von Ronnie Grob

Aufgestellt für den Selbstmord

Die Schweizer Journalistenbranche will lieber gemeinsam alt werden, statt sich konsequent zu erneuern. Frischen Kräften bleibt der Zugang zu verantwortungsvollen Aufgaben verwehrt. Jüngere Generationen arbeiten und informieren sich woanders. So ist man auf dem besten Wege, sich selbst abzuschaffen. Änderungen sind gefragt!

„Die Zukunft liegt nicht in der Vergangenheit“, stellt der einzige hauptamtliche Medienredaktor der Schweizer Tageszeitungen, Rainer Stadler, in der NZZ fest: das „neue“ Format der „Arena“ sei nicht mehr als eine Simulation der alten. Richtig, auch Schaüinski ist nicht mehr als ein abgefilmter „Doppelpunkt“, ein „Talk Täglich“ mit Designer. Ist es nicht verwunderlich, dass ausgerechnet die mehr oder minder verwitterten Gesichter von Roger Schawinski (*1945) und Filippo Leutenegger (*1952) frischen Wind in die öffentlich-rechtlichen und privaten Talkformate bringen sollen?

Die etablierten journalistischen Formate werden zusammen mit ihrem Publikum immer älter. Jüngere Generationen werden damit oft nicht mehr erreicht, denn die informieren sich zunehmend im Web. Kontakt mit journalistischen Angeboten haben sie vor allem durch Videoportale, Gratiszeitungen und Online-Portale, doch letztere befinden sich nur noch ab und zu in der Hand der etablierten Verleger. Die Frage sei erlaubt: Wann hat zuletzt eine Titelgeschichte einer Printpublikation die Jugend so begeistert, dass sie deswegen die Kioske stürmte? Es muss irgendwann im letzten Jahrtausend gewesen sein.

Über die Themen, die viele junge Menschen interessieren, berichten etablierte journalistische Formate nur am Rande und wenn, dann nicht selten falsch. Auch wenn das Problem vielerorts erkannt und verbessert wurde, fühlen sich Onlinespieler, Weblogger, Webnutzer zurecht oft unangemessen behandelt. Wer beispielsweise Wegweisendes lesen will über die neusten Entwicklungen im Internet, kann das im Netz täglich tun. Doch in den journalistisch etablierten Medien werden die ganze Branchen umwälzenden Veränderungen durch das Internet noch immer recht stiefmütterlich behandelt. Natürlich auch, weil es sich dabei um die direkte Konkurrenz handelt.

Dass Zeitungen und Zeitschriften kaum noch junge Leser für sich gewinnen können, liegt auch an den Personalstrukturen der Verlage. Es werden zwar durchaus junge Mitarbeiter beschäftigt, doch die sind entweder für online zuständig oder für untergeordnete Aufgaben – was im Bewusstsein vieler Print-Führungskräfte fatalerweise ein Äquivalent ist. Ganz im Gegensatz zur USA, dort sind die aufstrebenden Stars der journalistischen Branche 26, 25, 23 Jahre alt. Wir erinnern uns: „Weltwoche“-Chef Roger Köppel, der sich bald als eines der grössten Talente der Schweizer Medienbranche herausstellte, schrieb ab 1994 (mit 29) lange Feuilleton-Texte im „Tages-Anzeiger“ und wurde 1997 (mit 32) zum Chefredakteur des „Magazins“. Welche journalistischen Stars unter 30 oder unter 35 hat die Schweizer Medienszene eigentlich die letzten Jahre geboren? Fällt jemandem ein Name ein?

