von Nick Lüthi

Noch ist nichts geklärt: SRG-Spitze unter bundesrätlicher Beobachtung

«Le Temps» erhält den Swiss Press Award für seine Recherche zu den Missständen beim Westschweizer Radio und Fernsehen RTS. Nun gibt es Stimmen, die diese Auszeichnung für ungerechtfertigt bis skandalös halten. Schliesslich hätte die SRG-Untersuchung die falschen Anschuldigungen widerlegt. Wirklich?

Das Vorgehen wirft kein gutes Licht auf die SRG-Führung. Mit einer scharf formulierten Stellungnahme machte Simonetta Sommaruga vor zwei Wochen klar, dass sie den Verlautbarungen nicht traut, wonach nun alles besser werden soll. Deshalb muss die SRG nun regelmässig dem UVEK rapportieren, was sie genau unternimmt, damit Machtmissbrauch, sexuelle und sexistische Belästigungen oder Mobbing am Arbeitsplatz nicht mehr vorkommen. Sommaruga fordert diesbezüglich nichts weniger als einen «Kulturwandel».

Die Bundesrätin und ihr Departement UVEK reagierten mit diesem ungewöhnlichen Eingreifen – das sich nota bene nicht auf eine formelle Aufsichtskompetenz stützt – auf das Vorgehen der SRG-Führung bei der Bewältigung der Belästigungsaffäre beim Westschweizer Radio und Fernsehen RTS.

Wenn die Spitzen von Verwaltungsrat und Unternehmen der SRG mit ihrem Auftritt vor zwei Wochen Stärke und Souveränität signalisieren wollten, dann ging das gehörig daneben. Allein die Tatsache, dass mit SRG-Generaldirektor Gilles Marchand und RTS-Direktor Pascal Crittin auch jene Personen über den Stand der Untersuchungen informierten, die selbst Gegenstand davon sind, spottet jeder Redlichkeit. Die Fachleute, welche die Meldungen über die Missstände bei RTS prüften und beurteilten, waren dagegen nicht anwesend, um Fragen zu Methode und Vorgehen zu beantworten.

Auch darum blieb die überraschende Botschaft vorerst unwidersprochen im Raum stehen, dass eine der drei Untersuchungen den früheren Fernsehmoderator Darius Rochebin vollumfänglich entlaste. In seinem Fall «stellten die unabhängigen Sachverständigen keine sexuelle Belästigung oder Mobbing fest», schrieb die SRG. An den umfangreichen Vorwürfen wegen wiederholter Grenzüberschreitungen im zwischenmenschlichen Umgang gegen den früheren RTS-Promi schien also nichts dran zu sein.

Die Zeitung «Le Temps» hatte im letzten Herbst in einer umfassenden und inzwischen mit dem Swiss Press Award ausgezeichneten Recherche erstmals über die Zustände bei RTS berichtet. Und nun liest man Schlagzeilen wie: «Rehabilitierung eines Starmoderators».

Hat «Le Temps» haltlose Anschuldigungen publiziert? Schwer vorstellbar bei einem so heiklen Thema.

Die Auflösung des vermeintlichen Widerspruchs lieferte der Tamedia-Westschweiz-Korrespondent. Er konnte in Erfahrung bringen und belegen, was anlässlich der eigenartigen Informationsveranstaltung der SRG-Spitze als Vermutung – und eigentlich einzige mögliche Erklärung – für die überraschende Reinwaschung Rochebins in der Luft gelegen hatte: Die Personen, die gegenüber «Le Temps» das Verhalten des Fernsehmanns als belästigend und unangemessen kritisiert hatten, wurden für die SRG-Untersuchung gar nicht kontaktiert. Das erklärt denn auch, wieso es zu diesem «Freispruch» kommen konnte, der keiner ist.

Damit fällt auch das Kartenhaus zusammen, das sich die SRG-Spitze für ihr weiteres Vorgehen aufgebaut hatte. Die Botschaft hätte lauten sollen: Es ist zwar nichts so Gravierendes passiert, wie man aufgrund der «Le Temps»-Recherche hätte vermuten können, aber wir entschuldigen uns und versprechen Besserung; haken wir die Vergangenheit ab und schauen in die Zukunft. Zusammen schaffen wir das.

Aus zwei Gründen geht das nicht auf: Erstens läuft die Untersuchung weiter. Ein Schlussbericht soll im Sommer vorliegen. Erst dann kann eine Gesamtschau vorgenommen und abschliessend über Konsequenzen entschieden werden. Der zweite Punkt betrifft die personelle Kontinuität. Die gleichen Chefs, die sich zwar selbst nicht mit Vorwürfen konfrontiert sahen, aber über Jahre hinweg ein offenbar toxisches Klima tolerierten, sollen nun einen Klimawandel herbeiführen. Damit wird der Bock zum Gärtner gemacht. Das wiederum wirft kein besonders günstiges Licht auf die Corporate Governance der SRG.

Die RTS-Affäre ist noch längst nicht ausgestanden. Die vermeintlich geklärten Fragen liegen weiter auf dem Tisch – und damit auch jene, ob SRG und RTS von den richtigen Leuten geführt werden. Bundesrätin Sommaruga hat mit ihrer Intervention klar signalisiert, dass sie genau hinschaut und auch bereit ist, sich einzumischen. Zwar wählt nicht sie die Direktion, doch wenn sie den Daumen senkt, dürfte das Konsequenzen haben.