Die Grenzen der vierten Gewalt
Um als Journalistin Missstände aufzudecken, braucht es einen langen Atem. Bleiben jahrelange Recherchen zu offenkundigen Missständen ohne Folgen, droht so manchem der Schnauf auszugehen. So auch unserer Kolumnistin als langjährige Berichterstatterin für lokale und nationale Medien zum «Fall Walker».
Medien gelten gemeinhin als die vierte Gewalt, sie schauen den Mächtigen auf die Finger und decken wenn nötig Missstände auf. In der Praxis sieht die Sache meist etwas komplizierter aus. Da gibt es zwar immer wieder Hinweise, Aussagen, die einen Verdacht in den Raum stellen. Der eigentliche, grössere Missstand lässt sich am Ende aber nur selten belegen. Zu unklar bleibt die Faktenlage, zu widersprüchlich die Aussagen der Akteure – und die Recherche verläuft im Sand.
Nicht so im Fall des Erstfelder Barbetreibers Ignaz Walker, der 2010 einen Mörder auf seine damalige Ehefrau angesetzt und selber auf einen Gast geschossen haben soll. Hier haben die Medien ihre Arbeit gemacht, aber bewirkt haben sie letztlich wenig.
Die Missstände im «Fall Walker» liegen offen da, schwarz auf weiss, verteilt auf über 10’000 Seiten. Interessierte Journalisten finden in den Akten ein ganzes Sammelsurium an Ungereimtheiten: befangene Polizisten, mysteriöse DNA-Spuren und einen besoffenen Kronzeugen, um nur einige zu nennen. Ein gefundenes Fressen also für Medien, die ihrer Rolle als vierte Gewalt, in dem Fall als Kontrollinstanz der Dritten, also der Justiz, gerecht werden wollen.
Aufgerüttelt durch Recherchen der SRF-«Rundschau» ab Oktober 2014 haben sich immer mehr Medienschaffende dem «Fall Walker» angenommen. Und jene unter ihnen, die sich die Mühe gemacht haben, die Akten zu studieren – darunter auch ich –, gelangten alle zur selben Überzeugung: Das Ganze stinkt zum Himmel.
Doch die Enthüllungen der Journalisten blieben ohne Folgen. Die Regierung gab zwar auf Druck der Staatspolitischen Kommission des Urner Kantonsparlaments ein Audit in Auftrag, um die Sache mit dem befangenen Polizisten zu klären, legte das Ganze jedoch auf Eis, weil der beauftragte Auditor selbst in den Verdacht der Befangenheit geriet. Man wolle sich, um die Gewaltentrennung zu respektieren, nicht einmischen, solange der «Fall Walker» noch nicht rechtskräftig abgeschlossen sei. Das Vertrauen in die Urner Strafuntersuchungsbehörden schien den Verantwortlichen nicht so wichtig wie das Bestreben, sich hier keinesfalls die Finger zu verbrennen. Und erst recht nicht, weil Gesamterneuerungswahlen anstanden.
Weitere Recherchen und nicht zuletzt die Berufungsverhandlung vor dem Urner Obergericht brachten weitere Ungereimtheiten zutage, welche die Untersuchungsbehörden noch mehr in Bedrängnis brachten. So haben Polizei und Staatsanwaltschaft dem Gericht wichtige Hinweise zum Kronzeugen verschwiegen, der Oberstaatsanwalt selbst vor Gericht wahrheitswidrige Aussagen gemacht. Spätestens damit hat der «Fall Walker» eine Dimension erreicht, bei der sich eine Reaktion von politischer Seite geradezu aufgedrängt hätte. Wenn selbst ein Staatsanwalt nicht davor zurückschreckt, vor Gericht zu flunkern und damit eine 15-jährige Haftstrafe für Ignaz Walker in Kauf zu nehmen, dann darf das in einem Rechtsstaat nicht ungesühnt bleiben.
Doch die Forderung nach Aufklärung und Konsequenzen für die Verantwortlichen, die längst nicht mehr nur Journalisten äusserten, sondern auch Prozessbeobachter ohne Aktenkenntnisse, verhallt weiterhin im Nichts. Zwar hat das Urner Obergericht am 18. April ein weitaus milderes Urteil gesprochen als noch vor zwei Jahren und die Strafe für Ignaz Walker von 15 auf 2,5 Jahre heruntergesetzt. Dass im «Fall Walker» einiges schief gelaufen ist, stellt das Gericht in seiner Kurzbegründung des Urteils jedoch in Abrede, in dem es die Aussagen eines Tatbeteiligten in der «Rundschau» als unglaubwürdig abtut und die Staatsanwaltschaft in Schutz nimmt. Dass dasselbe Gericht, das die Oberaufsicht über die Staatsanwaltschaft innehat, die aktenkundige Flunkerei zweier Oberstaatsanwälte je untersuchen wird, scheint unwahrscheinlich.