Überhaupt sind die Plätze in den Redaktionen bereits besetzt und besonders die wirklich attraktiven Jobs werden auch besetzt gehalten. Von Journalisten, die die grosse Sparrunde vor zwei Jahren überlebt haben. Das war gar nicht so einfach und manchmal auch einfach Zufall, denn viele von denen, die ihren Job behalten durften, sind ja nicht besser als jene, die gehen mussten. Gehen mussten alle möglichen Mitarbeiter: Aus nachvollziehbaren sozialen Gründen nicht ganz so schwer fiel der Abschied von Alten, die frühpensioniert werden konnten und von Jungen, die „sicher wieder was finden“. Doch Journalismus sollte von allen Gesellschaftsschichten für alle Gesellschaftsschichten gemacht werden. Neben den Jungen in Führungspositionen fehlen auf vielen Redaktionen die Nicht-Akademiker, eine riesige Gruppe, von denen durchaus viele schreiben können. „Tagi“-Co-Chef Res Strehle, („68, aber lieb“), sagte in einem Interview mit der „Woz“: „Wir stossen niemanden ins Prekariat.“ Wieviele aber das journalistische Prekariat gar nicht erst verlassen und dann irgendwann in ganz andere Jobs verschwinden, zählt niemand.

Geblieben sind nach den «Mai-Massakern» 2009 (eine Übersicht der Entlassungen hat medienspiegel.ch) viele Anpassungsfähige, die eine Familie zu versorgen haben und ohne zu murren das tun, was von oben gefordert wird. Oft sind das akademisch gebildete Eltern, zwischen 35 und 55 Jahren. Kaum zum Opfer fielen den Entlassungen überraschenderweise die Vorgesetzten. Nehmen wir mal die Chefs beim „Tages-Anzeiger“: Neben vier Mitgliedern der Chefredaktion gibt es zwei Nachrichtenchefs und sieben Ressortleiter. Man fragt sich unwillkürlich, ob der „Tagi“ bald mehr Chefs als Mitarbeiter hat. Die Krise führt in den Printmedien immer mehr zu einer umgekehrten Hierarchie-Pyramide. Während die Inhalte produzierende Basis immer schmaler wird, bleiben die Führungsetagen unangetastet, sie werden nur gemeinsam älter. Frank A. Meyer (*1944) beispielsweise darf jeden Sonntag zweimal seine vorgestrige Sicht der Welt im „Sonntags-Blick“ ausbreiten. Seine „Hasstirade gegen das Internet“ (Zitat hyperkontext.at) mit dem Titel „Basta!“ sorgte im Web für ungläubiges Staunen und unverhohlenes Gelächter. Hunderte von Twitterern verlinkten einen von Michel Reimon verfassten Brief „zum dümmsten Text eines Journalisten über das Internet“.

Natürlich gibt es überall Ausnahmen, und bei der WOZ, bei der Weltwoche und auch beim Schweizer Fernsehen hat man durchaus hin und wieder mal den Eindruck, dass auch Jüngere Verantwortung übernehmen dürfen.

Weil das Boot schon voll ist, erhalten junge Journalisten heute kaum Chancen, ihre Talente auszuleben. Sie bleiben im Vergleich schlecht bezahlt und müssen unter Druck Agenturmeldungen umformulieren und oberflächliche Beiträge raushauen – andere wiederum sehen Redaktionen seit jeher nur von Aussen. Die vielleicht verdienstvollste Schweizer Journalistin der letzten Jahrzehnte, Margrit Sprecher, sagte im „Klartext“ (Ausgabe 5/09): „Es ist entwürdigend, wie mit den Jungen umgegangen wird.“ Zusammengestrichene und nicht erscheinende Artikel würden das Selbstvertrauen beschädigen, „das Wichtigste, das man in unserem Beruf haben muss“. Auch wenn Tamedia und NZZ erfreulicherweise angekündigt haben, neue Mitarbeiter im Online-Bereich einzustellen, werden nur wenige davon den journalistischen Bereich betreffen. Wiederum werden die meisten von denen, die Inhalte erstellen, ein Kürzel bleiben und nicht die Chance erhalten, zu einer der publizistischen Stimmen zu reifen, an die sich die Leserschaft erinnert und die sie wieder und wieder lesen will.

