Die SRG und der Fluch des Hockeystocks
Die fetten Jahre sind vorbei: Auch wenn die SRG nun pro Jahr 50 Millionen Franken mehr erhält von der Medienabgabe, ändert das nichts an ihrer schwierigen Lage. Mit weniger Geld soll die SRG das Gleiche leisten wie bisher und sich gleichzeitig neu erfinden. Der dramatische Rückgang der Werbeeinnahmen eröffnet aber auch interessante Zukunftsperspektiven.
Gilles Marchand muss zufrieden sein. Zumindest teilweise. Oder zufrieden auf Zeit. Der Generaldirektor der SRG hat im grossen Interview mit der MEDIENWOCHE im November 2019 gesagt: «Was die SRG braucht, ist ein korrektes, berechenbares Budget, um den Leistungsauftrag zu erfüllen.» Auf der Seite der Gebührenabgabe hat er das jetzt. «Der Bundesrat hat (…) beschlossen, den Abgabenanteil der SRG um 50 Millionen zu erhöhen», heisst es in der Mitteilung vom 17. April.
50 Millionen Schweizer Franken sind schon mal gut. Auf mittlere Sicht aber wahrscheinlich nicht gut genug. Der Bundesrat spricht von einer «Teilkompensation der Werbeausfälle» und die SRG schreibt: «Der Beitrag kompensiert einen Teil der Werbeverluste der vergangenen Jahre und gewährleistet die Aufrechterhaltung des SRG-Leistungsauftrags gemäss Konzession.» Denn die Werbung bricht weg. Nur die Gebühren sind sicher.
Die Wortwahl von Bundesrat und SRG sind nicht ohne Grund fast deckungsgleich. Allein für die ersten beiden vollen Amtsjahre von Generaldirektor Gilles Marchand musste die SRG einen Rückgang der Werbung von 36 Millionen Franken notieren. Im Jahr 2019 wurde ausserdem die Deckelung des Abgabenanteils auf 1,2 Milliarden Franken wirksam, die der Bundesrat noch zur Amtszeit von Doris Leuthard beschlossen hatte.
Und das hatte zur Folge, dass der Spar- und Reinvestitionsplan von 100 Millionen, den die SRG noch am Tag der «No Billag»-Abstimmung (4. März 2018) verkündet hatte, um weitere 50 Millionen aufgestockt werden musste. Immer mit dem Ziel, die Sparpläne bis Ende 2020 zu erfüllen.
«Wir werden sie erfüllen», erklärt SRG-Sprecher Edi Estermann, «und zwar bis Ende 2020.» Allerdings voraussichtlich wieder mit einem negativen Rechnungsergebnis. 2019 war es ein Minus von 22 Millionen. Für 2020 rechnet die SRG schon als Folge der Corona-Krise mit unvorhergesehenen Belastungen «im Bereich eines höheren zweistelligen Millionenbetrags. Wir können das aber noch nicht beziffern», so Estermann.
Die SRG durchläuft politisch und betriebswirtschaftlich seit vier, fünf Jahren ein schwieriges – man müsste sagen: ein kritisches – Wegstück.
All das blieb und bleibt auch für das Personal nicht folgenlos. Es gab im Jahr 2019 keine «allgemeinen Lohnmassnahmen», und die SRG hat im gleichen Zeitraum 74 Vollzeitstellen abgebaut. Der Versuch, die notwendigen Einsparungen «vor allem im Bereich von Distribution, Technik [Integration der Technologie-Tochter tpc bei SRF] und Immobilien» und nicht auf Kosten der Menschen zu realisieren, hatte nur begrenzten Erfolg. Und es gab auch kurz davor schon Entlassungswellen.
Die SRG durchläuft politisch und betriebswirtschaftlich seit vier, fünf Jahren ein schwieriges – man müsste sagen: ein kritisches – Wegstück. Und es mag noch einmal so lange dauern, bis sie den Wendepunkt erreicht. Dabei macht sie die gleichen Erfahrungen wie ihre privaten Konkurrenten: Sie erlebt den negativen Hockeystock-Effekt.
