von Nick Lüthi

The Good, The Bad & The Ugly XLIV

Nouvelliste, Tamedia, SRF und RTS

The Good – Die Leserschaft nicht verraten

Natürlich ist es eine gute Nachricht, wenn ein dreijähriger Medienboykott endet, wenn eine Zeitung wieder frei und uneingeschränkt darüber berichten kann, was ihr Publikum interessiert. Diese Woche hiess Christian Constantin, Präsident des FC Sion, die Journalist:innen des «Nouvelliste» wieder in seinem Tourbillon-Stadion willkommen. 2018 entzog er ihnen die Akkreditierung und kappte den Zugang zu Mannschaft und Personal, weil er die Berichterstattung des Chefredaktors als zu negativ empfand.

Constantins Versöhnungsschreiben, als offener Brief im «Novelliste» veröffentlicht, hat es aber in sich. Sein «Willkommen im Tourbillon!» verbindet er mit der Erwartung, dass Vincent Fragnière (Bild), der vormals verfemte Chefredaktor, nicht gegen journalistische Ethik und Pressefreiheit verstosse – als ob der Stadionausschluss etwas damit zu tun gehabt hätte.

In seiner Stellungnahme zum Ende des Boykotts macht Fragnière klar: «Unsere redaktionelle Linie richtet sich nicht gegen eine Organisation oder, noch schlimmer, gegen eine Person. Nein, wir sezieren, wir vermitteln und wir kritisieren, um eine Situation getreu wiederzugeben. Um die Leserschaft nicht zu verraten, der wir verpflichtet sind.» Ein erneuter Boykott ist nicht auszuschliessen.

The Bad – Geld und Glaube

Jetzt ist klar, wie viele Personen Tamedia entlässt, um die Redaktionen von «Bund» und «Berner Zeitung» zu fusionieren: Beim «Bund» verliert ein Redaktor seine Arbeit, bei der BZ sind es acht Personen. Dank «freiwilliger» Abgänge, sowie teils ebenso «freiwilliger» Pensenreduktionen liessen sich weitere Entlassungen verhindern. Im Rahmen des Konsultationsverfahrens schlug das Personal mögliche Massnahmen vor, die den Abbau noch stärker hätten abfedern können. Acht von neun Vorschläge der Belegschaft zum Vermeiden von Kündigungen haben Tamedia und die Chefredaktoren der beiden Zeitungen abgelehnt.

Darunter befand sich auch ein Klassiker: Warum stützt ein prosperierendes Unternehmen wie Tamedia, respektive TX Group, sein historisches Kerngeschäft nicht mit Erträgen aus lukrativeren Geschäftszweigen? Dass dies nie (mehr) geschehen wird, ist zwar längst klar, interessant sind aber die Begründungen, warum eine interne Quersubventionierung tabu ist. Diesmal klingt das so: «Wir glauben an unser publizistisches Geschäft und haben ein klares Ziel: ein führendes Medienhaus zu bleiben und unseren Journalismus langfristig über den Verkauf digitaler Abos zu finanzieren.» Nun kann der Glaube bekanntlich Berge versetzen. Dass er auch Medien finanzieren kann, ist hingegen noch nicht bekannt.

The Ugly – Vor lauter Zukunft keine Gegenwart

«SRF ohne ECO ist wie ein Banker, dem man die Krawatte abschneidet; das sieht nicht wirklich gut aus», sagt Immobilienberater Donato Scognamilio, während er sich mit der Schere seine Krawatte abschneidet. Das selbstgedrehte Video war eine von zahlreichen Reaktionen auf die Einstellung der beliebten Wirtschaftssendung. Neben viel Lob und Dank und Kompliment für die Redaktion um Reto Lipp gab es in der letzten ECO-Ausgabe nach 14 Jahren Schelte für SRF. Eine «Schande», ein «Skandal» sei der Verzicht auf die Sendung.

Doch damit nicht genug. Das Szenario wiederholt sich in der Westschweiz. RTS kündigte kürzlich an, in einem Jahr mit TTC das Pendant zu ECO einzustellen. Wie in der Deutschschweiz stösst auch dieser Entscheid auf Unverständnis. Aktive und ehemalige Politiker:innen von SVP über FDP bis SP und Grüne kritisieren die Programmentscheide von SRF und RTS. Zwar planen die Sender Nachfolgeformate im Netz und berichten auch weiterhin über Wirtschaftsthemen. Aber mit diesem Vorgehen bestehe das «Risiko, bestehendes Publikum zu verlieren, ohne Garantie, neues zu gewinnen», kritisierten die Delegierten der SRG-Gewerkschaft SSM den forschen Umbau.

Überhaupt erhält man den Eindruck, dass das Unternehmen vor lauter Beschäftigung mit der Zukunft vergisst, dass es auch eine Gegenwart gibt.

Leserbeiträge

Bernhard Binkert 26. Juni 2021, 11:41

Als Nathalie Wappler neu auf ihrem Posten als Fernseh-Direktorin war, wurde sie im Tagesgespräch von Radio SRF1 interviewt. Sie sprach mehrmals von „denen da draussen“ und meinte ihr Publikum die Zuhörer und Zuschauer. Das zeigte an, dass sie sich im elfenbeinernen Turm bewegt und den Kontakt zu „denen da draussen“ nicht sucht. Sie lebt in einer eigenen Welt von Zahlen, Tabellen und abgehobenen Strategien, die gegenüber „denen da draussen“ nicht abgeglichen, nicht kommuniziert und nicht erklärt werden.