Fasst sich mal ein Verleger (Peter Wanner) ein Herz und setzt einen damals 31-Jährigen (Patrik Müller) an die Spitze einer Sonntagszeitung („Sonntag“), dann wird das mit Misstrauen, man könnte auch sagen Herablassung, aus dem inzestuösen Zürich verfolgt. Thomas Knellwolf vom „Tages-Anzeiger“ schrieb 2007 über die erste Ausgabe des Neulings, „die kleine, teilweise profilierte Redaktion aus Baden“ habe „nichts Weltbewegendes zu vermelden“. Er stiess ausserdem auf „Interviews ohne kritische Fragen“, und auch die „lokalen Nachrichten im ‚Sonntag‘ konnten nicht überzeugen“. Dass die „Sonntag“-Redaktion viel kleiner ist als die der „Sonntagszeitung“ oder der „NZZ am Sonntag“, wurde nicht erwähnt.

Nur wenig später tanzten die Zürcher Grossverlage um Patrik Müller wie um ein goldenes Kalb und wollten ihn zum Chef von „Tagi“ und „Blick“ machen – der aber lehnte alle Angebote ab (Tweet vom 23. August 2011: „Liebe Zürcher, bin 8 Jahre bei Peter Wanner – es macht Spass, bei ihm zu arbeiten“). Selbst Talente zu entdecken und Verantwortung zu übertragen, gehört heute offenbar nicht mehr zu den Stärken der Grossverlage. Lieber besetzen sie die Spitzen mit alten Haudegen der Branche, oder, falls den Job gar niemand machen kann oder will, mit Marc Walder. Frische Kräfte kommen nicht an die Macht, denn die haben ja noch keine Erfahrung. Jene wiederum, die ausreichend Erfahrung sammeln durften, sind bereits so betriebsblind, dass sie nicht als frische Kräfte gelten können.

„Bei Ringier habe ich erlebt, dass gewisse Chefs Angst haben, bessere Leute zu engagieren, weil ihnen diese gefährlich werden könnten“ sagte Müller 2009 in einem Interview mit „Persönlich“. Das ist auch in anderen Verlagen so. Doch weil sich, solange die Zahlen einigermassen stimmen, darum niemand kümmert, bleibt alles, wie es ist. Für die Zukunft ist diese Haltung jedoch Selbstmord. Wenn keine Erneuerung mehr stattfindet, wenn keine jungen oder unbequemen Journalisten mehr Verantwortung übernehmen dürfen, dann verlieren die Publikationen bald auch noch den letzten Geruch von Frische. Und werden, was sie schon zu einem guten Teil geworden sind: Rentnerblätter mit einer laufend wegsterbenden Leserschaft. Wer sich wirklich um die Zukunft des Landes Sorgen macht, wie es im aktuellen Wahlkampf fast alle Parteien behaupten, sollte die Jugend mit gutem Journalismus versorgen.

Der Schweizer Journalismus verabschiedet sich nach und nach von den Menschen unter 35 Jahren, sowohl als wichtige Mitarbeiter als auch als Leser. Überhaupt, die treiben sich ja, man musste es bitter erfahren, doch nur in diesem Internet rum. Ihre Zahlungsbereitschaft tendiert angeblich gegen null. Und dann sind sie auch noch untreu. Viele Wohngemeinschaften machen sich nicht mal mehr die Mühe, für jedes WG-Mitglied und für jede Tageszeitung kostenlose Probeabos aneinanderzureihen – dabei würde das doch der Auflage zugutekommen.

Die 548 Franken für ein NZZ-Jahresabo setzen einen gut entlöhnten Job mit Lesefreizeit voraus, ein Luxus, über den nicht alle verfügen. Studenten haben zwar 40 Prozent Rabatt, doch dann sind es immer noch über 300 Franken, die auch anders ausgegeben werden können. Und die Zukunft verheisst zweierlei: Teurere Jahresabos und weniger sichere Jobs für junge Leser – eine Todesspirale. Bei den ganz jungen Lesern setzen einige Verlage mit Projekten wie „Zeitung in der Schule“ an, doch dann verlieren sich die Bemühungen um die Jugend wieder, Beilagen wie „Ernst“ tauchten zuletzt in den 1990er-Jahren auf.

