von Franziska Oehmer

Wie weit geht die Meinungsfreiheit für Social Bots?

Ein immer grösserer Teil der Online-Kommunikation erfolgt automatisiert und programmiert. Damit steigen auch die Möglichkeiten zur Manipulation von Online-Diskussionen und die Verbreitung von Fake News. Höchste Zeit zu klären, welche rechtlichen Grundlagen zur Regulierung von Social Bots bestehen.

Die Kommunikationswissenschaft hat auch einen gesellschaftlichen Auftrag: Den Medienwandel nicht nur zu beobachten, sondern ihre Analysen auch in den öffentlichen Diskurs einzubringen. Dieser Artikel ist Teil einer Serie zu aktueller kommunikationswissenschaftlicher Forschung. Als Autorinnen beteiligen sich zunächst Forscherinnen des DGPuK-Mentoring Programms, der MFG – MedienforscherInnengruppe sowie der Zürcher Hochschulen (IKMZ und PHZH).

Nicht nur im Zusammenhang mit dem Brexit-Votum und den US-Wahlen 2016 wird die Rolle von Social Bots für die Meinungsbildung diskutiert und analysiert. Auch im Vorfeld von Abstimmungen und Wahlen in der Schweiz gehen Expertinnen und Experten davon aus, dass die Stimmberechtigten unzulässig beeinflusst werden könnten.

Propagandisten könnten Social Bots nutzen, um unter Vorspiegelung einer menschlichen Identität unerkannt Einfluss auf Stimmungen und Meinungen zu nehmen. Selbst Jack Dorsey, CEO von Twitter, resümiert mit Verweis auf «Missbrauch, Belästigung, Propaganda durch Social Bots und Desinformationskampagnen», dass Twitter «kein gesunder öffentlicher Raum» mehr sei.
In den USA, in Deutschland und innerhalb der EU diskutieren Politikerinnen und Politiker daher aktuell sogenannte Bot-Disclosure-Gesetzesinitiativen, die eine Kennzeichnung für Social Bots verpflichtend und Verstösse rechtswidrig machen sollen. Kein Wunder, dass im aktuellen Wahljahr die Rufe nach (gesetzgeberischen) Massnahmen zur Bekämpfung von Social Bot-Aktivitäten auch hierzulande lautwerden.

Die schweizerische Bundesverfassung bietet Anknüpfungspunkte für Schutzmassnahmen gegen schädigende Social Bots.

Vor allem aus Artikel 16 zum Schutz der Meinungsfreiheit lassen sich auch Rechtsansprüche gegen manipulierende Social Bots ableiten.

Was sind überhaupt Social Bots? Ein Social Bot ist ein programmierbar Software-Agent, der automatisch Inhalte erstellt und mit Nutzern auf sozialen Medien interagieren kann. Bots können zum Beispiel Tweets liken oder einen Facebook-Beitrag teilen. Sie lassen sich auch so trainieren, dass sie mit vordefinierten Textbausteinen gewisse Fragen beantworten können.

Dass es sich bei einem Social Bot nicht um einen individuellen, menschlichen Akteur handelt, wird meist nicht transparent gemacht und erschliesst sich auch nicht immer mühelos. Der Nutzer geht also davon aus, mit einem anderen Menschen zu kommunizieren. Dank der Automatisierung können Bots in einer hohen Frequenz kommunizieren.

Mithilfe einer «Bot-Armee» lässt sich eine Meinung als vorherrschend darstellen, obwohl sie nicht von einer Mehrheit vertreten wird.

Zwei Folgen von Social-Bot-Aktivitäten, welche die freie und ungehinderte Meinungsbildung und -äusserung in Demokratien gefährden können, sind damit denkbar: Zum einen können Äusserungen von realen Personen in der Masse der Social Bot-Kommunikation untergehen. Zum anderen kann die Vielzahl der meist einseitigen Social-Bot-Kommunikation zu einer Fehleinschätzung über das tatsächliche Meinungsbild führen: Mithilfe einer «Bot-Armee» lässt sich eine Meinung als vorherrschend darstellen, obwohl sie nicht von einer Mehrheit vertreten wird. Zudem wird einer häufig kommunizierten Ansicht mehr Relevanz zugesprochen. Dies kann die aus der Kommunikationswissenschaft bekannte «Schweigespirale» in Gang setzen: Menschen trauen sich deutlich weniger oder gar nicht mehr, ihre Meinung öffentlich zu äussern, wenn sie den Eindruck haben, diese vertrete nur eine Minderheit. Andere hingegen, die sich in ihrer Meinung durch die unzähligen Social-Bot-Kommentare bestärkt fühlen, werden angeregt, sich in gleicher Weise wie der Bot zu äussern. Als Folge der Schweigespirale entsteht ein häufig einseitiges und nicht repräsentatives Stimmungsbild zu gesellschaftlichen Fragen.

