Schweizer Medien im Corona-Jahr 2020
Während die Covid19-Pandemie manche Branchen massiv bremste, zeigten sich die Schweizer Medien im ersten Corona-Jahr sehr umtriebig. Die grossen Unternehmen wollen (und müssen) sich unter Spardruck neu erfinden. Damit verändern sich auch die Rahmenbedingungen für den Journalismus. Unter dem Strich zum Schlechteren. So auch 2020. Ein Über- und Rückblick.
2020 hätte für die Medien in der Schweiz ein weiteres Jahr des Übergangs werden können. Hier ein etwas sparen, dort ein Transformationsprojekt, da ein paar Entlassungen. So weit nichts Spektakuläres – der ewige Prozess von Umbau und Abbau.
Doch spätestens Mitte März ist klar, dass 2020 kein gewöhnliches Jahr werden würde. So schnell wie das Publikumsinteresse an der Berichterstattung zur Pandemie hochschnellt, so schnell versiegt der Fluss der Werbegelder mit dem Shutdown des öffentlichen Lebens.
So lief es für die sechs grössten Schweizer Medienhäuser
Seit Anfang 2020 heisst Tamedia TX Group. Die vormaligen Geschäftsbereiche des Medienhauses figurieren jetzt als Unternehmen unter einem Holdingdach. Tamedia umfasst neu nur noch das Geschäft mit Bezahlzeitungen und Druckereien. An der Spitze der TX Group steht wie bisher bei der alten Tamedia Pietro Supino. Zusätzlich zum Präsidentenamt leitet er neu auch das operative Geschäft, seit Christoph Tonini als letzter Tamedia-CEO zurückgetreten ist.
Als Unternehmen, das zu grossen Teilen von der Werbung lebt, kriegt die TX Group Corona und seine Folgen deutlich zu spüren. «20 Minuten» und Goldbach erleiden im ersten halben Jahr einen starken Einbruch. Am besten steht mit den Markets jenes TX-Unternehmen da. Aber auch die digitalen Marktplätze verloren an Umsatz, wenn auch nur 7 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Während die «20 Minuten» und die Goldbach mit einem blauen Auge davonkommen, geht es bei den Bezahlzeitungen ans Eingemachte. Als direkte Reaktion auf die roten Halbjahreszahlen erhalten Tages-Anzeiger und Co. ein Sparpaket im Umfang von 70 Millionen Franken aufgebürdet.
Schliesslich gilt bei der TX Group die Regel, dass sich jeder selber aus dem Sumpf zieht und dafür zu sorgen hat, dass die Gewinnmarge zur Zufriedenheit von Aktionären und Eigentümerfamilie ausfällt. Wenn die Tamedia-Chefs finden, der Journalismus müsse nun «wirklich neu erfunden werden», dann immer unter der Prämisse, dass er mit weniger Aufwand noch mehr einbringt.
Das geht zum Beispiel, indem eine Redaktion nur noch über lokale Ereignisse berichtet, die auch ausserhalb des Schauplatzes interessieren. Einmal produzieren, dutzendfach verteilen.
Seit Anfang 2020 gilt Mobile First für die ehemaligen Zeitungsredaktionen. Die gedruckte Ausgabe wird am Abend abgefüllt aus den längst für den kleinen Bildschirm produzierten Beiträgen. Damit findet Tamedia immer mehr bezahlende Kundschaft. Inzwischen zahlen 120'000 Personen für ein Digitalabo von Tagi & Co. Das ist eine gute Nachricht zum Jahresende.
Das Familienunternehmen Ringier veröffentlicht keine Halbjahreszahlen. Darum lässt sich das Ausmass der Corona-Folgen für das Geschäft nur indirekt eruieren anhand getroffener Spar- und Abbaumassnahmen.