Die Zeitungsverleger kennen diese Abwärtsbewegung schon länger. Und sie wissen: Die Werbefinanzierung der Bezahlzeitungen ist ein Auslaufmodell.
Die Grafik des Hockeystocks kennt man aus der Klimadebatte, wo sie – wie bei einem waagrecht gehaltenen Hockeystock – zuerst über die längere Strecke eine langsame Zunahme der CO₂-Belastung anzeigt, bis dann mit der Industrialisierung, der scharfe Knick zwischen Schaft und Schaufel nach oben die rapide Zunahme des Treibhausgases signalisiert. Bei der Werbung in den «klassischen» Medien – Print, Radio, lineares Fernsehen – geht der Trend in die Gegenrichtung: Der Stock weist scharf nach unten.
Die Zeitungsverleger kennen diese Abwärtsbewegung schon länger. Und sie wissen: Die Werbefinanzierung der Bezahlzeitungen ist ein Auslaufmodell. Das gilt ebenso für die SRG. Auch bei der Mischfinanzierung des Service public durch Werbung und Gebühren bildet die Werbung ein Klumpenrisiko. Der Hockeyknick signalisiert eine existentielle Gefahr, die wie das Corona-Virus alle befällt, die sich nicht zu schützen wissen.
Dabei hat diese negative Entwicklung bei der SRG mit einer positiven Dynamik in den 1980er- und 1990er-Jahren begonnen: Ausbau der Programme im Fernsehen und Radio, unternehmerisches Handeln nach innen und aussen. Diese Dynamik war beim Radio allerdings auch sehr umstritten. Die neuen Angebote (in der Deutschschweiz DRS 3, 1983; Virus, 1999) wurden zu Recht als direkte Konkurrenz zu Schweizer Privatstationen wie Roger Schawinskis Radio 24 empfunden.
Beim Fernsehen richtete sich der Konkurrenzkampf vor allem gegen die private ausländische Konkurrenz (RTL, Sat1, TF1, Mediaset/Canale 5 etc.). Die private Schweizer Konkurrenz wurden mit Presse TV in das Gefüge der SRG integriert. Investiert wurde in die zweiten Fernsehkanäle (Deutschschweiz: «Ein Programm auf zwei Kanälen»), in den Sport mit dem Einkauf von Übertragungsrechten und günstigen Serien – die dominante Stellung im Markt des Schweizer Fernsehens hat das erleichtert. Später kamen eingeschweizerte, internationale kommerzielle Formate dazu, wie «Voice of Switzerland» oder «Musicstar».
Das Programmraster des Schweizer Fernsehen ist seit Mitte der 1990er-Jahre bis heute grundsätzlich unverändert, also seit rund 25 Jahren.
Gleichzeitig wurden industriellere Produktionsmethoden eingeführt: «Sparen» hiess mit Fernsehdirektor Peter Schellenberg von 1988 bis nach der Jahrtausendwende: Produktivitäts- und Effizienzsteigerung, tandardisierte Mehrfachbelegung von Studios durch mehrere Sendungen, Verkleinerung mobiler Teams, Aufbau des zweiten Fernsehkanals und von SRF info, mit gleich viel Leuten mehr produzieren.
All das lief unter dem Motto: «Von der Anstalt zum Unternehmen». Nach aussen sichtbar war die Einführung eines Programmrasters, der seit Mitte der 1990er-Jahre bis heute grundsätzlich unverändert ist, also seit rund 25 Jahren. Das Publikum kannte und kennt ihn auswendig. Gleichzeitig begann unter dem Namen «Presse TV» die Zusammenarbeit mit den Privaten: mit Ringier, NZZ und anderen, die grundsätzlich mit anderen Partnern noch heute existiert.
Die Werbezeit wurde nach 1998 bis 2014 mehr als verdoppelt, der Ertrag blieb aber gleich.