Rechtlich geklärt werden muss darum zweierlei:

  1. Lässt sich aus Artikel 16 der Bundesverfassung zur Meinungsfreiheit ein Recht auf Kommunikation von und durch Social Bots ableiten? Woraus die Frage folgt: Wäre ein Verbot von Social Bots verfassungswidrig?
  2. Falls eine grundlegende Verfassungskompatibilität von Social Bots bejaht wird: Können Social Bots dennoch Grenzen gesetzt werden?

Die Verfassung schützt die für demokratische Prozesse wichtige Möglichkeit zur Bildung, Äusserung und Verbreitung von Meinungen. Damit umfasst Artikel 16 nicht nur explizit den Schutz der Meinungsäusserung selbst, sondern auch implizit die ungehinderte, nicht manipulierte Meinungsbildung. Er kann daher auch die Verpflichtung des Staates begründen, eine funktionierende Kommunikation zu schaffen und aufrecht zu erhalten. Daraus folgt in der Konsequenz, dass der Staat einschreiten kann und soll, wenn die öffentliche Kommunikation gestört und manipuliert wird.

Zu Punkt 1: Grundrechte können in der Regel nur Menschen, seltener auch juristische Personen, beanspruchen. Der Social Bot verfügt (aktuell) über keine eigene Rechtspersönlichkeit. Die Meinungsäusserungen von Social Bots werden daher als Meinungsäusserungen von jenen Personen aufgefasst, die diese Inhalte teilen und liken oder von Personen, die diese Inhalte programmiert haben. Diese gelten somit als Träger des Rechts auf freie Meinungsäusserung, die sich lediglich hierzu der Bot-Technologie bedienen. Der Bot wird damit einem Plakat oder einem Zeitungsartikel gleichgestellt. Ungeklärt ist dabei jedoch, wie man mit Meinungsäusserungen von zunehmend selbstagierenden und -reagierenden Social Bots umgehen soll. Eine einfache Verantwortungszuschreibung zum Programmierer scheint hier an Grenzen zu stossen.

Da das Grundrecht auf freie Meinungsäusserung auch Inhalte schützt, die anonym oder unter einem Pseudonym veröffentlicht werden, kann das Vortäuschen einer falschen menschlichen Identität über Social Bots nicht verboten oder sanktioniert werden. Damit können Social-Bot-Technologien auch Personen nutzen, die aus Furcht vor Repressalien nicht unter Klarnamen kommunizieren können, wie Whistleblower oder Regimekritiker in Diktaturen. Das heisst jedoch nicht, dass Social-Bot-Aktivitäten, wenn sie (potenziell) schädigend sind, nicht geahndet werden können.

Zu Punkt 2: Verstösst die Nachricht eines Bots gegen das Persönlichkeitsrecht anderer oder verbreitet er diskriminierende oder verleumderische Inhalte, darf das Recht auf Meinungsäusserungsfreiheit des Bots beispielsweise eingeschränkt und auch sanktioniert werden. Auf der Anklagebank sitzt dabei natürlich nicht der Bot, sondern der Programmierer oder die Person, die den Inhalt liket oder teilt. Der bestehende rechtliche Rahmen ist dafür ausreichend. Bisher war das noch kein Thema für Schweizer Gerichte.

Um das Verbreiten massenhafter, einseitiger Äusserungen durch Social Bots vor allem im Vorfeld von Abstimmungen und Wahlen zu unterbinden, kann, zudem gestützt auf Artikel 16 der Bundesverfassung, ein staatlicher Eingriff in die Meinungsäusserungsfreiheit erfolgen: Denkbar wäre beispielsweise ein generelles Verbot des massenhaften Nachrichtenversands durch Social Bots in meinungsrelevanten Foren, vor allem vor Abstimmungen und Wahlen. Auch Parteien und politisch-gesellschaftlichen Gruppierungen könnte der Einsatz von Social Bots generell verboten werden. Dies ist jedoch nur unter Mitwirkung von Facebook, Twitter und Co. möglich, die durch den Einsatz von Bot-identifizierender Software Aktivitäten auf ihren Plattformen selbst kontrollieren und unterbinden.

Leserbeiträge

Mirjam Teitler 09. April 2019, 10:53

Social Bots sind ein Problem, mit dem sich auch die Legislative auseinandersetzen muss, ob sie aber aufgrund der Meinungsäusserungsfreiheit reguliert werden kann, erscheint mir fraglich. Freiheitsrechte sind grundsätzlich Abwehrrechte. Sie geben dem Bürger ein Recht, sich gegen staatliche Eingriffe, z.B. Zensur zu wehren. Sie sind nicht Restgrundlage für aktives staatliches Handeln.