von Nick Lüthi

Blick TV: In Rekordzeit von Null auf Normalbetrieb

Seit sechs Wochen sendet Blick TV. In der kurzen Zeit hat das neue Video-Angebot von Ringier bereits zum Normalbetrieb gefunden. Unerwartete Starthilfe leistet die Corona-Krise.

Der 17. Februar liegt in weiter Ferne, zurück in einer anderen Zeit. Damals herrschte noch eine heile Welt ohne Corona-Pandemie. Dass seither noch keine zwei Monate vergangen sind, will man auch nicht recht glauben bei einem Blick auf Blick TV.

Es wirkt, als sei der Video-Kanal der Ringier-Zeitung schon immer da gewesen. Während andere Medienprojekte von vergleichbarer Grösse Monate, wenn nicht Jahre brauchen, um zu einem stabilen Betrieb zu finden, dauerte es bei Blick TV nur ein paar Tage. Entsprechend realitätsfern lesen sich heute Kritiken der ersten Sendestunden. Nach sechs Wochen fällt die Zwischenbilanz positiver aus.

Ein Bulletin dauert zwischen fünf Minuten und einer Viertelstunde. Dann kommt die Wiederholung. Ideal zum rein- und wieder rauszappen.

Blick TV leistet solides Videohandwerk, wobei die Machart noch stark nach Regionalfernsehen aussieht. Ans Schweizer Fernsehen erinnert immerhin schon das Studiodekor mit dem roten Globus im Hintergrund. Davor steht ein schlichtes Moderationspult, darauf der obligate Laptop.

Dahinter führen in der Primetime zwei Anchors und in den Randzeiten eine Person durchs Programm. Dieses besteht hauptsächlich aus Einspielern, dazu kommen Gespräche mit Kolleginnen aus der «Blick»-Redaktion oder mit Experten irgendwo im Land.

Regelmässig lädt Blick TV zudem Gäste zum Talk ins Studio ein. Ein Angebot, das Politikerinnen und Politiker gerne wahrnehmen. Und so geht es von Morgen früh bis Abend spät. Ein Bulletin dauert zwischen fünf Minuten und einer Viertelstunde. Dann kommt die Wiederholung. Ideal zum rein- und wieder rauszappen.

Blick TV repräsentiert die Medienmarke «Blick» angemessen mit bewegten Bildern. Wobei auffällt, dass der Boulevardgehalt geringer ist als auf der Website oder auf Papier. Blick TV ist ein Nachrichtensender, in Zeiten von Corona erst recht. Das Virus bietet dafür gerade reichlich Stoff. Vor dem Start musste man sich Sorgen machen, ob 17 Sendestunden pro Tag nicht etwas viel sind für ein «CNN im Taschenformat».

Die Reporter hetzen nicht quer durchs Land auf der Suche nach dem nächsten Corona-Aufreger, wie das andere tun.

Obwohl Blick TV mit CNN eine Partnerschaft pflegt für die globale News-Berichterstattung, erinnert wenig an den US-Nachrichtensender. Derzeit dominieren Bilder aus der Schweiz die Berichterstattung. Dabei bleibt die Tonlage stets nüchtern, die Redaktion rapportiert. Die Reporter hetzen nicht quer durchs Land auf der Suche nach dem nächsten Corona-Aufreger, wie das etwa die deutsche «Bild»-Zeitung macht mit ihrem Video-Angebot.

Fest steht aber schon heute: Das Fernsehen hat Ringier mit Blick TV mitnichten neu erfunden, wie Chefredaktor Jonas Projer vor dem Start behauptete. Wenn 2020 erstmals ein Schweizer Medienhaus einen Video-News-Dienst für die mobile Nutzung anbietet, dann sagt das weniger über die Innovationskraft von Ringier aus, als über die Branche insgesamt, die (wieder einmal) einen Trend zu verschlafen drohte.

Interaktiv war Blick TV nur in den Anfangstagen, als Chefredaktor Jonas Projer Zuschauerkritik vorlas und dazu Stellung nahm.

Doch als Pionier wird Blick TV bald zum Gejagten. Ab April gilt bei 20min.ch «Video first». Die neue Bewegtbildstrategie der reichweitenstärksten News-Plattform der Schweiz umfasse auch ein Newsformat. Allerdings wolle man damit «viel interaktiver sein als eine klassische Newssendung», sagte Tamedia-CEO Christoph Tonini Anfang März.

Interaktiv war Blick TV nur in den Anfangstagen, als Chefredaktor Jonas Projer Zuschauerkritik vorlas und dazu Stellung nahm. Inzwischen beschränkt sich die Interaktion auf Online-Kommentare, die unter den Blick-TV-Beiträgen gepostet werden können, sobald diese als Videoclips auf blick.ch veröffentlicht stehen.

Bis in drei Jahren muss das Projekt profitabel sein, sonst droht die Mattscheibe. So lautet die Vorgabe des Unternehmens. Das gelingt nur, wenn die Werbung mitzieht. Aktuell bieten sich dafür nicht die besten Voraussetzungen. Doch bei Blick TV dürfte der coronabedingte Rückgang «nach heutiger Einschätzung deutlich weniger dramatisch ausfallen als bei anderen Mediengattungen», teilt ein Ringier-Sprecher auf Anfrage mit.

Viel mehr als die 15 Sekunden Werbung vor dem Video-Start dürfte kaum toleriert werden.

Unabhängig von der ausserordentlichen Lage auf dem Medienmarkt ist Videowerbung kein Selbstläufer. Das Publikum goutiert sie nur wohldosiert. Viel mehr als die 15-sekündige Pre-Roll vor jedem Start des Streams und einer gelegentlichen Unterbrecherwerbung dürfte da nicht drin liegen. Doch Blick TV schafft auch einen kommerziellen Mehrwert, indem es die Nutzungsdauer auf der Website blick.ch allgemein erhöht dank einem grösseren Anteil an Video-Inhalten.

Dass Blick TV in der kurzen Zeit bereits zum Normalbetrieb gefunden hat, zeigt auch ein Vergleich mit Expressen TV aus Schweden, das Ringier zum Vorbild genommen hat für das eigene Projekt. Und Blick TV braucht den Vergleich nicht zu scheuen. Wenn sein Programm nach nur sechs Wochen so aussieht wie Expressen TV nach fünf Jahren, dann zeigt das auch: Das Fernsehen ist erfunden.