Mehr oder weniger deutlich sichtbar waren auch die neu eingeführten Formen für den kommerziellen Ertrag, wie Sponsoring oder Product Placement. Und gleichzeitig dehnte die SRG ihre Werbezeit stetig aus. Das Bundesamt für Statistik zählte für das Jahr 1998 noch 1306 Stunden Fernsehwerbung der SRG. Bis 2008 stieg sie auf 2008 Stunden, und bis 2014 dehnte sie sich nochmals markant und deutlich aus auf 2848 Stunden. Das sind, rein rechnerisch, vier Monate Werbefernsehen im Jahr.
Die quantitative Kommerzialisierung des Schweizer Fernsehens war und ist offenkundig. Aber es war und bleibt auch eine verzweifelte Kommerzialisierung. Die Werbezeit wurde nach 1998 bis 2014 mehr als verdoppelt, der Ertrag blieb aber gleich. Er schwankte vom Jahr 2000 bis zum Jahr 2014 irgendwo im Bereich von 260 Millionen Franken – und seither sinkt er stetig. Den Grund dafür lieferte der Werbe-Experte Ueli Custer zum Jubiläum «50 Jahre Fernsehwerbung in der Schweiz» sehr anschaulich: «Am 1. Februar 1965 gab es in der Schweiz pro Sprachgebiet je einen TV-Kanal, auf dem Schweizer Werbung möglich war. Heute sind es 46 sprachregionale Angebote. Rund drei Viertel davon in der deutschen Schweiz.» (Werbewoche 03/13.02.2015). Daraus entwickelte sich ein überaus wirkungsvoller Preiskampf. Und die Entwicklung ist seither weitergegangen.
Das Fernsehpublikum hat sich aber auch schon längst an die strukturelle Kommerzialisierung des Fernsehprogramms gewöhnt, die auf die Bedürfnisse der Werbekunden ausgerichtet ist. Der «audience flow» wird professionell gepflegt, sprich: Das Publikum wird zwischen 18 und 19 Uhr mit massenwirksamen Programmen wie «Mini Beiz, Dini Beiz» oder «Glanz & Gloria» angezogen. Und die Programmstruktur ist am Vorabend in kleine Teile zerstückelt, damit das Publikum nicht durch überlange Werbeblöcke vertrieben wird, aber trotzdem genügend Platz für die Werbung zur Verfügung steht. So kommt zwischen zwei Werbeblöcken um zirka 18 Uhr eine Minute «Meteo», kurz vor sieben ebenfalls eine Minute «Tagesschau-Schlagzeilen» und zwischen zwei Werbeblöcken vor der Tagesschau kommt «SRF Börse». (Früher gab es an dieser Stelle die Tagesschau-Uhr, die auch versponsert werden konnte). Das war selbstverständlich alles durch Gesetz und Verordnung geregelt und vom Bakom kontrolliert und genehmigt. Und es lässt sich reibungslos in die Ideologie der Wachstumsgesellschaft integrieren.
Das Modell der Mischfinanzierung aus Medienabgabe und Werbung für den nationalen Service public funktioniert nicht mehr.
Aber nun zeigt seit 2011, also seit fast zehn Jahren, die Entwicklung nach unten. Der Werbeertrag ist in dieser Zeit um fast 100 Millionen Franken gesunken. Es ist also zumindest nicht falsch, wenn der Bundesrat und die SRG übereinstimmend feststellen, dass es sich bei der Erhöhung des Gebührenanteils um 50 Millionen Franken um «eine Teilkompensation der Werbeausfälle» handelt.
In Klartext: Das Modell der Mischfinanzierung aus Medienabgabe und Werbung für den nationalen Service public funktioniert nicht mehr. So gesehen war es ein Glücksfall, dass gerade jetzt zu prüfen war, ob denn die Finanzierung der SRG noch angemessen ist. Die 50 Millionen Franken für die SRG sind also keine Nothilfe, wie etwa die privaten Radio- und Fernsehstationen meinen – die ja für die gebührenfinanzierten Stationen auch in den Genuss einer leichten Gebührenerhöhung kommen. Es ist das Ergebnis einer regulären Prüfung der angemessenen Finanzierung. Der Bundesrat hat nun also, in einem ersten Schritt, die Situation für die SRG geregelt. Und nachdem er vor ein paar Wochen die Nothilfe für die privaten Medienunternehmen abgelehnt hat, wird er voraussichtlich noch im April, also in diesen Tagen, seine Vorstellungen für die Medienförderung auch der privaten Presse auf den Tisch legen.