Bei den Zeitschriften, die Ringier zusammen mit Axel Springer in der Schweiz herausgibt, erfolgt ein substanzieller Abbau. Das Lifestyle-Magazin Style wird im August eingestellt, das Mode- und Kultur-Magazin Bolero soll ausgelagert werden. «Bei den Frauenzeitschriften hat weltweit eine Marktbereinigung stattgefunden. Diese qualitativ sehr hochwertigen Produkte leben von den Anzeigenerlösen, nicht von den Nutzermarkterlösen. Und wenn die Werbeeinnahmen ausbleiben, wird es schwierig», begründet Alexander Theobald, CEO von Ringier Axel Springer Schweiz im Ringier-Mitarbeitermagazin «Domo» die Massnahmen. Federn lassen muss auch die «Schweizer Illustrierte». Insgesamt fallen dem Abbau bei den Magazinen 35 Stellen zum Opfer.
Auf Ausbau stehen Anfang Jahr hingegen die Zeichen beim «Blick». Gerade noch vor Ausbruch der Covid19-Pandemie geht «Blick TV» mit 48 neu geschaffenen Stellen an den Start. Bis heute veröffentlicht Ringier keine Zahlen und hat öffentlich keine Bilanz gezogen zum Start ihrer Video-Offensive. Die oberste Verantwortung dafür trägt seit 1. Oktober Ladina Heimgartner. Die ehemalige stellvertretende Generaldirektorin der SRG steht neu als CEO der «Blick»-Gruppe vor. Das nächste Experiment steht für Heimgartner nächstes Jahr an, wenn Ringier mit der Marke «Blick» in die Westschweiz expandiert.
Auch eine andere prominenten Stelle in der «Blick»-Gruppe besetzt künftig erstmals eine Frau. Ab Anfang 2021 leitet Steffi Buchli den «Blick»-Sport. Eine ebenfalls prominente Frauenpersonalie aus dem Hause Ringier fand dagegen (zu) wenig Beachtung. Seit Juni sitzt Laura Rudas im Verwaltungsrat. Ein Vorgang, der bezeichnenderweise in Österreich stärker registriert wurde als hierzulande, war doch Rudas bis 2014 SPÖ-Nationalrätin und Geschäftsführerin der Partei. Zu Ringier fand Rudas wegen ihrer aktuellen Arbeit für das umstrittene Data-Mining-Unternehmen Palantir Technologies. Ende Jahr wurde bekannt, dass Robin Lingg, Neffe von Michael Ringier, per 2023 Einsitz im Verwaltungsrat nehmen wird. Lingg, der in den letzten sieben Jahren für Ringier den Auf- und Ausbau digitaler Marktplätze verantwortet hatte, soll dereinst das Familienunternehmen leiten.
Die NZZ Mediengruppe mit ihrem geschäftlichen Schwerpunkt auf der Publizistik verzeichnet Corona-bedingt im ersten halben Jahr 2020 einen Unternehmensverlust von 3,4 Millionen Franken. Das Minus führt das Unternehmen vor allem auf den Rückgang der Printwerbung zurück. Ein Rückgang um fast 13 Millionen gegenüber dem Vorjahr.
Ein Sparpaket von 13 Millionen Franken soll nun die Kosten senken. Das Unternehmen beschreibt dies als «Strategieschärfung». «Die Zahl der Kündigungen insgesamt beträgt unter 30», sagte eine Sprecherin zur MEDIENWOCHE. Die Redaktionen und ihr Personal müssen vier Millionen Franken zur Entlastung beitragen. Im Zuge der Sparmassnahmen wurden bereits die Auslands- und Wirtschaftsressorts von NZZ und «NZZ am Sonntag» zusammengelegt. Stellen werden nicht wieder besetzt, aber auch Leute entlassen.
Da half es auch nichts, dass das Digitalgeschäft sich erfreulich entwickelt. So zählen die NZZ-Publikationen seit November 200'000 Abonnentinnen und Abonnenten. Ein Ziel, das erst für Ende 2022 anvisiert war. Allein 2020 seien 30'000 neu dazugekommen. Im März, dem ersten Corona-Monat mit den besonders ausgeprägten Informationsbedürfnissen der Bevölkerung, erzielte nzz.ch zudem einen Zugriffsrekord und überflügelte – gemessen an den Unique Clients – alle anderen Schweizer Online-Medien um Längen.