„Selbstmord aus Angst vor dem Tod“ nannte Roger Schawinski die Internetstrategie der in Panik geratenen Printmedien. Doch wenn es überhaupt eine Zukunft gibt für Printmedien, dann liegt sie in dieser schmählich vernachlässigten U35-Generation, die Printprodukte gar nicht generell ablehnt, wie manch ein verzweifelter Verlagsmanager vermutet.

Das Problem liegt bei den Trainern der Branche. Sie und ihr aufgeblähter Stab sind zu einem guten Teil nicht für die Zukunft aufgestellt. Und da niemand Druck macht in der Schweizer Medienbranche und lieber alle vordergründig Freunde bleiben, denken die Clubpräsidenten nicht daran, zu handeln, also mal den einen oder anderen Cheftrainer zu feuern. Am Schluss bleiben die Zuschauer aus und die schönen Stadien müssen für immer schliessen. Dann wird halt wieder auf dem Acker gespielt.

Leserbeiträge

Fred David 02. September 2011, 13:27

@) Ronnie Grob: Interessanter Rundumschlag. Aber: Diese angeblich so „vernachlässigte U35-Generation“ soll doch mal auf den Tisch hauen statt in ihren Facebook-Gettos vor sich hin zu jammern und sich gegenseitig in ihrem Elend zu bestätigen. Sie sollen doch mal die Stories liefern, auf die man aufmerksam wird und an denen auch die Mächtigen nicht vorbeikommen. Das ist keine Frage von web oder print! Sie sollen Pflöcke einrammen, damit man überhaupt sieht, was sie eigentlich wollen und was sie zu sagen haben. Sie sollen Kommentare liefern, die „verhebed“ und von denen man sagt: Wow, so habe ich das noch nicht gesehen! Was glauben die Damen und Herren denn, wir Alten liessen uns einfach die Butter vom Brot nehmen? Da muss mehr kommen.

ps: Natürlich gibt es, wie immer, Ausnahmen von der Regel, und die sind natürlich, wie immer, nicht gemeint.

Fred David 04. September 2011, 21:02

…übrigens ist es nicht so, dass ich nicht lernfähig wäre….

Fred David 04. September 2011, 21:04

Und das ist der Link dazu, der aber irgendwie nicht funktioniert hat: http://www.tagesanzeiger.ch/kultur/diverses/TAJournalistin-erhaelt-deutschen-Preis/story/23847825

bliblablu 05. September 2011, 00:43

Ronnie, warum schreibt du die Journalistenszene tot? Du zitierst viel, aber wo bleiben deine eigenen Beobachtungen. Ich werde den Verdacht nicht los, dass du noch nie auf einer grösseren Redaktion gearbeitet hast. Es gibt viele tolle und junge Journalisten. Wir haben genug Stars und Nachwuchs. Aussterben tun die Blogger.

Ronnie Grob 05. September 2011, 09:21

@bliblablu 1) „Aussterben tun die Blogger.“ – Mein Eindruck ist gegenteilig, ich stosse jedes Jahr auf mehr lesenswerte Blogs. 2) „Es gibt viele tolle und junge Journalisten“ – Genau richtig! Ich frage ja nur, ob sie auch an den richtigen Positionen sind. 3) „Wo bleiben deine eigenen Beobachtungen?“ – Fehlt es in diesem Artikel wirklich an eigenen Beobachtungen? 4) „Wir haben genug Stars und Nachwuchs“ – gibt es auch Stars beim Nachwuchs oder nur Stars UND Nachwuchs?

