von Miriam Suter

The Good, The Bad & The Ugly IX

Basler Zeitung, SRF, Mario Fehr

The Good – Ein Sieg für die Pressefreiheit

Vor acht Jahren veröffentlichte die Journalistin Nina Jecker in der «Basler Zeitung» einen Artikel über einen Kantonsangestellten, der im Nebenjob seit über zehn Jahren Cannabis und Haschisch verkauft hatte.

Daraufhin interessierte sich die Basler Staatsanwaltschaft für den Namen des Dealers. Die BaZ-Journalistin stützte sich auf den Quellenschutz und weigerte sich, seine Identität preiszugeben. Doch das Bundesgericht verurteilte die Journalistin wegen Zeugnisverweigerung.

Die «Basler Zeitung» berief sich auf die Pressefreiheit und rekurrierte dagegen beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Am Dienstag folgte dann das Urteil: Jecker bekam Recht, Strassburg gewichtet die Pressefreiheit höher als die Interessen der Basler Staatsanwaltschaft.

Es ist ein wichtiger Sieg für die Medienfreiheit. Gerade in einer Zeit, in der Behörden zunehmend versuchen, die Arbeit von Journalist*innen zu beschneiden – erst kürzlich behinderten Kantonspolizist*innen in Bern einen «Watson»-Reporter bei der Arbeit.

Das Urteil macht hoffentlich auch Jana Avanzini Mut: Die freie Reporterin besuchte 2016 für «Zentralplus» ein besetztes Haus in Luzern. Der Besitzer klagte wegen Hausfriedensbruch, das Luzerner Kantonsgericht gab ihm Recht. Die Journalistin will das Urteil weiterziehen vor Bundesgericht.

The Bad – Wohin gehts, SRF?

Am Dienstag stellte SRF-Direktorin Nathalie Wappler im Rahmen des Transformationsprojekts «SRF 2024» ein umfassendes Sparprogramm vor: Neben Entlassungen und Umschulungen werden verschiedene Formate gekippt – darunter die prestigeträchtige Radiosendung «52 beste Bücher».

Der Aufschrei der Kulturszene war gross und gipfelte in einem offenen Brief, initiiert von Schriftsteller Alain Claude Sulzer. 20 namhafte Autor*innen, darunter Sibylle Berg, Martin Suter und Peter Stamm, forderten die SRF-Direktorin auf, «ihre Entscheidung zu überdenken oder allenfalls adäquate Sendeplätze zu schaffen, auf denen Literatur den Platz bekommt, den sie braucht».

Am Donnerstag antwortete Wappler den Autor*innen. Sie schreibt, das Angebot solle an die neue Mediennutzung angepasst werden. Die Fachredaktion Literatur habe den Auftrag, ihr Angebot ganzheitlich neu aufzugleisen. Konkrete Ideen wurden nicht kommuniziert.

Warum wird die Sendung zum Beispiel nicht als Podcast lanciert? Es scheint, SRF wisse selber nicht, wo die Reise hingehen soll. Eine derart prestigeträchtige Sendung ohne neue Vorschläge zu kippen, steht Wappler nicht gut an. Immerhin begleitet die Kultur sie schon ihre gesamte journalistische Karriere, von der Redaktorin und Chefin vom Dienst bei der 3Sat-Sendung «Kulturzeit» bis zur späteren Abteilungsleiterin Kultur bei SRF.

Nirgendwo sonst kommen Autor*innen derart hintergründig zu Wort wie bei «52 Beste Bücher». Trotz Spardruck muss SRF ein würdiges Nachfolgeformat bieten.

The Ugly – Medienmitteilung from Hell

Am Mittwoch stürzten zwei abgewiesene Asylbewerber aus dem Fenster des ehemaligen Pflegezentrums Erlenhof in Zürich und verletzten sich. Polizei und Sanität mussten ausrücken. Ob die beiden Männer absichtlich sprangen, ist unklar.

Gemäss «20 Minuten» wollten sie fliehen, um der Verlegung in den Asylbunker in Urdorf zu entgehen – die Zustände dort seien ein «Horrorszenario». Klar ist dafür: Die Zürcher Sicherheitsdirektion unter dem Sozialdemokraten Mario Fehr findet für den Vorfall menschenverachtende Worte.

In ihrer Medienmitteilung vom Mittwoch schreibt sie, bei den Bewohnern handle es sich um abgewiesene straffällige Asylbewerber, die sich «an keine Regeln halten» und denen es «offensichtlich egal» sei, «sich selber und andere in Gefahr zu bringen und im schlimmsten Fall auch Unbeteiligte anzustecken». Die Quarantänebestimmungen in der Schweiz gelten für alle, heisst es in der Medienmitteilung weiter. Stimmt, was Corona-Massnahmen angeht sind wir in der Schweiz streng – naja gut, bei fast allen.

Medienmitteilungen sind kein Journalismus. Aber sie beeinflussen, wie Journalist*innen ihre Berichterstattung gewichten, welche Worte sie wählen und welche Perspektive sie einnehmen – jedenfalls bei «20 Minuten», wo man den Wortlaut der Medienmitteilung prominent zitiert hat in Titel und Zwischentitel.

Auch für Schreibende von Medienmitteilungen sei daher in Erinnerung gerufen: Worte steuern unser Handeln — das müsste gerade einem Sozialdemokraten bewusst sein. Oder wie die «Republik» treffend schrieb: «Niemand tritt auf Leute ein, die verletzt am Boden liegen. Ausser Feiglinge. Und Mario Fehr.»

Leserbeiträge

Peter B. 10. Oktober 2020, 10:29

Wer an Covid erkrankt sein könnte und lieber frei in der Gegend rumrennt, als sich an die Quarantäne zu halten, riskiert Menschenleben und handelt zutiefst asozial. Ob es sich dabei um Geflüchtete handelt oder nicht, spielt keine Rolle. Das darf auch so kommuniziert werden. Whatabaoutism – „aber die Politiker imfall auch“ – bringt uns nicht weiter. Klar ist hingegen, dass die Sicherheitsdirektion die Lage in Urdorf nicht im Griff hatte. Dafür muss sich Fehr verantworten, nicht für diese Mitteilung.

streiffli 11. Oktober 2020, 09:25

Kurz und klar ausgedrückt,  ich bin exakt deiner Meinung. Good day.

Kurt Baltisberger 12. Oktober 2020, 11:13

Die Kritik an der Einstellung von „52 Beste Bücher“ kann ich nicht nachvollziehen. Die Sendung ist zwar qualitativ gehaltvoll aber hoffnungslos verstaubt und veraltet.

Es ist völlig richtig, dass SRF das Programm endlich „ausmistet“ und Bücher in zeitgemässer Form vorstellt. Ein solches Format soll schliesslich nicht nur von den Schriftstellern sondern hauptsächlich dem Publikum wahrgenommen werden.