Wenig Aufmerksamkeit erhielt die Frauenoffensive bei der Besetzung von Leitungsfunktionen. Für fünf Posten wurden 2020 Frauen gewählt: Aline Wanner (Leitung «NZZ Folio»), Anja Burri (Inland «NZZ am Sonntag»), Christina Neuhaus (Inland NZZ), Nicole Anliker (stv. Chefredaktorin NZZ, Leiterin Newsroom), Christiane Hanna Henkel (Ressort Technologie und Wissenschaft NZZ).
Das publizistische Angebot hat die NZZ an verschiedenen Stellen ausgebaut im vergangenen Jahr. Seit Sommer gibt es den Podcast «NZZ Akzent», der wochentäglich während einer Viertelstunde ein aktuelles Thema vertieft. Ausgebaut wurde auch die Präsenz in Deutschland. Die Aussenstelle in Berlin zählt inzwischen acht Redaktorinnen und Redaktoren. Dem eigenen Anspruch, damit einen «Blick von aussen auf Deutschland» zu werfen, steht die Tatsache entgegen, dass die Mehrheit des Berliner Personals aus Deutschland stammt, zuvor für deutsche Medien gearbeitet hat und damit stärker im deutschen Diskurs verhaftet ist als in der Schweiz sozialisierte Journalisten. Fürs Geschäft ist die Vertrautheit mit dem Zielpublikum kein Nachteil. So hat die NZZ in Deutschland ihren Platz gefunden mit einem publizistische Profil, das vor allem heimatlose Liberale und Merkel-Skeptiker anspricht.
Das Unternehmen, das aus einem Zusammenschluss der Regionalmedien (inklusive Druckereien) von NZZ und AZ Medien entstanden ist, legt 2020 die Zahlen für das erste vollständige Geschäftsjahr vor. Die rund 2000 Mitarbeitende generierten 2019 einen Umsatz von 448 Millionen Franken und erwirtschafteten damit einen Gewinn von 19 Millionen.
Die Zahlen für das zweite Geschäftsjahr werden nicht mehr so gut aussehen. Auch darum verzichteten die Aktionäre von CH Media auf die Auszahlung der Dividende im Frühling 2020 und wandelten diese in ein Darlehen um. Nichtsdestotrotz stehen auch bei CH Media die Zeichen auf Sparen in Form eines «Effizienzprogramms» von 30 Millionen Franken bis 2022. Gleichzeitig soll die digitale Transformation des Zeitungsgeschäfts gelingen sowie der TV-Bereich ausgebaut werden. Beim Unternehmen spricht man von einer «grossen Herausforderung», da weiterhin «hohe Investitionen» getätigt werden sollen.
Besondere Bedeutung bei CH Media hat das bewegte Bild. Mit seinen sieben nationalen Sendern, darunter der aufgekauften 3+-Gruppe, und vier regionalen Sendern avancierte das Medienunternehmen zum grössten privaten Fernsehanbieter der Schweiz. Die Führungsrolle unterstreicht man auch mit prominentem Personal. So konnte Nik Hartmann gewonnen werden, der nach Jahrzehnten bei SRF nun für CH Media auf Reisen geht. Zusammen mit Miriam Martino, die für B&B EndemolShine gearbeitet hat, verantwortet Hartmann die Eigenproduktionen der neuen Sendergruppe.
