Die Ringier-DNA und ihre Grenzen
Mit dem Verkauf von «Le Temps» endet für Ringier ein weiterer Ausflug abseits des Boulevards nach nur wenigen Jahren. Damit wiederholt sich die Geschichte. Ringier tut sich immer wieder schwer mit publizistischen Projekten abseits des Kerngeschäfts.
Eine «Herzens-Sache» sei es. «Ein Bekenntnis zum Journalismus. Ein Bekenntnis zur Westschweiz.» So kommentierte im April 2014 Ringier-Konzernchef Marc Walder die Übernahme der Tageszeitung «Le Temps». Das Bekenntnis zum Qualitätstitel sollte sechs Jahre halten. Anfang November gab Ringier Axel Springer bekannt, das Blatt per Anfang 2021 an eine Stiftung zu veräussern.
Als Grund für die Trennung von «Le Temps» nannte das Medienhaus «mangelnde Synergien mit seinem publizistischen Portfolio, welches zum grössten Teil aus Zeitschriften besteht». Synergien für «Le Temps» suchte Ringier in den sechs Jahren Eigentümerschaft mit seinem politischen Wochenmagazin «L’Hebdo», allerdings weniger mit strategischem Weitblick als aus schierer Geldnot. Das Ergebnis ist bekannt. «L’Hebdo» wurde 2017 nach fast 36 Jahren eingestellt. Und «Le Temps» drei Jahre später verkauft. Damit endet ein weiteres Kapitel Qualitätspublizistik im Hause Ringier, wie schon so viele andere zuvor geendet hatten.
Die publizistische DNA des traditionsreichen Verlagshauses ist offensichtlich so stark, dass Projekte ausserhalb des Kerngeschäfts mit Boulevard- und Unterhaltungsmedien einen schweren Stand haben. Sinnbildlich dafür steht die aktuelle Entwicklung in der Westschweiz: Weniger als einen Monat vor Bekanntgabe des «Le Temps»-Verkaufs kündigte Ringier die Expansion mit ihrer Stammmarke «Blick» in die Westschweiz an – Qualitätszeitung geht, Boulevard kommt.
Neben dem Nachrichtenmagazin «L’Hebdo», das sich unter Ringier mehr als drei Jahrzehnte als Referenzblatt einer linksliberalen, EU-freundlichen Elite in der Westschweiz halten konnte, fanden andere Investitionen in den politischen Journalismus ein schnelleres Ende. Die Schwesterpublikation des «L’Hebdo» in der Deutschschweiz, «Die Woche», machte es nur gerade ein Jahr. Auch beim «Bund» in Bern blieb Ringier nicht lange an Bord. Anfang der 1990er-Jahre sah man in der Berner Traditionszeitung einen idealen Partner für die «Luzerner Neusten Nachrichten» LNN, die sich seit 1975 als einzige Regionalzeitung im Portfolio befanden. Doch die Ambitionen zerschlugen sich schnell – nicht zuletzt wegen der Konkurrenz, die den beiden Blättern in Bern und Luzern das Leben auf dem Inseratemarkt schwer machten. «Bund» und LNN gingen schliesslich an die NZZ.
Nicht nur in der Schweiz, auch im Ausland hatte Ringier wenig Erfolg mit Publikationen, die ausserhalb des Boulevard-Segments positioniert waren.
Auch mit Nachrichten- und Politmagazinen sah es nicht viel besser aus. Bei der «Weltwoche» pokerte Ringier zu hoch und verlor das Blatt im letzten Moment an jene Investoren, die schliesslich Roger Köppel zum starken Mann machten. Die Wirtschaftswochenzeitung «Cash» existierte immerhin 18 Jahre, bevor ihr 2007 das Geld ausging.
Aber nicht nur in der Schweiz, auch im Ausland hatte Ringier wenig Erfolg mit Publikationen, die ausserhalb des Boulevard-Segments positioniert waren. Etwa in Ungarn. Mit «Magyar Hírlap» und «Népszabadság» befanden sich von 2000 bis 2014 gleich zwei gewichtige Titel im Portfolio des Schweizer Verlagshauses, das nach der Wende 1989 seine Geschäftstätigkeit nach Osteuropa ausgeweitet hatte. Doch nach vier («Magyar Hírlap»), respektive neun Jahren («Népszabadság») war Ringier die Blätter auch schon wieder los. In beiden Fällen spielten regulatorische Entscheidungen der Regierung, gegen die sich Ringier mit Klagen wehrte, eine entscheidende Rolle bei der Veräusserung. Was sich dagegen hält in Ungarn, wie auch in weiteren Ländern Osteuropas, ist die Ringier-Marke «Blikk» in Print und Online.
Auch wenn die Gründe für die kurzen und erfolglosen Gastspiele ausserhalb des Boulevards jeweils in der konkreten Konstellation zu suchen sind, gibt es Erklärungsansätze, die breiter greifen – zumindest was die Deutschschweiz angeht.
Ringier kann Boulevard. Aber das dafür richtig und erfolgreich, wie die umtriebige «Blick»-Gruppe zeigt.
Ein wichtiger Grund liegt im publizistischen Profil. «In der Deutschschweiz war Ringier immer die erste Adresse für Magazin- und Unterhaltungs-Journalismus», erklärte der Publizist und Ringier-Kenner Karl Lüönd 2014 gegenüber der MEDIENWOCHE. «Entsprechend haben sich über die Jahre hinweg die Personalstämme in den Redaktionen und den Verlagsabteilungen formiert.» Womit wir wieder bei der DNA wären. Ringier kann Boulevard. Aber das dafür richtig und erfolgreich, wie die weiterhin umtriebige «Blick»-Gruppe zeigt.
Update: In einer ersten Fassung hiess es, die Wirtschaftszeitung «Cash» sei 2006 eingestellt worden. Das stimmt nicht. Es war 2007.