In den Jahren des Wachstums hat die SRG die Strukturen für eine grössere Anzahl von Radio- und Fernsehprogrammen geschaffen.
Die SRG kann kurz durchatmen und sich dann auf die neuen, knapperen Verhältnisse einrichten. 50 Millionen mehr pro Jahr helfen, die Lage für den Augenblick zu entspannen. Aber die fetten Jahre sind vorbei. Denn die Sommaruga-Millionen reichen bei Lichte besehen gerade dazu aus, die Hälfte des Werbeminus von 100 Millionen seit 2011 auszugleichen. Und in der Zeit des negativen Hockeyknicks wächst nur das Minus. Für die SRG herrscht Abmagerungszeit.
Mit anderen Worten: In den Jahren des Wachstums hat die SRG die Strukturen für eine grössere Anzahl von Radio- und Fernsehprogrammen geschaffen. Und noch in den Jahren des Werberückgangs hat sie an den neuen Strukturen für die notwendige Digitalisierung gebaut. All diese Strukturen zusammen sind in der gegebenen Form mit den heute verfügbaren Mitteln nicht mehr zu finanzieren.
Die SRG muss also nach wie vor den Gürtel enger schnallen oder noch effizienter werden in einer Zeit, in der sie sich auch noch fit machen muss für die Zukunft. Das heisst: Sie muss den ganzen Betrieb und den Umbau des Unternehmens stemmen, und das ist eine Dreifachbelastung.
- Sie muss das bestehende Programmangebot für ihr Stammpublikum weiterführen, in gleichbleibender Qualität, und mit der Krisenfestigkeit, die wir gerade erleben. In einer tiefgreifenden Krise, die noch nicht zu Ende ist.
- Sie muss ihre eigene, neue digitale Medienwelt entwickeln, aufbauen und zu einem akzeptierten Angebot machen. Das heisst, sie muss vom konvergenten zum multimedialen Medienhaus werden.
- Sie muss dieses mehrsprachige nationale Unternehmen im laufenden Betrieb tiefgreifend umstrukturieren.
Sie muss diese ganze Operation zudem mit abnehmenden Mitteln durchführen, dabei die Risikogruppe des alteingesessenen Publikums behalten und gleichzeitig die kosmopolitisch migrierende Jugend dauerhaft für sich gewinnen. Eine echte Herausforderung. Und sie verlangt vielfältige Investitionen: an Geld, an Kapazität, an Ideen und Kreativität. Bei der bemerkenswerten Bewältigung der Corona-Krise in den letzten Wochen schimmerte da und dort durch, dass die Verhältnisse prekär sind.
Onlinewerbung für die SRG wäre aber eine Kriegserklärung an die Verleger, die es seit je ablehnen, dass die SRG im Internet kommerziell tätig wird.
Die aggressive Lösung wäre der Rückgriff auf die Option Onlinewerbung. Der Bundesrat hat am 14. September 2012 seine Haltung bestätigt, «dass die SRG mittelfristig im Interesse der Gebührenzahlenden auch im Internet kommerziell tätig sein muss. Angesichts der positiven Entwicklung der SRG-Werbeerträge in den letzten zwei Jahren erachtet der Bundesrat allerdings heute eine Öffnung als verfrüht.» Genau im Jahr dieser Stellungnahme hat sich die Tendenz gedreht und der Effekt des negativen Hockeystocks hat zugeschlagen. Mit einem Minus eines mittlerweile über 100 Millionen geringeren Werbeertrags. Die Onlinewerbung für die SRG wäre aber eine Kriegserklärung an die Verleger, die es seit je ablehnen, dass die SRG im Internet kommerziell tätig wird.