Jungjourni 08. September 2011, 15:33

Danke für das flammende Plädoyer zugunsten junger Schreibtalente! Als frischgebackener Journalistik-Absolvent fühle ich mich abgeholt: die prekäre Job- und Bezahlungssituation sollte künftig noch stärker an den Pranger gestellt werden. Denn wenn es so weitergeht, wird Journalismus eines Tages wirklich nur noch von der 50+ Generation betrieben, so unattraktiv wie die Lage für Junge momentan ist. Traurig, aber wahr: wie viele Andere spekuliere auch ich bereits mit einem Abgang in die PR. Bedenklich, oder etwa nicht?

Aber: bitte, bitte, bitte künftig den Ausdruck „Star“ weglassen! Wir brauchen Jungtalente, keine Schlüsselkinder mit Bestätigungsnotstand, wie wir sie dank Bohlen, Klum und Konsorten schon zur Genüge ertragen müssen. Sonst können wir ja gleich eine neue Casting-Show lancieren: „Die Schweiz sucht den Super-Jung-Journi“. Vorteil: der „Esteriore“ dieser Castingshow könnte dann nicht nur vorsätzlich mit dem Auto ins Ringiergebäude reindonnern, er könnte auch gleich selbst die Berichterstattung darüber übernehmen…

Ronnie Grob 08. September 2011, 16:01

@Jungjourni: Mag sein, dass der Begriff „Stars“ dem auf Bescheidenheit und Ausgewogenheit ausgerichteten Schweizer Lebensgefühl entgegenläuft. Mir wäre schon gedient, wenn ich die Namen von Journalisten unter 30/35 kennen würde, die ihr Talent regelmässig, vielleicht auch mit überregionaler Wirkung, zum Ausdruck bringen dürfen. Konkrete Namen wurden ja bisher keine genannt leider (ausgenommen Simone Rau von Fred David).

David Bauer 10. September 2011, 18:35

Lieber Ronnie

Ferienbedingt eine etwas verzögerte Reaktion von meiner Seite. Natürlich gehe ich in vielen Punkten mit dir einig und wünschte mir oft genug selber, dass in der Schweizer Medienlandschaft mehr junge, sagen wir mal: den Medienwandel offen begleitende Journalisten in einflussreichenden Positionen zum Zuge kämen. Und ehrlich gesagt finde ich es etwas schade, dass dein leidenschaftliches Plädoyer seit seiner Publikation noch nicht mehr Echo hervorgerufen hat.

In einem Punkt muss ich dir aber deutlich widersprechen: Dass dir keine Namen von hervorragenden jungen Journalisten einfallen, liegt wohl hauptsächlich an dir. Mir fallen ohne gross zu überlegen eine ganze Reihe ein: Arthur Honegger beim SF, Karin Wenger bei DRS, Daniel Rhyser und Thomas Zaugg beim Magi, Simone Schmid bei der NZZaS, Olivia Kühni beim Newsnetz, Maurice Thiriet beim Tagi, Nina Brunner bei 3sat…alle um die 30 rum und ausgezeichnete Journalistinnen und Journalisten. An fähigen Leuten mangelt es bestimmt nicht.

Ronnie Grob 10. September 2011, 20:39

Eben, und wieviele davon arbeiten in Führungspositionen, sind Chefredaktoren, Projektleiter oder komplett unabhängig? Dass es zu wenig journalistische Talente hat, schreibe ich nicht, glaube ich nicht. Sie dürfen einfach nicht ran, das ist alles. Die Gefahr ist, dass sich Talente und mögliche Talente gefrustet und entmutigt anderen Branchen zuwenden – das ist der „Selbstmord“, von dem ich schreibe.

Wer den Nachwuchskräften keine Möglichkeiten bietet, sich zu entfalten, zerstört auf lange Frist deren Selbstvertrauen („das Wichtigste, das man in unserem Beruf haben muss“, sagt Margrit Sprecher, und die muss es wissen).

