von Ronnie Grob

Welche Parteien die Journalisten lieben

In einem Interview mit dem «SonntagsBlick» am 9. Oktober (PDF-Datei) kritisiert SVP-Strategiechef und Ständeratskandidat Christoph Blocher eine «monopolisierte Medienlandschaft» – gebildet angeblich von der SRG und den «Mainstream-Medien» Ringier, Tamedia und der NZZ-Gruppe. Während sich die ihn befragenden Redaktoren Hossli und Odermatt «gegen den Vorwurf der Verschwörung» verwahren, bekräftigt Blocher: «Ich rede von Gleichschaltung.» Seine Partei sieht das nicht anders. Heftige Vorwürfe – aber treffen Sie auch zu? Die «Medienwoche» wertet dazu eine neue Studie über die politischen Präferenzen Schweizer Journalisten aus.

So direkt hat man das von Blocher in den vielen Jahren, in denen er in Opposition zu den allermeisten Medien des Landes steht, kaum je gehört. Überhaupt wird der Vorwurf der Gleichschaltung in aller Regel zurückhaltend verwendet, weil er der «nationalsozialistischen Terminologie» entstammt, wie es gleich zu Beginn des Wikipedia-Artikels dazu heisst, siehe dazu auch die deutsche Bundeszentrale für politische Bildung. Eine Anfrage bei der stellvertretenden Generalsekretärin der Partei, Silvia Bär, ergibt, dass die SVP Blochers Vorwurf der Gleichschaltung teilt. Die Reaktionen darauf sind allerdings inexistent bis gelassen. Der Inlandchef der NZZ, René Zeller, schreibt: «Es ist wie immer: Die Politiker wissen immer alles besser als wir Journalisten.»

Das Spiel zwischen SVP und Medien hat sich längst eingespielt: Die SVP schaltet jährlich Inserate in Millionenhöhe – und wird dafür im redaktionellen Teil häufig aufgegriffen, wenn auch meist mit Kneifzange, in empörter Manier und skandalisierend. In den letzten Jahren besonders hervorgetan hat sich der «Tages-Anzeiger», in Print und Online (siehe dazu auch das Projekt Newsnetz goes SVP).

Im direkten Vergleich dazu Deutschland: Dort gibt es nicht nur keine Gratiszeitungen, sondern auch keine grosse rechte Partei. Beides könnte in der Politik der Journalisten und Verlage begründet sein: Gratiszeitungsprojekte wurden solange mit Gegenerzeugnissen bekämpft, bis ihnen das Geld ausging und sie aufgaben. Rechte Parteien und ihre Mitglieder werden jeweils schon im Ansatz gesellschaftlich unmöglich gemacht, ansonsten totgeschwiegen. Bisher hat sich, abgesehen von einem gelegentlichen Aufflackern der vom deutschen Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuften NPD, keine etablieren können.

Die Frage ist: Warum unterstützt eigentlich die so unzufriedene SVP diese «Feindespresse»? Müsste sie nicht konsequenterweise per sofort alle Inserate in den Zeitungen der kritisierten Verlage stornieren? Wenn es wirklich so ist, dass der Wahlkampf der SVP bei der Bevölkerung «sehr wohl Gehör» findet, wie Blocher behauptet, nicht aber «im Textteil der gleichgeschalteten Medien» – warum unterstützt denn die SVP diese Medien seit so vielen Jahren? Frau Bär vom SVP-Generalsekretariat erklärt es so: «Da die Positionen der SVP sehr wenig im redaktionellen Teil der Medien aufgenommen werden oder nur sehr verzerrt, sieht die SVP oft als einzigen Weg via einem Inserat die Position klar zum Ausdruck zu bringen. Genau deshalb muss die SVP in den Wahl- und Abstimmungskämpfen auch mehr Mittel einsetzen. Zum Beispiel gab es kein Mainstream-Medium, das die Ausschaffungsinitiative der Partei unterstützt hätte…» Es scheint, als benötigten nicht nur die Medien die SVP – auch umgekehrt scheint die SVP die Medien zu brauchen. Offenbar zahlt sich das gegenseitige Wechselspiel für beide Seiten aus – eine andere Frage ist, was der Medienkonsument von diesem Hickhack hat.

Tatsächlich hat die SVP allen Grund, sich über mangelnden Rückhalt unter den Journalisten zu beklagen: Eine Auswertung von 343 ausgefüllten Fragebogen durch ZHAW-Diplomand Thomas Schlittler zeigt auf, dass sich lediglich 6.1 Prozent von ihnen für die SVP begeistern können, siehe dazu seine Bachelor-Diplomarbeit „Die Politische Orientierung von Deutschschweizer Journalisten“ (PDF-Datei).

