Wie sich der Städter die Bergwelt vorstellt
Seit Frühling gibt das Red-Bull-Media-House eine Schweizer Ausgabe des Magazins Bergwelten heraus. Ein Marketing-Trick, um den Verkauf des Energy-Drinks anzukurbeln? Höchstens indirekt, meint unser Autor – und findet das Magazin ansprechender, als er es vor der Lektüre erwartet hat.
Dem alpinen Zeitgeist huldigen
Man stelle sich das Brainstorming der Verantwortlichen vor, lange bevor im letzten April die erste Schweizer Ausgabe von Bergwelten erschien. «Auch die Städter schreiben in ihren Lebenslauf unter Hobbys mittlerweile ‹wandern›. Sie suchen den unberührten Fleck Natur, haben genügend Geld, aber eigentlich nicht viel Ahnung von Outdoor-Aktivitäten.» So zumindest wirkt das Konzept des sechs Mal jährlich erscheinenden Magazins aus dem Red-Bull-Media-House. Es ist die perfekte Einstimmung für Leute, die Ideen fürs verlängerte Wochenende ohne Easy-Jet-Stress suchen. Der passionierte Berggänger und erst recht der ambitionierte Alpinist dürften es nur mittelmässig befriedigt zur Seite legen.
Attraktive Alpenbilder
Der Appetit kommt bekanntlich mit dem Essen – und die Wanderlust beim Betrachten vom Landschaftsbildern. Das haben die Macher der Bergwelten durch und durch verstanden. Schon das Titelbild ist pittoresk, im Innern setzt sich die Optik durchs Band fort. Atemberaubende Panoramen, spektakuläre Bewegungs-Bilder, zeitgenössische Food-Nahaufnahmen – die Bildredaktion beherrscht ihr Metier. Auch das Layout ist durchdacht, die Schriften wirken modern und die Aufmachung kommt kohärent daher. Ein Branchenheft wie etwa «Die Alpen» vom SAC wirkt daneben schon fast muffig.
Ohne Promi-Kolumnen geht es nicht
Die Bergwelten warten mit einigen bekannten Autoren auf, neben Chefredaktor Christian Andiel stammen auch Wander-Guru Thomas Widmer und Tages-Anzeiger-Redaktorin Ev Manz aus dem Hause Tamedia. Zudem kolumnieren SRF-Mann Nik Hartmann und Alpinismus-Legende Reinhold Messner und für die aktuelle Ausgabe konnte die Bestseller-Autorin Milena Moser gewonnen werden. Das verpflichtet. Der sprachliche Höhenflug stammt aber nicht aus einer Schweizer Feder, sondern von David Pfeifer von der «Süddeutschen Zeitung». Milena Mosers und Nik Hartmanns Texte lesen sich flott und auch Reinhold Messner kann nicht nur klettern – offen bleibt einzig, warum seine Kolumne «Philosophikum» heisst. Zudem haben auch die Bergwelten die Unsitte angenommen, auf der allerersten Seite eine Auswahl ihrer Mitarbeiter mitsamt Foto zu präsentieren. Interessiert den wanderlustigen Durchschnittsleser wirklich, welche Grafikerin das Heft gestaltet hat?
Der Professor erklärt unser Bild von den Alpen
Das absolute Highlight der Ausgabe ist aber weder eine schöne Bildstrecke noch eine süffige Kolumne – es ist das Interview mit Philipp Felsch, Professor für Geschichte der Humanwissenschaften. Seine Erklärungen sind so bildhaft, dass man eine Passage zitieren muss: «Die Alpen sind eines der besten Beispiele dafür, dass unsere Wahrnehmung von Natur sich kulturell und historisch extrem geändert hat. Als prägnantestes Beispiel ist mir immer Johann Joachim Winckelmann im Gedächtnis, ein Wissenschaftler des 18. Jahrhunderts, der die Antike-Begeisterung in Deutschland ausgelöst hat und immer wieder nach Italien gefahren ist. Als 1760 in der Kutsche über den Gotthard fuhr, verhängte er die Fenster der Kutsche – wegen des unerträglichen Schreckens. (…) Heute liegt uns fern, dass man den Anblick der Berge als ästhetische Zumutung empfunden hat.»
Der perfekte Wanderschuh
Wie es sich für ein gutes Outdoor-Magazin gehört, kommen die praktischen Tipps in den Bergwelten nicht zu kurz. Wer auf der Bergtour auf jedes Gramm Gepäck achten will, kann den Dörrbohnen-Eintopf nachkochen. Wer gerne das Zelt schultert, weiss nun, dass man über der Baumgrenze in der Schweiz legal campieren darf. Und wem die Kampfstiefel aus der RS zu schwer sind für den Sonntagsausflug, der findet ein passenderes Modell beim Test der Low-Cut-Wanderschuhen. Praktisch: Am Ende des Hefts empfiehlt die Redaktion sechs stadtnahe Wanderungen, zu denen man Karten aus Karton herausreissen kann. Sucht sich ein anspruchsvoller Alpinist mit jahrelanger Erfahrung Tipps für die nächste Tour, ist er mit einem spezifischeren Outdoor-Magazin allerdings besser bedient.
Wo bleibt Ueli Steck?
Wenn man für die letzten Monate ein Ereignis nennen müsste, das die Schweizer Öffentlichkeit in Bezug auf Berge aufgewühlt hat, war es der Tod von Extremalpinist Ueli Steck. Es war das Pech der Redaktion, dass ausgerechnet er in der ersten Ausgabe der Bergwelten für die Foto-Kolumne «Gepäckkontrolle» posiert und seinen Rucksack geöffnet hat. Kaum hielten die Leser das Heft in der Hand, stürzte er ab. Umso mehr hätte man in der aktuellen Ausgabe erwartet, einen Nachruf auf den bekanntesten Bergsteiger der Schweiz zu lesen – doch Steck wird mit keinem Wort erwähnt.
Und was hat das alles mit Red Bull zu tun?
A propos Schweiz: Man könnte befürchten, ein Magazin aus österreichischem Mutterhaus wartet mit allerlei Tipps für Wanderungen im Tirol oder einer Auswahl der schönsten Kärntner Seen auf. Doch dem ist nicht so. Der Inhalt ist durchs Band schweizerisch. Und was am meisten erstaunt: Abgesehen von einer Werbung für das Magazin Red Bull Bulletin wird der Leser kein einziges Mal an den Energy-Drink erinnert, nicht einmal indirekt. Der rote Bullen bleibt gar so unerwähnt, dass man sich zwangsläufig fragt, was Red Bull mit den Bergwelten bezweckt. Dass es grosse Gewinne abwirft, ist aufgrund der aufwändigen Machart nicht zu erwarten. Oder erhoffen sich die umtriebigen Österreichern, dass die Schweizer Bevölkerung dank dem Magazin öfters zu Berge geht und sich danach eher einen aufputschenden Schluck aus der silbernen Dose genehmigt?
Eine Einzelausgabe von Bergwelten kostet am Kiosk neun Franken.