Patrick Künzle 13. September 2011, 08:05

Als ich vor mehr als zehn Jahren auf der Redaktion einer Schweizer Tageszeitung begonnen habe, kamen mir meine Kolleginnen und Kollegen extrem alt vor. Wir waren vielleicht drei, vier Leute unter 30. Seither hat sich vieles verändert. Zuletzt kam mir die Redaktion der gleichen Tageszeitung eher zu jung vor. Ich habe die langjährigen, journalistischen Kapazitäten vermisst, zu denen ich aufschaue, von denen ich lernen kann.
Diese Beobachtung scheint gegen Ronnie Grobs These zu sprechen, tut es aber nicht. Ich glaube nämlich, dass heute in erster Linie derart viele junge Leute auf den Zeitungsredaktionen arbeiten, weil sie viel günstiger sind als altgediente Redaktoren. Sie arbeiten notfalls ja auch ohne Vertrag, verzichten auf Ferien und Pensionskassengelder.
Das heisst: Es gibt genügend junge Leute auf den Zeitungsredaktionen. Das eigentliche Problem beginnt somit erst mit Ü30. Denn nachdem du dir dann doch noch eine Festanstellung ergattert hast, gelangst du oft in eine Art Sackgasse. Du bist fleissig, vielleicht sogar talentiert, kriegst Ende Jahr immer ein gutes Arbeitszeugnis, aber das wars dann. Niemand spricht mit dir darüber, ob du gerne Karriere machen würdest. Dein Lohn bleibt jahrelang auf dem gleichen Niveau (sprich: er sinkt). Niemand bietet dir Weiterbildungen an. Du erlebst in deinen zehn Jahren bei dieser Zeitung drei grosse Entlassungswellen – wobei teilweise hervorragende Journalisten auf die Strasse gestellt werden. Du bekommst mit, dass deine Zeitung fast jedes Jahr rote Zahlen einfährt. Und dann stellst du dir nicht selten mit Mitte Dreissig die Sinnfrage: Will ich das wirklich noch?
Ich habe es erlebt, dass viele junge Journalistinnen und Journalisten diese Frage negativ beanwortet haben. Sie verabschieden sich in gut bezahlte Stellen als Pressesprecher mit geregelten Arbeitszeiten. Sie fabrizieren PR-Textchen für Kundenmagazine. Sie entscheiden sich dafür, ihre Lehrerausbildung doch noch abzuschliessen.
Meine Wunsch an alle Verleger und Chefredaktoren ist daher: Gebt uns jungen Journalisten bitte eine Perspektive.

Ronnie Grob 13. September 2011, 12:14

Sehr einverstanden. Auch wenn Wiederholungen langweilig sind: die Plätze in den Redaktionen sind bereits besetzt und besonders die wirklich attraktiven Jobs werden auch besetzt gehalten. So bleibt alles, wie es ist.

Heiko Kunzmann 14. September 2011, 00:21

Hallo Ronny, hallo Patrick,

Eure Beobachtungen aus der Zeitungsszene kann ich zumindest für regionale Blätter in (Ost-)Deutschland zum großen Teil bestätigen: Nachwuchsjournalisten erhalten – wenn überhaupt – Pauschalverträge, mit denen sie vom Lohnniveau her um einiges schlechter da stehen als ihre älteren Kollegen. Viele arbeiten Jahre als Freie in der Hoffnung, eines Tages etwas mehr Geld oder einen besseren Vertrag zu bekommen – doch nichts passiert. Und über das Thema Personalentwicklung reden wir lieber gar nicht erst.
Immer mehr entscheiden sich deshalb schon von vornherein für eine Stelle im PR- und Öffentlichkeitsbereich – zumal die journalistische Qualität vieler Kundenmagazine sich enorm verbessert hat. Und in manchen Ministeriumspressestellen ist der Arbeitsalltag abwechslungsreicher als in einer Lokalredaktion, wo am Fließband Termine wahrgenommen und Artikel runtergehackt werden.
Zeitungen und Verlage haben zwar immer noch mehr Volo-Bewerber als Stellen, doch die Zahl der Interessenten ist in den letzten Jahren bereits zurückgegangen. Die Frage könnte also vielleicht bald sein: Welche guten Talente lassen sich gar nicht erst auf den Journalismus ein, sondern versuchen ihr Glück gleich ganz woanders?

