Konkurrenz um Konzession
Bundesrat und Parlament erarbeiten neue Rahmenbedingungen für den Service public von Radio und Fernsehen. Verleger und SRG versuchen sich gegenseitig das Wasser abzugraben. Eine konstruktive, zukunftstaugliche Lösung, die auch Online einbezieht, ist nicht in Sicht. Lassen wir den Markt entscheiden: indem der nationale Service-public-Auftrag, wie bereits bei den Lokalsendern, ausgeschrieben wird.
Sie schenken sich gegenseitig nichts, Verleger und SRG. Gewisse Verleger wollten «über eine Schwächung der SRG zu neuer Stärke finden», hält der SRG-Geschäftsbericht im Vorwort fest. Die SRG sei «systematisch hinterhältig», bekräftigt der abtretende Verlegerpräsident. Zeitungsverlage und die SRG sind seit jeher Antagonisten. Konkurrenzierten sie sich historisch auf unterschiedlichen Distributionskanälen, kommen sie sich im Internet bzw. online nun direkt in die Quere. Zudem nimmt die Nutzung der klassischen Medien stetig ab, jene von Online nimmt stark zu. Darum kann eine Medienordnung ohne expliziten Einbezug von Online nicht zielführend sein.
Im schweizerischen Medienmarkt zeigt sich ein doppelter David-Goliath-Effekt: Für die Verleger, selbst die grossen, ist die SRG ein Riese. Für die SRG wiederum sitzen die übermächtigen Konkurrenten im Ausland, seien dies die Fernsehveranstalter oder globale, digitale Plattformen wie Google, Facebook und Co. Fakt ist auch, dass die SRG, wegen ihrer schieren Grösse den hiesigen Werbemarkt verzerrt. Richtig ist aber wohl auch, dass es den Verlegern nicht viel bringen würde, wenn man der SRG die Werbung einfach verbietet.
Die Medienpolitik steht deshalb vor einem Dilemma: Beseitigt sie die Marktverzerrung im Inland nicht, hat die inländische Konkurrenz gegenüber dem Service public-Anbieter keinen Stich. Beschränkt sie den Service public-Anbieter jedoch, dann verliert dieser gegenüber der globalen Konkurrenz an Boden.
Es geht bei der laufenden medienpolitischen Debatte, wie man überall lesen kann, um die (schwierige) Definition des Service public. Aber nur vordergründig. Eigentlich geht es um einen wirtschaftlichen Verteilkampf oder ganz banal ums Geld. Für ökonomische Problemstellungen bieten sich Lösungen aus der Ökonomie an. Der St. Galler Wirtschaftsprofessor Franz Jaeger hat sich vor Jahren in einem knappen Thesenpapier ganz allgemein zum Service public und der Leistungserbringung durch die Wirtschaft bzw. den Staat geäussert). Sein Ansatz lautet im Wesentlichen:
- Was als Service public oder Grundversorgng angeboten werden soll, definiert die Politik. Sie schafft die rechtlichen Grundlagen, definiert einen exakten Leistungsauftrag und legt fest, wie Leistungen, die sich rein wirtschaftlich nicht rechnen, entschädigt werden.
- Die genannten Leistungen können grundsätzlich sowohl durch den Staat selber als auch durch die Wirtschaft erbracht werden.
- Die günstigste Lösung lässt sich finden, indem der Leistungsauftrag im Wettbewerb ausgeschrieben wird. Der Markt entscheidet so drüber, ob der Auftrag privat erbracht werden kann.
Es fällt sofort auf, dass der Auftrag für den medialen Service public auf nationaler Ebene bisher nicht ausgeschrieben wurde. Bei den Lokalradios und –Fernsehen gibt es jedoch eine Ausschreibung der Konzessionen mit Gebührensplitting. In den Hearings der Eidg. Medienkommission (EMEK) machten die Verbände Télésuisse, VPR und RRR ihre diesbezüglichen Ansprüche geltend. Die SRG solle die Regionalberichterstattung abtreten oder in ein Kooperationsmodell einsteigen, forderten die Privatradios. Die Privatfernsehen forderten, dass Programmpakete der sogenannte «zone mixte» (u.a. mit Sport, Konsumentensendungen) ausgeschrieben werden.