Bewegtbild soll aber auch in der Newsproduktion der Zeitungstitel einen prominenteren Stellenwert erhalten. Ein Papier der Chefredaktion und des publizistischen Ausschusses von CH Media, aus dem persoenlich.com zitierte, fordert «Video, Video, Video». Das gehe relativ einfach: «Mit Video‐ und Audio‐Schnipseln und Fotos bastelt der Journalist eine multimediale Story.» Wenn man nur bastelt, geht es in der Tat recht einfach. Sieht dann aber auch entsprechend aus. Bevor es aber Video first heisst für die Redaktionen von «Aargauer Zeitung», «St. Galler Tagblatt» und «Luzerner Zeitung», gilt vorerst Mobile first. Doch das Geld von CH Media wird weiterhin auch mit bedrucktem Papier verdient. Daran erinnerte eine Medienmitteilung vom 10. November: «CH Media nimmt modernste Zeitungsdruckmaschine der Schweiz in Betrieb.»
Die SRG befand sich 2020 im zweiten Jahr der Post-No-Billag-Depression. Das klare Votum zugunsten eines öffentlich finanzierten Medienangebots verlieh der SRG nicht den Schwung, den man sich von einem so starken Vertrauensbeweis hätte erhoffen können. Im Gegenteil. Schwindende Werbegelder, unfertige Baustellen und interne Unruhe waren die negativen Seiten eines durchzogenen Jahres.
Das Westschweizer Radio- und Fernsehen RTS machte in letzter Zeit vor allem von sich reden wegen des übergriffigen Verhaltens von Kadermitarbeitern gegenüber Untergebenen. In der Kritik steht deshalb auch SRG-Generaldirektor Gilles Marchand, der in den fraglichen Jahren an der RTS-Spitze gestanden und möglicherweise zu wenig gegen die Macho-Kultur unternommen hatte.
Auf der Positivseite kann die SRG ihre Corona-Berichterstattung verbuchen. Innert Kürze und unter anspruchsvolleren Umständen als im Normalbetrieb stellten die Redaktionen Programme für den Shutdown zusammen, die gut ankamen beim zahlreichen Publikum. Das Fernsehen als Lagerfeuer der Nation erlebte eine Renaissance im Corona-Frühling. Doch das war nur ein Intermezzo, bevor der schnöde Alltag wieder zurück war.
Bei SRF in der Deutschschweiz steht ein Grossumbau an, eine radikale Transformation mit dem Ziel, das Publikum unter 45 besser zu erreichen. Da SRF zuerst bekannt gab, was alles verschwindet, und nicht, was alles tolles Neues kommt, gibt es ausserhalb und innerhalb des Unternehmens ein Misstrauen gegenüber dem eingeschlagenen Weg.
Vor allem für das Personal macht es die Situation nicht einfacher, da der Umbau auch Abbau bedeutet. 116 Vollstellen verschwinden bis im kommenden Herbst. Der Spardruck lastet auf der gesamten SRG. Insgesamt 150 Millionen Franken will das Unternehmen einsparen. Einerseits wegen rückläufiger Einnahmen aus der TV-Werbung. Andererseits sollen so auch Mittel freigespielt werden für Investitionen.
Den Druck etwas abzumildern hilft der Entscheid des Bundesrats, der SRG pro Jahr 50 zusätzliche Millionen zukommen zu lassen aus dem Ertrag der Haushaltsabgabe. Einen handfesten Mehrwert für das Publikum bietet die SRG zum Jahresende hin. Auf der Plattform Play Suisse stehen an einem Ort gebührenfinanzierte Serien, Spielfilme und Dokumentationen bereit. So bietet der Service public einen idealen Zeitvertrieb für die kontaktreduzierte Corona-Zeit.
Die vorerst letzte einer ganzen Reihe von Hiobsbotschaften in diesem Jahr kam am 17. Dezember. Mengis Druck und Verlag in Visp wird für ihren «Walliser Boten» keine Nachrichten mehr bei der Nachrichtenagentur Keystone-SDA beziehen.
