The Good, The Bad & The Ugly XCVII
Fairmedia, Radiostudios, SRF News
The Good – Wichtige Medienkritik
Es ist bereits einige Wochen her, dass die Medien Kopf standen, weil eine Reggae-Band ihr Konzert wegen der Dreadlocks ihres Sängers abbrechen musste. Und inmitten dieser medialen Aufregung musste sich das Komiker:innen-Duo Ursus & Nadeschkin aus dem gleichen Grund rechtfertigen: kulturelle Aneignung. Die Dreadlocks von Nadeschkin, die sie seit dreissig Jahren trägt, seien nicht «lustig und wild», sondern politisch inkorrekt.
Das ganze mediale Theater in all seinen Akten hat Fairmedia nun unaufgeregt und sorgfältig aufgeschrieben. Im ersten Akt spielte eine E-Mail eine Rolle, die eigentlich an das Duo gerichtet war und irgendwie in der «20 Minuten»-Redaktion landete. Eigentlich hätte die Geschichte hier zu Ende sein können. «20 Minuten» titelte: «‹Perücke ist problematisch› – Nadeschkin wird kulturelle Aneignung vorgeworfen». Naja: «Ehrlicherweise hätte der Titel jedoch lauten müssen: ‹Anonyme Einzelperson wirft Nadeschkin kulturelle Aneignung vor›», schreibt Fairmedia. Die Organisation für fairen Journalismus hat mit Ursus & Nadeschkin gesprochen und liess sie ihrerseits einige «Missverständnisse» – oder eher: falsch abgedruckte Zitate – richtigstellen.
Fairmedia liess den Fall zudem von Medienprofessor Vinzenz Wyss einordnen: «Es darf vermutet werden, dass die ‹20 Minuten›-Redaktion mit diesem Artikel die Debatte über kulturelle Aneignung ins Lächerliche ziehen wollte.» Die Rolle von «20 Minuten» entspreche nicht einem angemessenen journalistischen Diskurs, sagt Wyss. Der Job von Fairmedia tut dies dafür umso mehr.
The Bad – Ehemaliges Radiostudio
Seit dieser Woche arbeitet die Redaktion «SWI swissinfo.ch» neu an der Berner Schwarztorstrasse. Der zehnsprachige Onlinedienst der SRG zog mit rund 100 Mitarbeitenden bei den verbleibenden Teilen der Inforedaktion von Radio SRF ein. Der gemeinsame Standort soll die Zusammenarbeit bereichern, heisst es.
Mit dem Umzug von «Swissinfo» schlägt die SRG den letzten Sargnagel für seine früheren Deutschschweizer Radiostudios ein: Nach dem Bruderholz in Basel und dem Brunnenhof in Zürich verschwindet auch das dritte und letzte der grossen Studios; SRF nennt seinen Berner Standort offiziell nur noch «ehemaliges Radiostudio».
Nur: In Bern produziert SRF weiterhin zahlreiche News-Sendungen, mit dem «Echo der Zeit» und dem «Rendez-vous» sogar zwei der Flaggschiffe des Schweizer Radios. Was heisst da also «ehemaliges Radiostudio»?
Wer weiss: Wenn auch noch die letzten Berner Radioleute nach Zürich verschoben sind und «Swissinfo» irgendwann mal weiterzieht, blüht dem «ehemaligen Radiostudio» vielleicht eine fancy Zukunft als Wohnliegenschaft, wie es auf dem Basler Bruderholz mit dem ehemaligen Radiostudio schon geschehen ist.
The Ugly – Falsche Ausgewogenheit
Ihr Name dürfte derjenige sein, der einem auf Social Media dieser Tage am häufigsten begegnet: Mahsa Amini. Ihre Tötung durch die iranische Sittenpolizei führte zu Protesten im ganzen Land. Die 22-Jährige starb in Polizeigewahrsam, nachdem sie festgenommen worden war, weil sie ihr Kopftuch nicht nach Vorschrift trug.
SRF News fasste den Fall zusammen und schrieb: «Die Familie behauptet, die junge Frau sei durch Schläge der Polizei gestorben. Laut Polizei hat die 22-Jährige einen Herzinfarkt erlitten.» Nun könnte man sagen: Journalistische Ausgewogenheit ist wichtig. Beide Seiten zu beleuchten gehört zu den Kernaufgaben unseres Jobs. Aber: Die Polizei im Iran funktioniert anders als die Polizei in der Schweiz. Im Auftrag des Staates setzt sie die Scharia-Vorschriften bezüglich religiösen Verhaltens durch. Unter der Scharia haben Frauen so gut wie keine Rechte. Es ist nicht das erste Mal, dass eine Frau öffentlich von der Sittenpolizei geschlagen wird, wie unzählige Videoaufnahmen zeigen. Diese Polizei als relevante «Gegenstimme» für ausgewogene Berichterstattung zu zitieren, ist gelinde gesagt etwas naiv. In den Tagen darauf folgte bei SRF eine substanziellere Hintergrundberichterstattung. Aber es ist halt immer auch der erste Eindruck, der zählt.
Felix Schneider 25. September 2022, 22:13
„etwas naiv“ – ist Naivität gegenüber der Polizei eines Gottesstaates naiv?