Die friedliche Lösung wäre der Verzicht der SRG auf jegliche Werbung. Dieser Entscheid müsste aber der Bundesrat fällen. Er würde zudem die nachhaltige gemeinsame Einsicht voraussetzen, dass die existentiell bedrohlichste Gefahr aus dem globalen Markt kommt, von Unternehmen wie Facebook und Google, die schon heute einen Grossteil der Werbebudgets absorbieren.
Neben der SRG bewegen sich im schweizerischen Medienmarkt heute vier multimedial aufgestellte, grosse Medienunternehmen, die Partner und Konkurrenten sein können. «Coopetition» heisst das Stichwort, Kompetition und Kooperation zugleich, Wettbewerb und Zusammenarbeit.
Die Privaten leben ja wie die SRG unter der Drohung des Hockeystocks und der Gesetzmässigkeiten des Werbemarkts.
Das Medienkonglomerat in der Hand von Peter Wanner und seiner Kinder, einschliesslich CH-Media im Verbund mit der NZZ, bildet in der Deutschschweiz mittlerweile das grösste private audiovisuelle Medienunternehmen, und es praktiziert die Zusammenarbeit mit der SRG im audiovisuellen Bereich seit Jahren. Gleichzeitig will die Unternehmerfamilie mit «Watson» nun den strategisch angedachten Sprung über den Röstigraben wagen, da die Romandie durch die mediale Ausdünnungspolitik von Ringier und TX Group offenbar Handlungsspielräume eröffnet. Dem Haus eröffnet sich die Chance, mit oder neben der SRG einen Platz in der ganzen Medienlandschaft der Schweiz einzunehmen.
Die TX Group schickt sich an, den Vertrieb ihrer Tamedia-Zeitungen von der öffentlichen Hand finanzieren zu lassen. Gleichzeitig wird sie wie bisher die nationale Multimediaplattform «20 Minuten» als Cash Cow im Stall halten; mit Goldbach und Partnern sind da wohl auch international genährte Aktivitäten in Konkurrenz zur SRG möglich.
Und Ringier lancierte mit Blick TV ein Smartphone-Fernsehen, das einen Hinweis auf die publizistische Digitalentwicklung des Konzerns gibt, sowohl in publizistischer als auch in kommerzieller Hinsicht.
Das Interesse der privaten Medienhäuser am Modell von Konkurrenz und/oder Kooperation mit der SRG ist sicher gross. Die Privaten leben ja wie die SRG unter der Drohung des Hockeystocks und der Gesetzmässigkeiten des Werbemarkts. Der Unterschied besteht lediglich darin, dass der endgültige Knick nach unten bei den Verlegern ein paar Jahre früher ansetzte, nämlich schon von 2007 auf 2008, und dass der Rückgang des Werbeertrags nicht 100 Millionen beträgt sondern (mehr als) eine Milliarde seit 2003 bis heute. Es geht dort in Teilen schlicht um die Existenz.
Der Wettbewerb auf dem Medienmarkt zwischen den privaten Verlagshäusern und dem Service public der SRG ist zurzeit nur stillgelegt. Und in einer Entwicklungsphase, in der alle grösseren Medienunternehmen sich im multimedialen Feld bewegen – SRG, CH-Media, TX Group, Ringier, NZZ –, werden Kooperation und Kompetition, Zusammenarbeit und Konkurrenzkampf, neu organisiert und ausgefochten werden. Aber die stärkste, gefährlichste Konkurrenz kommt aus dem globalen Markt.
Man macht sich unbeliebt, wenn man zur Existenzsicherung Staatsgelder verlangt und gleichzeitig Millionenbeträge für Dividenden in private Taschen schiebt.