Für die Mantelressorts übernimmt die Oberwalliser Tageszeitung Meldungen von CH Media. Dieser Deal wurde nur deshalb möglich, weil CH Media selbst schon auf einen Teil des SDA-Textangebots verzichtet und einen eigenen «News Service» aufgebaut hat. Für CH Media ist das eine Win-Win-Situation: gesenkte Kosten dank Inhouse-Nachrichtenproduktion und dazu einen zahlenden Kunden. Für die SDA ist es Lose-Lose: minus zwei Kunden. Und es sind nicht nur diese zwei Verlage, die der nationalen Nachrichtenagentur in diesem Jahr den Rücken gekehrt haben. «20 Minuten» verzichtet ab 2021 auf sämtliche Leistungen von Keystone-SDA, also auch auf das Bildangebot.
Auf diese schon länger absehbare Entwicklung hat Keystone-SDA im vergangenen Mai reagiert und die Strategie angepasst. Von den Bereichen PR und Corporate Publishing trennte sich das Unternehmen und fokussiert seither auf das historische Kerngeschäft als Nachrichtenagentur. Die kommerziellen Unternehmensteile wären ein Hindernis gewesen für Bundessubventionen, auf die Keystone-SDA verstärkt setzt. Wie die «Republik» berichtete, gibt es sogar Pläne des Verwaltungsrats, die Agentur vollständig staatlich finanzieren zu lassen und die Unternehmensform entsprechend anzupassen.
Im April hat der Bundesrat den jährlichen Subventionsbetrag für die Agentur von 2 auf 4 Millionen Franken verdoppelt. Im Rahmen des Massnahmenpakets des Bundesrats zur Medienförderung sind insgesamt 30 Millionen Franken pro Jahr vorgesehen für Ausbildung, IT-Projekte und Nachrichtenagenturen. In der bisherigen parlamentarischen Beratung war dieser Punkt weitgehend unbestritten.
Zwar schnürt die Politik schnell ein Hilfspaket und Verlage können auf Kurzarbeit setzen. Aber das reicht in manchen Fällen nicht aus. Wer über kein oder ein zu kleines Polster verfügt, macht den Laden dicht. Erstes Corona-Opfer ist die Gratis-Wochenzeitung «Le Régional» in Vevey, die ausgerechnet an ihrem 25. Geburtstag die Bilanz deponieren muss, in der Folge ihre 13 Mitarbeitenden entlässt und den Betrieb einstellt. Weitere Medien folgen. Neben Gratis- und Anzeigenblättern auch das ambitionierte TV-Projekt «CNN Money Switzerland».
In konkreten Zahlen zeigt sich das Ausmass des Werbeeinbruchs erstmals, als die grossen Medienhäuser ihre Halbjahreszahlen veröffentlichen.
Beim Krösus der TX Group, dem werbefinanzierten «20 Minuten», bricht der Umsatz im ersten Halbjahr um mehr als 40 Prozent ein. Unter dem Strich resultiert für «20 Minuten» ein operativer Verlust von fast sieben Millionen Franken (gegenüber 20 Millionen Gewinn im ersten Halbjahr 2019).
Aber auch jene Medien, die nur zu Teilen (und immer weniger) von der Werbung leben, trifft der Rückgang mit voller Härte. Sowohl die abonnierten Tageszeitungen als auch die gebührenfinanzierte SRG befinden sich daher in einem verschärften Sparmodus.
Umso erstaunlicher, dass unter den widrigen Vorzeichen die publizistische Leistung keinen grösseren Schaden nimmt.
Die Redaktionen, grösstenteils ins Homeoffice verlegt, laufen regelrecht zur Hochform auf mit ihrer Berichterstattung zur Pandemie. Insbesondere die NZZ, SRF News und die Tamedia-Redaktion spielen ihre seit Jahren aufgebaute Expertise im Datenjournalismus voll aus.
Aber auch sonst ist 2020 ein gutes Journalismus-Jahr. Das zeigt sich einerseits daran, dass neben dem dominierenden Thema Corona weiterhin starke Rechercheleistungen erbracht werden. Andererseits setzen die bisherigen Zeitungsredaktionen auf Audio und Video, um den veränderten Nutzungsbedürfnissen entgegenzukommen. NZZ und Tamedia (er)finden attraktive Formate für Podcasts, «Blick» und «20 Minuten» setzen auf das bewegte Bild.