Zu den Antworten auf die von Schlittler gestellte Frage «Von welcher Partei fühlen Sie sich am ehesten repräsentiert?» habe eine ich Auswertung gemacht (alle Angaben in Prozent):

Politische Einstellung Schweizer Journalisten, Auswertung von Ronnie Grob, medienwoche.ch

Spalte 1: Parteien.
Spalte 2: Parteipräferenz aller befragten Journalisten, ZHAW Schlittler, Abbildung 35, Seite 52.
Spalte 3: Parteipräferenz ohne Antworten «keine Repräsentation» und «keine Antwort», ZHAW Schlittler, Abbildung 45, Seite 57.
Spalte 4: Wähleranteil der Parlamentswahlen 2007.
Spalte 5: Differenz zwischen Spalte 3 (Journalisten) und 4 (Wähleranteil 2007).
Spalte 6: Prognostizierter Wähleranteil 2011 (Durchschnitt), berechnet aus fünf Wahlumfragen vom 18. Juni bis zum 26. September.

Die Differenz zwischen den Präferenzen der Schweizer Journalisten und dem tatsächlichem Wähleranteil sieht grafisch recht beeindruckend aus. Während die Linken (SP und Grüne) um 25 Prozent übervertreten sind, ist das, was vor wenigen Jahren noch als Bürgerblock bezeichnet wurde (CVP, FDP und SVP), um 27.2 Prozent untervertreten:

Wähleranteil 2007 vs. Journalistenbefragung 2011, Differenz in Prozent, Grafik von Ronnie Grob, Medienwoche.ch

Die Journalisten stehen also deutlich neben dem Rest der Bürger, das gilt auch für ihre Haltung zum Minarettverbot, zur Militärdienstpflicht, zum Bankgeheimnis, zur Neutralität oder zur Volkswahl des Bundesrats. Geradezu extrem ist die Begeisterung von Journalisten für die Grünliberale Partei, die 2007 1.4 Prozent der Stimmen erreichte. Satte 21.9 Prozent fühlen sich von ihr repräsentiert, ein Unterschied mit Faktor 15.

Die (von Journalisten gerne verheimlichte und marginalisierte) Haltung ist das eine, ihre konkrete Auswirkung auf die Arbeit das andere. In der Studie von Schlittler heisst es auf Seite 29/30:

Eine bewusste politische Beeinflussung der Berichterstattung verneint die grosse Mehrheit der Journalisten. Sie fühlen sich offensichtlich dem Credo der (möglichst) objektiven Berichterstattung verpflichtet. Eine unbewusste Einflussnahme schliessen die meisten Journalisten hingegen nicht aus. In spontanen Rückmeldungen am Ende des Fragebogens (vgl. Anhang 8.4.1) geben viele Befragte an, dass eine absolut werteneutrale Berichterstattung schlicht nicht möglich sei, dass man sich aber bemühe, die eigene Einstellung aussen vor zu lassen. Zahlreiche Kommentare weisen auch darauf hin, dass die politische Einstellung vor allem bei der Themenwahl eine Rolle spiele.

Vielleicht braucht es, um den Ausgleich zum Wahl- und Stimmvolk herzustellen, mehr Journalistinnen und Journalisten, die Parteien wie die SVP oder CVP gut finden?

Leserbeiträge

Reto Stauffacher 13. Oktober 2011, 14:27

Interessant wäre herauszufinden, wie oft die SVP in den genannten Medien (SRG, Tamedia, Ringier…) positiv, wie oft sie negativ und wie oft sie neutral, also ohne Wertung, genannt wird. Denn über mangelnde Berichterstattung kann sich die grösste Schweizer Partei wahrlich nicht beklagen. Das Interessanteste an der ganzen Diskussion ist ja, dass die SVP davon profitiert, dass sie in den Medien wenig Rückhalt geniesst. Vielen Medienschaffenden täte es gut, ihre Abwehrreflexe gegen Blocher & Co. abzulegen… Auch die Themen und Parolen der 30%-Partei können sachlich diskutiert werden.

Philippe Wampfler 13. Oktober 2011, 14:49

Danke für die Aufarbeitung. Die m.E. entscheidende Frage ist das Problem der Agendasetzung: Wenn die SVP die Themen diktieren kann, spielt die Haltung der JournalistInnen und Zeitungen eine untergeordnete Rolle. Blocher beklagt sich in letzter Zeit darüber, dass die Wahlkampfthemen der SVP weniger Resonanz finden.
Und hier finde ich letztlich die Unabhängigkeit des Journalismus wichtig: Wenn RedaktorInnen frei entscheiden können, welche Themen relevant sind, dann spielt auch die Frage der Beeinflussung durch Anzeigen kaum eine Rolle. Und m.E. muss auch da die Übereinstimmung mit den LeserInnen stattfinden, nicht in der Haltung.
(Der Hinweis auf die LeserInnen zeigt auch den Fehler des statistischen Vergleichs: Die Personen, die Zeitungen lesen, sind nicht notwendigerweise die, welche wählen. Und diese Untersuchung ermöglicht die zitierte Bachelor-Arbeit nicht…)

Falk aus Berlin 13. Oktober 2011, 15:31

Interessant, durchaus. Was aber den Vergleich erst richtig spannend machen würde, wäre eine Gegenüberstellung der Parteipräferenz der Journalisten und gleichartig situierter (studierte Deutsch-Schweizer zwischen 30 und 60).