Nach den jüngsten Erfahrungen der Corona-Krise ist aber deutlich geworden, dass allzu grosse Egoismen starker Marktteilnehmer auch beim Bundesrat offenbar ungern gesehen werden. Man macht sich unbeliebt, wenn man zur Existenzsicherung Staatsgelder verlangt und gleichzeitig Millionenbeträge für Dividenden in private Taschen schiebt. Und ebenso klar scheint, wie der Preisüberwacher festgestellt hat, dass neben den Haushalten alle Teile der Gesellschaft, «auch die Unternehmen ihren Teil zu einem funktionierenden und unabhängigen Rundfunksystem beizutragen haben.»
Zwar hat die SRG bei der «No Billag»-Abstimmung nach Auffassung zahlreicher Beobachter das grosse Votum des Stimmvolks für eine starke SRG nicht wirklich genutzt. Aber sie hat sich jetzt in der Krise unzweifelhaft bewährt. Die Nutzerzahlen der Informationssendungen der SRG haben sich mit dem Beginn der Corona-Krise verdoppelt. Im März hatte die SRF-Tagesschau im Durchschnitt eine Million Zuschauende mit einem Marktanteil von fast 50 Prozent, die Sondersendungen lagen ebenfalls im Millionenbereich, 10vor10 hatte einen Zuschauer-Durchschnitt von 583’000 Personen mit einem Marktanteil von gut 40 Prozent. Und in einer europaweiten Umfrage der Europäischen Rundfunk-Union EBU liegt die SRG bei den Zuwachszahlen für die Marktanteile knapp hinter Island auf Rang 2.
Die SRG hat in Teilen seines Programmschaffens eine Beweglichkeit gezeigt, die man seit Jahren kaum noch erfahren hat.
Diese Zahlen bestätigen ohne Zweifel das Bedürfnis nach einem starken nationalen Service public für die ganze Schweiz. Und die professionellen Leistungen der Medienschaffenden in allen Bereichen dürften den Grundsatzdiskussionen über den Service public in der Schweiz für einige Zeit den Boden entzogen haben. Das Unternehmen hat in Teilen seines Programmschaffens eine Beweglichkeit gezeigt, die man seit Jahren kaum noch erfahren hat. Und einzelne Protagonisten haben Fähigkeiten gezeigt, die wir bei ihren professionellen Auftritten bisher nicht wirklich gekannt haben: Aufmerksamkeit, Empathie, Suche nach Verstehen und Erkenntnisgewinn – Eigenschaften, die in solchen Krisenlagen wichtig sind, und die wir in künftigen Herausforderungen wieder nötig haben werden.
Das ist ausbaufähig, damit das notwendige «künftige Normal» nicht den Rückfall in das «alte Normal» bedeutet. Auch für die Medien des Service public und insbesondere der SRG ist der Satz des Westschweizer Brigadier Raynald Droz erinnerungswürdig: «Unser System kann sich rasch anpassen, aber es fehlt die Ausdauerkultur.» (Im Gespräch mit Pia Wertheimer, Sonntagszeitung, 29. März 2020).
Gefragt ist jetzt Ausdauer für Innovation, für einen neuen Blick auf die gesellschaftliche Wirklichkeit, der da und dort im Programm sichtbar wurde, und für Arbeitsbedingungen der Medienschaffenden an allen Arbeitsplätzen, in denen sie noch vermehrt aus der Routine treten können.
Der Service public hat um die Jahrhundertwende bis ins erste Jahrzehnt hinein seine Leistungen unter komfortablen Wachstumsbedingungen ausgebaut. Er hat in den letzten Jahren unter einer Dreifachbelastung seine Leistung erbracht: die Fortsetzung des alten Angebots, der Aufbau eines neuen Angebots und den Umbau der Strukturen. Und er hat jetzt unter Anspannung aller Kräfte die Belastungen der Krise mit Erfolg und Bravour bestanden.
Aber da und dort waren die Grenzen der Belastbarkeit auch zu spüren oder zumindest zu ahnen. Anstelle der endlosen Spardiskussion wäre jetzt eine wirksame Analyse der Frage angesagt: Welche Leistungen müssen und können wir erwarten, und wie müssen sie auf mittlere und längere Frist ausgestattet werden?