Man kann von der Gnade des frühen Interviewtermins sprechen, es fand am 3. Februar statt. Denn seither liessen sich im «Blick» mindestens zwei Fälle von Berichterstattung beobachten, die nicht frei von Konzerninteressen waren. Beide Male ging es um die von Ringier und Marc Walder angestossene Initiative «Digital Zurich 2025». Im harmloseren Fall geht es um ein neues Förderprogramm für Start-ups. Der Artikel ist weder gezeichnet, noch findet sich ein Hinweis auf die Rolle Ringiers beim beschriebenen Förderprogramm. Kann passieren, riecht aber trotzdem komisch.
Im gravierenderen Fall musste die «Blick»-Redaktion offenbar auf Druck von ganz oben einen Artikel im Archiv verschwinden lassen, der steuerlichen Rahmenbedingungen für Jungunternehmen im Kanton Zürich kritisiert. An seiner Stelle prangte kurz später ein Text, der das Gegenteil behauptete mit der Oberzeile «Kanton Zürich zeigt Herz für Startups.» Die Folge einer Intervention von CEO Marc Walder? Die Medienstelle winkt gegenüber der Sonntagszeitung ab:
Der CEO hat Besseres zu tun, als sich um «Blick»-Artikel zu kümmern.
Dank dem «Domo»-Interview wissen wir, dass Walder den «Blick» sehr wohl und sehr genau liest. Für die Glaubwürdigkeit einer Publikation birgt Konzernjournalismus eine mindestens ebenso grosse Gefahr wie mangelnde Relevanz, die Walder seiner Zeitung vorwirft.