Die Innovationen und Investitionen täuschen aber nicht über den allgemeinen Trend zum Leistungsabbau hinweg.
Besonders die grossen Medienunternehmen reagieren schnell auf die negative wirtschaftliche Entwicklung – mit Sparpaketen. Deren Grösse lässt keinen Zweifel daran, dass die Einschnitte nicht nur kosmetischer Natur sein werden. Das heisst: noch mehr identische Inhalte auf den News-Plattformen und in den zahlreichen Zeitungen der Grossverlage. Ein weiterer Verlust an Vielfalt.
Um diese Entwicklung zumindest zu bremsen, berät die Politik derzeit ein Massnahmenpaket, das der Bundesrat im April vorgelegt hat. Weitgehende Einigkeit herrscht bisher einzig darüber, dass etwas getan werden muss. Doch bei der konkreten Ausgestaltung der Fördermassnahmen gibt es grosse Differenzen. Umstritten ist insbesondere die finanzielle Unterstützung von Online-Medien. Erst in der kommenden Frühjahrssession behandelt das Parlament das Geschäft weiter.
Wer erwartet hätte, dass zumindest die SRG dank ihres krisensicheren Finanzierungsmodells wie ein Fels in der Brandung steht, sieht sich getäuscht. Der Radio- und Fernsehkoloss gerät 2020 unabhängig von Corona in Turbulenzen. Dass das Spar- und Reformvorhaben, das derzeit das Deutschschweizer Radio und Fernsehen SRF beschäftigt, nicht ohne Zwischentöne über die Bühne gehen würde, war abzusehen. Überraschend kommt Ende Oktober die Enthüllung zur Übergriffigkeit mehrerer Kadermitarbeiter des Westschweizer Radio- und Fernsehens über Jahre hinweg, ohne dass das Unternehmen gehandelt hätte. Was wusste die damalige RTS-Führung und insbesondere der aktuelle SRG-Generaldirektor Gilles Marchand? Bis die genauen Umstände geklärt sind, gilt Marchand als angezählt.
Insgesamt verstärkte die Covid19-Pandemie bereits vorhandene Krisensymptome und machte machte Bruchlinien noch sichtbarer.
Wenn eine Erkenntnis aus dem Medienjahr 2020 lautet, dass es so nicht mehr weitergehen kann, dann bleibt die Frage offen, wie es dann weitergehen soll. Die bisher bekannten Antwortversuche stimmen wenig zuversichtlich. Wenn das Neue in den alten Strukturen entstehen muss, dann sind das denkbar schlechte Startbedingungen.
Wer hingegen auf der grünen Wiese loslegen kann, profitiert längerfristig von diesem Startvorteil. Die beiden wichtigsten Neugründungen der letzten Jahre mit einem klaren journalistischen Anspruch, «Watson» und die «Republik», kommen entsprechend gut durch das Pandemie-Jahr. Sie behaupten ihren Platz dank origineller (und originärer) Publizistik, bei «Watson» finanziert mit innovativer Werbung (was Native Advertising bei aller Kritik auch ist) und bei der «Republik» dank über 25’000 zahlenden Abonnentinnen und Abonnenten. Und selbst im rein werbefinanzierten Reichweitengeschäft gibt es neben dem Quasi-Duopol von «20 Minuten» und «blick.ch» noch Platz. Das beweist «Nau.ch», das in nur drei Jahren in die Phalanx der Grossen einbrechen konnte. Mit «Le Temps» übernimmt 2020 erstmals eine Stiftung ein stark verankertes und meinungsbildendes Medium mit nationaler Ausstrahlung. «Le Temps» spannt zudem mit «Heidi.News» zusammen, einer Neugründung vergleichbar mit der «Republik» in der Deutschschweiz. Das zeigt auch: Es gibt Spielraum neben den Kolossen, die zwar immer grösser werden, aber dabei auch grosse Lücken im Journalismus hinterlassen.