von Nick Lüthi

The Good, The Bad & The Ugly XXIV

Frauenstimmrecht, SRF Instagram, 20 Minuten

The Good – 50 Jahre Frauenstimmrecht: weitsichtige Würdigung

Es ist ein Meilenstein der modernen Demokratie: Mit der Einführung des Frauenstimmrechts vor 50 Jahren wurde die Schweiz in einem zentralen Punkt egalitärer. Die eminente gesellschaftliche Bedeutung der Volksabstimmung vom 7. Februar 1971 wird dieser Tage bei einem Blick in die Schweizer Medien deutlich: Keine grössere Redaktion, die das historische Ereignis nicht mindestens mit einem Schwerpunkt, wenn nicht mit einer Serie würdigt.

Im Zentrum stehen die Protagonistinnen und Aktivistinnen früherer Tage. So etwa in der Porträtsammlung «Fünfzig Heldinnen», mit der die Tamedia-Redaktion Frauen aus den letzten zwei Jahrhunderten würdigt, «ohne die es das Frauenstimmrecht wahrscheinlich heute noch nicht geben würde». Doch die Berichterstattung verharrt nicht in der Vergangenheit, sondern schafft den Bezug zur Gegenwart, und zeigt, «welche Kämpfe Frauen noch immer ausfechten müssen», wie die NZZ zu ihrer Serie schreibt.

1996, als es ein Vierteljahrhundert Frauenstimmrecht zu feiern gegeben hätte, berichtete praktisch niemand. Ein paar Dutzend Artikel erschienen damals im Vorfeld des Jubiläums. Heute sind es über tausend. Die Zeiten ändern sich.

The Bad – SRF auf Instagram: Service public hinter Schranken

Instagram ist das neue Fernsehen. Darum spielt die populäre Plattform in den Überlegungen von Schweizer Radio und Fernsehen SRF eine zunehmend wichtigere Rolle. Im Zuge des laufenden Reform- und Sparprojekts will SRF vermehrt auf Instagram setzen. So soll etwa die zusammengesparte «Kulturplatz»-Redaktion künftig ein tagesaktuelles Format für Instagram produzieren.

SRF begründet dies mit dem Konzessionsauftrag, Angebote bereitzustellen, «die auf die Lebenswirklichkeit und die Interessen junger Menschen ausgerichtet sind». Und diese Jungen findet man heute nicht mehr vor dem Fernsehapparat, sondern eben auf Instagram.

Doch wie passt das zum Grundsatz, wonach Service-public-Inhalte frei zugänglich sein müssen? Instagram kann nur vollständig nutzen, wer eingeloggt ist. Falls möglich, zeigt SRF seine Produktionen für die Bild- und Videoplattform auch auf der eigenen Website. Doch «exklusive Kommunikationstools von Drittplattformen», erklärt das Bundesamt für Kommunikation auf Anfrage, könnten «wesensgemäss» nicht auf frei zugänglichen Websites abgebildet werden. Das betrifft insbesondere Instrumente für Dialog und Interaktion mit dem Publikum. Ausgerechnet Funktionen, die einen modernen Service public ausmachen, darf SRF mit dem Segen der Aufsichtsbehörde auf ausländische Kommerzplattformen auslagern.

The Ugly – «20min.ch»: sinnfreie Content-Produktion

Wenn das Newsportal «20min.ch» eines kann, dann aus Nicht-Ereignissen Nicht-Journalismus zu machen. Ein Paradebeispiel für sinnfreie Content-Produktion lieferte «20min.ch» am vergangenen Mittwoch. Auf den ersten Blick sieht der Artikel nach Journalismus aus. Doch schon der letzte Satz im Lead weist in eine andere Richtung: «Jetzt fragt sich das Internet: Geht so Emanzipation?» Wer ist das Internet und seit wann stellt es Fragen? Und was haben vierzig zufälligerweise gefilmte Sekunden mit Emanzipation zu tun?

Anlass für die Berichterstattung bot ein Video auf TikTok: Eine Frau schaufelt ein verschneites Auto frei. Daneben steht ein Mann und schaut zu. Mehr weiss man nicht. Weder der Journalist, der darüber berichtet, noch die Frau, welche die Sequenz gefilmt hat. Über ihr Video schrieb sie im Scherz (drei Smileys): «Frau schaufelt und Mann schaut zu – so geht Emanzipation!» Ein paar schnell hingeschriebene User-Kommentare unter dem Video – auch hier viele Smileys – interpretiert der Journalist als ernsthafte Diskussion und nimmt dies zum Anlass und als Legitimation für seine Berichterstattung.

Eine Fachperson soll einordnen helfen. Über den Hinweis der befragten Soziologin, dass man den Kontext nicht kenne, setzt sich der Journalist hinweg und fragt weiter – und die Professorin gibt weiter Auskunft. Die Tiktok-Filmerin habe mit ihrem Emanzipation-Kommentar die beobachtete Szene «völlig falsch» eingeordnet. Von Emanzipation könne man höchstens sprechen, wenn beide schaufeln, so der Gipfel der soziologischen Erkenntnis zu diesem Nicht-Ereignis.

Leserbeiträge

Ueli Custer 06. Februar 2021, 11:32

Ich hatte den Beitrag auch gesehen und genau das gleiche gedacht: Ohne irgendwelche Kenntnisse der Zusammenhänge wird einfach mal etwas vermutet. Vielleicht ist der Mann ja körperlich behindert und nicht in der Lage, Schnee zu schaufeln. Das ist jedenfalls das Gegenteil von Journalismus.