von Benjamin von Wyl

The Good, The Bad & The Ugly LI

Wichtige Recherche, endlose Geschichte, alter Boulevard

The Good – Das «Megafon» ist systemrelevant

Die Zeitschrift «Megafon» tut, was bei der «NZZ» zu Augenrollen führt: recherchieren. Es seien «Sittenwächter der Berner Reitschule, die das weltweite Netz offenbar gezielt nach den Faux-pas von Massnahmengegnern scannen», schreibt die NZZ. In anderen Worten: Es sind Journalist:innen, die – wie es dem Berufsprofil entspricht – Informationen publizieren, wenn diese öffentlich relevant sind. Beispielsweise letzten Sonntag, als ein Bundesrat im Tenü von radikalen Massnahmengegner:innen posierte und damit das Kollegialitätsprinzip ritzte.

Bei der «Weltwoche» herrschte dann Unverständnis, dass «Anarchisten» – gemeint sind die «Megafon»-Journalist:innen – auf das Kollegialitätsprinzip verweisen. Offenbar hat man bei der «Weltwoche» die journalistische Kompetenz der «Einordnung» vergessen: Wenn sie jemanden – etwa Bundesrat Ueli Maurer – an den Ansprüchen seines Amtes messen, ist das Weltbild der «Megafon»-Journalist:innen irrelevant. Diese Woche hatten die Kolleg:innen von «Megafon» einen Lauf: Am Dienstag factcheckten sie Übertreibungen des «Nebelspalter» zur Teilnehmer:innenzahl an einer Demo von Massnahmengegner:innen. Am Freitag erschien in der «Republik» eine aufschlussreiche Recherche über die Radikalisierung des «Mass-Voll»-Gründers, bei der ein «Megafon»-Redaktor als Co-Autor wirkte.

Man könnte nun jammern, wie es mit der Medienbranche bergab geht, dass so viel Relevantes nur dank dem «Megafon» an die Öffentlichkeit dringt. Viel angebrachter ist was Anderes, nämlich: Chapeau Kolleg:innen!

The Bad – «Hört auf mit dem Scheiss!»

Man kann der Ex-Journalistin Nadja Brenneisen, die diese Woche in einem Video Vorwürfe gegen Michèle Binswanger erhebt, in einem absolut zustimmen: «Hört auf mit dem Scheiss!» Ob Binswangers Buch erscheint, ist eine juristische Frage. Die (sozial)mediale Öffentlichkeit verspricht keine Lösung, sondern ewige Fehde.

Auf die Vorwürfe von Brenneisen reagierte Binswanger via Twitter prägnant mit: «Alles falsch.» Im Februar 2020 konfrontierte Binswanger Brenneisen in einer Mail; kürzlich kursierte es auf Twitter. Die Mail erweckt den Eindruck, Binswanger wolle in ihrem geplanten Buch Brenneisens Artikel ein Kapitel widmen. Da scheint die Verhältnismässigkeit durcheinander: Der fünf Jahre alte Artikel einer Ex-Journalistin, der nach Erscheinen gelöscht wurde und in einem Medium erschien, das in der Schweiz nicht mehr präsent ist, soll «ein Lehrbeispiel für die Scheinheiligkeit der Branche» sein?

Sie habe sich als Journalistin immer für ambivalente Geschichten interessiert, schrieb Binswanger in der «Sonntagszeitung»; «dieses Stück Mediengeschichte» sei eine solche. Doch aus dem «Essay» geht eben gerade hervor, wie sehr sie persönlich betroffen, wie ihr Ambivalenz abhandengekommen ist.

Unabhängig davon, wie es juristisch ausgeht: In der (sozial)medialen Öffentlichkeit zehrt der Konflikt Energie bei allen, die ihn mitbekommen. Jenen, die sich als Journalist:innen verstehen, nimmt er Aufmerksamkeit für wichtige, andere, neue Themen. Während beide Seiten in ihren Gräben sitzen, dreht sich die Welt weiter: Es kommt zu Persönlichkeitsverletzungen, die unter dem Radar bleiben und Pressefreiheitsbeschränkungen, die relevant sind.

Benjamin von Wyl kennt sowohl Nadja Brenneisen als auch Michèle Binswanger persönlich. Mit Brenneisen arbeitete er bei VICE Switzerland bis Juni 2015. Binswanger sah er zuletzt, als er sie im Frühjahr 2016 interviewte.

The Ugly – Crime wie eh und je

«Nicht mal die Angehörigen wissen, was passiert ist», titelte der «Blick» am Mittwoch, «Tote Geschwister von Frick AG: ‹Sie waren so fröhliche Menschen›», pries er am Donnerstag dann online ein Videointerview von Ralph Donghi mit einer Freundin der Verstorbenen an. Am Freitag noch die Schlagzeile «Eliza Z. († 26) erstach ihren Bruder!» Dass der «Blick» reisserisch über Kriminalfälle berichtet, verwundert nur, weil das Medium unlängst «News-Richtlinien» verabschiedete, die «brisante Themen ausserhalb von Crime» versprechen und in denen es heisst: «Wir recherchieren nicht weiter im Umfeld des Opfers, wenn (…) die nächsten Angehörigen nicht reden wollen.»

Das zweiminütige, unverpixelte Videointerview, das Ralph Donghi mit einer Freundin der Verstorbenen führte, wirkt wie ein Verstoss gegen die eigenen Richtlinien. Die Frau spricht darüber, wie tief der Schock sitze, über die Verstorbenen und darüber, wie sehr ihre Kinder diese mochten.

«Selbstverständlich berichtet Blick auch mit den neuen News-Richtlinien über Unglücke und Verbrechen», schreibt ein Ringier-Sprecher auf Anfrage. «Blick» trage dem «Informationsbedürfnis» Rechnung, das «bei so einem Fall verständlicherweise hoch» sei: «Würdig, sachlich – und nie gegen die Involvierten. Im Video sieht und hört man eine Frau, die aufrichtig um ihre Freunde trauert.»

Die Redaktionsrichtlinien erwähnen aber ohnehin «Ausnahmen der (…) Guidelines» über die die «News-Leitung» befinde. «In diesem Fall hat die News-Leitung entschieden», bestätigt der Sprecher.

Leserbeiträge

P.Salvis 18. September 2021, 17:24

Die Medienwoche im Gleichschritt mit den „Kolleg:innen“ vom Megafon.
Ääh…?
Vom …Megafon?
Hey?

Was ist bloß mit dieser Publikation geworden? Noch vor wenigen Jahren war dieses Magazin vielfältig und interessant zu lesen. Neutraler und viel weniger polemisch. Schade drum.

Roland Grüter 18. September 2021, 22:49

Causa Binswanger

Da versucht man eine Journalistin mundtot zu machen. Wo bleibt das übliche Geschrei. Aber vielen passt die Arbeit von Frau Binswanger nicht.