Der Kioskforscher liest das «Punkt»-Magazin: Alles ist Wirtschaft
Das Magazin «Punkt» versteht Wirtschaft umfassend und berichtet nicht nur über Kennzahlen und Konzerne. Beim Blick in die aktuelle Ausgabe wirkt der Themenmix allerdings allzu beliebig und breitgefächert, wie unser Kioskforscher feststellt.
«Sex sells» lautet eine der Hauptgeschichten im aktuellen «Punkt»-Magazin, versehen allerdings mit einem Fragezeichen. Stimmt das «Naturgesetz der Werbung» also – oder eben doch nicht? Der nicht zuletzt historisch interessante Artikel (Pearl Tobacco bewarb seine Zigaretten bereits 1871 mit einer nackten Jungfrau in schäumender See und kurbelte damit die Verkäufe an) kommt zum Schluss, dass eine sexuell konnotierte Werbestrategie mittlerweile nur noch dann erfolgreich ist, wenn ein Bezug zum entsprechenden Produkt besteht.
Diesem Dogma frönt «Punkt» gleich selbst, und zwar an prominentester Stelle: Auf der Titelseite prangt über dem Schriftzug «Nackt» eine Illustration, die an Schambehaarung erinnert. Und was soll das mit einem Magazin zu tun haben, dessen Slogan «Du bist Wirtschaft» lautet? Die Auflösung folgt erst im hinteren Teil der rund 80-seitigen Schweizer Publikation, der Schwerpunkt der Ausgabe dreht sich direkt oder indirekt um Nacktheit, Sex und Scham. Darunter findet sich durchaus Interessantes: Etwa, dass sich die weltweit grösste XXX-Website «Pornhub» nicht scheut, pointierte politische Statements zu verkünden (Donald Trumps Amtsantrittsrede wurde zum Beispiel unter dem Titel «Angry White Man Fucks Whole Country» auf die Seite geladen). Ein anderer Artikel geht der Frage nach, warum Nacktheit als Protestform fast immer weiblich ist.
Die Texte sind süffig geschrieben und einem breiten Publikum zugänglich. Mit wenigen Ausnahmen sind für die Lektüre keine detaillierten Kenntnisse von ökonomischen Zusammenhängen notwendig.
Dass Rino Borini, der gemäss Begleittext «unter anderem» (!) Chefredaktor und Herausgeber des Magazins ist, in seinem Editorial mit keinem Wort auf dieses geschickt gewählte Hauptthema eingeht, ist eine verpasste Chance. Stattdessen versucht er, der Leserschaft die Augmented Reality, mit der einige Artikel neuerdings angereichert werden, schmackhaft zu machen. Die Zusatzfunktion via Smartphone vermag allerdings nur bedingt zu begeistern: Es handelt sich lediglich um eine Verlinkung auf bereits bestehende, externe Inhalte. Echte Augmented Reality geht anders.
Sprachlich überzeugt das Heft trotz Mini-Redaktionsteam, einzig die nicht seltenen Tippfehler irritieren. Die Texte sind süffig geschrieben und einem breiten Publikum zugänglich. Mit wenigen Ausnahmen sind für die Lektüre keine detaillierten Kenntnisse von ökonomischen Zusammenhängen notwendig. Gerade das macht das Heft aber auch etwas beliebig: Der Slogan müsste nicht «Du bist Wirtschaft», sondern vielmehr «Alles ist Wirtschaft» heissen (was ja auch nicht falsch wäre). Es erschliesst sich jedenfalls nicht auf Anhieb, was der Artikel über den Nacktmull und dessen phänomenale Überlebensfähigkeiten – er wird als der «eigentliche König der Tiere» angepriesen – mit Wirtschaft im engen Sinn zu tun hat.
Es sind dies klassisch linken Rezepte, die hierzulande in absehbarer Zeit nicht mehrheitsfähig sind. Dass sie in einem Wirtschaftsmagazin stehen, erstaunt – und zeugt davon, dass der Grossteil der Leserschaft wohl nicht an der Zürcher Bahnhofstrasse zu finden ist.
Sehr direkt auf ökonomischen Umwälzungen basiert hingegen der streitbarste Artikel des «Punkt»-Magazins: «We’re fucked» nimmt die Prämissen von fortschrittsgläubigen Wissenschaftlern und Journalisten auf, die in Langzeitreihen darlegen, wie sich extreme Armut, Lebenserwartung, Wohlstand und weitere Kennziffern der Menschheit in eine positive Richtung entwickeln. Ihrem «Alles-wird-gut»-Mantra kann der Autor David Fehr herzlich wenig abgewinnen: Trotz Fortschritt und Wachstum schlecke keine Geiss weg, dass längst nicht alle vom Kuchen genug kriegen. Ohnehin wachse dieser Kuchen, wenn überhaupt, kaum mehr. Folgerichtig müssen ihm zufolge «die dicksten Kinder zurückstecken» – und zwar auch in der Schweiz. Wie dies gelingen kann, legt er sogleich nach: Indem man Erbschaften besteuert, das Steuersystem vereinheitlicht, die Vermögenssteuer heraufsetzt und ganz grundsätzlich den Reichtum umverteilt. Es sind dies klassisch linken Rezepte, die hierzulande in absehbarer Zeit nicht mehrheitsfähig sind. Dass sie in einem Wirtschaftsmagazin stehen, erstaunt – und zeugt davon, dass der Grossteil der Leserschaft wohl nicht an der Zürcher Bahnhofstrasse zu finden ist.
Fazit: Im Vergleich zur Handelszeitung oder zur «Bilanz» trumpft «Punkt» mit unkonventionellen Inhalten auf, zudem mit innovativen Illustrationen und Infografiken. Eine echte Alternative zu den klassischen Schweizer Wirtschaftspublikationen ist das Magazin allerdings nicht, dafür sind die Inhalte zu wenig fachspezifisch. Das dürfte freilich auch gar nicht das Ziel der Herausgeber sein, schliesslich ist ja alles Wirtschaft. Pardon, du bist Wirtschaft.