Solange wir den nationalen/sprachregionalen Service public-Auftrag als monolithischen Block betrachten, werden wir medienpolitisch wohl nicht aus der Sackgasse kommen. Wenn ein einziger Anbieter die ganze Palette (gemäss BV Art. 93 Abs. 2: Bildung, Kultur, Information, Unterhaltung) anbieten muss, muss er auch entsprechend gross sein, ein Goliath eben.
Die Bildung und Ausschreibung von Teilpaketen des Service public könnte eine Lösung sein. Dabei könnten sich private Anbieter auch zusammenschliessen, um ein konkurrenzfähiges Angebot unterbreiten zu können. Ausländische Investoren könnten sich an einem schweizerischen Angebot beteiligen (Minderheitsbeteiligung). Oder Private und Service public-Anbieter könnten in einem Joint Venture kooperieren.
Eine Ausschreibung setzt ein genaue Definition der Leistungen und Abgeltungen voraus. Sie bringt Wettbewerb. Alle Anbieter erhalten eine faire Chance. Die eher peinliche und staatspolitisch heikle Frage, welche Sendung nun genau noch Service public ist, entschärft sich. Mögliche Programmpakete sind:
- Aktuelle Berichterstattung über Wirtschaft, Politik, Gesellschaft und Kultur
- Hintergrund zu 1; 1 und 2 sind national/sprachregional (D, F, I)
- Regionale Berichterstattung, die der kleinräumigen Schweiz Rechnung trägt
- Service public-Labor (z.B. Beiträge an innovative Experimente etwa für das junge Zielpublikum)
- Unterhaltung (z.B. Eigenproduktionen), Sport (international, national)
Es sollen grundsätzlich alle Distributionskanäle zur Verfügung stehen: Print, Radio, TV, Online. Die Anbieter sind frei im Mix und der Gewichtung der Kanäle. Die Finanzierung wird nach Kanälen differenziert und erfolgt aus der neuen Radio- und Fersehabgabe. Ein Finanzierungsbeitrag kann durch die Onlinewerbung sowie die Serviceplattformen mit Stellen- und Wohnungsinseraten geleistet werden. Als Teil-Kompensation der fehlenden, früheren Mischfinanzierung beim Print. Die Mandate sind befristet, z.B. auf zehn Jahre, und werden neu ausgeschrieben.
Litaratur: Jaeger, F. (2015), Service public: Die Verantwortung beim Staat – die Bereitstellung privat, Schulungsunterlagen Weiterbildung für Politik (WfP-HSG), Modul Economics.
Der Artikel basiert auf seiner Zertifikatsarbeit im Bereich «Weiterbildung für Politik» an der Hochschule St.Gallen (CAS WfP-HSG), die er bei Prof. Franz Jaeger im Februar 2016 geschrieben hat.
Manuel Müller 02. September 2016, 13:20
Ich habe mal einen überspitzten Satz gehört, der mir sehr plausibel erschien: „Private Medien stellen Inhalte für Werbekunden her, öffentliche Medien für Bürger“. Natürlich vereinfacht aber dennoch der Kern des Problems. Deshalb kann man den Auftrag nicht einfach Privaten, Gewinnorientierten geben und erwarten, dass sie genug Mittel in den Journalismus stecken.
Jonny Kopp 02. September 2016, 16:50
Was ausgeschrieben werden soll, ist ein Service public-Auftrag bzw. die genannten Leistungs-/Programmpakete. Es geht um Journalismus, der sich als vierte Gewalt versteht und von entsprechender Qualität ist. Das können auch private (Print-)Medien; eine NZZ z.B.
JK