Und die Politik? Auch die bleibt untätig. Die Regierung will sich gemäss Mitteilung weiterhin nicht zum Fall äussern, bevor das Urteil nicht rechtskräftig ist. Das ist in zweifacher Hinsicht zynisch: Zum Einen dürfte das Urteil durch den angekündigten Weiterzug ans Bundesgericht erst in frühestens zwei Jahren rechtskräftig sein. Damit nimmt die Regierung in Kauf, dass weitere Straffälle von den in die Kritik geratenen Untersuchungsbehörden bearbeitet werden. Zum Anderen hat sich ein Regierungsratsmitglied erst kürzlich recht ausführlich zu einem Strafverfahren in der Lokalpresse geäussert, das ebenfalls noch hängig ist und noch nicht mal vor Gericht verhandelt wurde. Immerhin kündigte die Staatspolitische Kommission mit einer Medienmitteilung an, jetzt «aktiv» zu werden. Konkrete Antworten darauf, wie und wann das geschehen soll, gibt es trotz mehrfacher Anfrage jedoch nicht.
Ich weiss nicht, wie es den anderen Journalisten geht, die sich in den letzten anderthalb Jahren intensiv mit dem «Fall Walker» beschäftigt haben. Ich jedenfalls blicke zurück auf tagelanges Aktenstudium, zahlreiche Gesprächen und Nachfragen, noch mehr Artikel zu immer wieder neuen Ungereimtheiten aus Uri – und frage mich: Wozu das alles? Für ein vages Versprechen auf eine Aufklärung, die längst fällig wäre? Für ein Lippenbekenntnis eines Parlaments, das längst hätte tätig werden sollen? Während Fehler von Untersuchungsbehörden nicht untersucht werden und Staatsanwälte und Polizisten, die es mit der Wahrheit nicht so genau nehmen, ungeschoren davon kommen?
Vielleicht liegt es daran, dass mir das Vertrauen in die Justiz nicht nur als Journalistin wichtig ist, sondern dass es für mich als Urnerin auch um ein Stück Heimat geht, dessen «Heiligkeit» durch die Enthüllungen im «Fall Walker» beschmutzt wurde. Oder ich habe ein zu naives Verständnis davon, was Journalismus bewirken kann und sollte das mit dem Missstände-Aufdecken besser sein lassen. Auf jeden Fall merke ich, wie mir der Atem in der ganzen Sache langsam ausgeht. Immerhin scheinen meine Kolleginnen und Kollegen dran zu bleiben und klare Forderungen zu stellen. Ob sich deren Einsatz lohnt, ist dann nicht mehr mein Problem.
Schütz Christoph 25. April 2016, 12:25
Herzliche Gratulation zu Ihrem Kommentar, Frau Epp. Mit Ihrem “ naiven Verständnis davon, was Journalismus bewirken kann und sollte“ sprechen Sie mir aus dem Herzen, wobei wohl kaum als naiv bezeichnet werden muss, was an allen Journalistenschulen gelehrt wird…Es ist vielmehr so, dass Politik, Verwaltung und leider auch viele Medien die hehren Prinzipien gerne verkünden, sie aber dann etwas weniger gerne auch einhalten.
Ich habe den Fall Walker mitverfolgt, weil mich insbesondere interessiert hat, wie die Urner Behörden und Politiker mit einer Geschichte umgehen, die die Dysfunktionalität eines Systems offenlegt, das sich so gerne u.a. der Gewaltentrennung rühmt.
Einziges Trostpflästerchen: Uri ist mit Fribourg in guter Gesellschaft.
Ich hoffe, dass Ihnen der Atem noch lange nicht ausgeht!
Freundliche Grüsse
Christoph Schütz
Ignaz Walker 14. Mai 2016, 08:32
Natürlich verstehe ich die Sichtweise von Frau Epp. Ich bin mir auch durchaus bewusst, dass ich mir ein Privileg zukam, indem die 4 Gewalt im Staat zumindest zum Teil funktionierte. Wenn sich ein Journalist jedoch von seinen ethischen Grundsätzen verabschiedet, kann er sich genau so gut als Sprachrohr der Mächtigen anstellen lassen. Dies entspricht einem Charakter und einer inneren Einstellung. Persönlich glaube ich nicht, das die ganze Arbeit unnütz war, zumindest bin ich heute in Freiheit. In der Schweiz hat jede Bevölkerung die Regierung, welche sie gewält hat. Der Volksmeinung wird kaum duch die Regierung, sondern durch die Medien beeinflusst.