Christof Moser 13. September 2011, 14:01

Ich bin grundsätzlich mit Ronnie Grob einvertanden und vor allem auch mit den ergänzenden Bemerkungen von Patrick Künzle, vermisse aber, gerade von einem immer wieder die Selbstverantwortung betonenden Ronnie, eben: die Selbstverantwortung. Meine Erfahrung: Die Türen für junge Journalisten stehen offen, sowohl bei den Verlagen, aber auch für eigene Projekte. Bedingung: Innovationsgeist und Bereitschaft, viel, viel, wirklich viel zu arbeiten. Das ist bei uns Jungen leider nicht einfach so gegeben. Aber es gibt Beispiele. Ronnie ist selber eines, dann David Bauer, was den Innovationsgeist anbelangt. Was die offenen Türen bei den Verlagen angeht: Peter Wanner hat Patrik Müller mit etwas über 30 zum Chefredaktor gemacht. Aber es ist so, wie ein Kommentator geschrieben hat hier: Wir brauchen nicht Stars. Wir brauchen Arbeiter.

andreas kunz 13. September 2011, 19:38

chef sein ist fade, zermürbend und man kriegt einen fetten arsch von den vielen sitzungen. wer will das schon tun, bevor er unglücklich verheiratet ist und von kinderlärm geweckt wird? viel schöner ist frei sein: hingehen, recherchieren, schreiben. verantwortung hat man dabei genug – man muss sie nur wahrnehmen.

Fred David 14. September 2011, 14:02

Ich finde, es wird hier etwas viel gejammert. Chefredaktoren sind doch dauernd auf der Suche nach jungen Talenten. Schon aus eigenem Interesse sind sie an deren Förderung bez. Durchbruch interessiert. Aber laufen müssen sie dann schon selber, auch dann wenn’s zäh wird und man auf Widerstand stösst und die Bretter dicker werden, die gebohrt werden müssen. Gute Geschichten bahnen sich ihren Weg früher oder später selbers in Blatt oder ins web oder wo auch immer. Ob es gleich eine Führungsposition mit 30 sein muss, bezweifle ich, da stimme ich dem Befund von Andreas Kunz zu, insbesondere seiner Beobachtung von Sitzungshintern…

Jürg Fischer 31. August 2012, 14:00

Wenn ich Michel Reimons «Offensten Brief zum dümmsten Text eines Journalisten über das Internet» lese und anschliessend Frank A. Meiers Text «Basta!», bleibt als wichtigste Lektüreerkenntnis, dass jener eine Zumutung und dieser ein Vergnügen war. Ich meine das jetzt rein sprachlich. Aber Sprache ist halt immer noch der eigentliche Informationsträger – Internet hin oder her.

Thomas Riesen 01. September 2012, 12:01

Auf Printredaktionen gibt es zwei Arten von Redaktoren: Die Etablierten mit eigenen Hoheitsgebieten und dem hohem Lohn. Sie sitzen in den wichtigen Ressorts, sind auf Seite 1 und in den Kommentarspalten zu Hause. Eben wie sich das für Stars gehört.

Auf der anderen Seite gibt es schlecht bezahlte Redaktoren, welche die „weniger wichtigen“ Ressorts bearbeiten. Sie sind vor allem im lokalen Bereich tätig, in Ressorts die häufig unterbesetzt sind. Intern spielen sie keine wichtige Rolle.

Ergänzt wird dieses Bild durch den Praktikantenstadl. Diese teilweise naiven jungen Menschen glauben ernsthaft, dass sie eine faire Chance oder gar eine gute Ausbildung (z. B. MAZ) bekommen. Meist ist das ein Irrtum, sie sind vor allem – günstig!

So wird sich nichts ändern. Die Branche erhält keine neuen Impulse und die „Dinosaurier“ leben weiter in ihrer eigenen Welt, die nicht mehr die Welt vieler Leser ist. Vor allem die Jungen kann man so kaum für eine Zeitung begeistern.