Fred David 14. Oktober 2011, 10:52

Man kann als Journalist mit sehr rationalen Argumenten begründen, warum man die SVP für ein schweres Verhängnis für dieses Land und ihren Vizepräsidenten für eine Bedrohung der Demokratie hält, auch wenn diese Partei von 30% der zur Wahl Gehenden gewählt wird. Bei einer Wahlbeteiligung von höchsten 50% entspricht das 15% der Wahlberechtigten. Da es in der Schweiz keine institutionalisierte parlamentarische Opposition gibt, MÜSSEN die Medien einen Teil dieser in einer Demokratie essenziellen Rolle wahrnehmen (und das tun sie sehr milde). Die wichtigste Aufgabe einer Opposition ist die kritische Beobachtung der Macht. Wenn die Macht, wie in der Schweiz, grösstenteils mehrheitlich rechts steht (ein nüchterner Fakt, der keiner tiefergehenden Untersuchungen bedarf), ist eine Opposition zwangsläufig mehrheitlich links. Stünde die Macht links, müsste die Opposition zwangsläufig rechts stehen. In sich eigentlich ein stimmiges Bild, das die durchaus interessante Untersuchung Schlittlers ergibt.

Ugugu 15. Oktober 2011, 05:41

Ich bin jetzt mal so frech und rechne die Grünliberalen zum bürgerlichen Zentrumsblock. Dort wo sie sich im übrigen selbst einordnet. Was eine deutliche Übervertretung bürgerlicher Journalisten ergibt.

Oder sehe ich etwas falsch?

Und nur weil es in Deutschland keine rechtsextreme Partei gibt, die über 30 Prozent der Stimmen auf sich vereint, heisst das nicht, dass wir auf irgendetwas stolz zu sein hätten hierzulande. Finde es schon erschreckend genug, dass offenbar fünf Prozent der Journalisten am SVP-Stiefel lecken…

Christof Moser 15. Oktober 2011, 12:53

Ronnie Grobs Analyse hat gewaltige Schieflage: Natürlich muss die GLP zum Bürgerblock gezählt werden. Allerdings ist das Thema Parteienpräferenz der Journalisten auch schon längst abgelutscht. Was der Gleichschaltungs-Vorwurf von C. B. mit der Parteienpräferenz einer immer unpolitischer werdenden Medienlandschaft (mit positiven und negativen Auswirkungen) haben soll, bleibt nach diesem Beitrag leider völlig unklar.

H.P. Sigrist 19. Oktober 2011, 12:32

Je weiter rechts einer steht, umso mehr Linke sieht er!
Kein Wunder, dass da die SVP jeden der sich ausserhalb der Partei äussert, als Linken betrachtet. Kommt dazu, dass für sie noch die Gleichung „kritisch = links“ gilt und sie daher alle kritischen Medien verunglimpft.
Fakt ist: ausser dem leicht links von der Mitte stehenden Tages-Anzeiger gibt es keine einzige linke Tageszeitung in der Schweiz. Die SRG ist äusserst kompetent (z.B. Echo der Zeit) und ausgewogen. Im Gegensatz dazu gibt es klar rechts positionierte Medien (BAZ, Weltwoche, div. TV-Privatsender). C.B.’s Nebelpetarden sollen wohl davon ablenken. Sein permanenter Druck auf alle Institutionen hat bereits bewirkt, dass die ganze Politlandschaft bedenklich nach rechts gerutscht ist, was auch die Wahlen bestätigen werden.

Traue keiner Statistik, die Du nicht selbst gefälscht hast… 21. Oktober 2011, 19:41

Vielen Dank für den Hinweis auf die Diplomarbeit – was ich persönlich an den Originaldaten bemerkenswert finde, sind folgende Punkte:

1. Die Blick-Gruppe hat nicht an der Befragung teilgenommen; andere eher „bürgerliche“/“konservative“ Mediengruppen haben nur sehr wenige Fragebogen zurückgeschickt – klarer Bias.

2. Zitat Schlittler: „Jeder Achte (12,5 Prozent) gab explizit an, sich von keiner Partei repräsentiert zu fühlen (vgl. Anhang Abbildung 35). Dies erstaunt vor allem deshalb, weil diese Antwortmöglichkeit im Fragebogen gar nicht vorgegeben war (vgl. Anhang 8.1).“ (Anm.: Repräsentation und Wahlverhalten sind nicht unbedingt identisch.)

3. 95.6% alle Befragten gehören keiner politischen Partei an. (vgl. Abb. 46) Spricht, denke ich, für eine neutrale Sicht auf die politische Landschaft.

4. Die Journalisten, die angeben, ihre politische Einstellung habe sich durch den Beruf verändert (ca 1/3 aller Befragten), haben eine deutliche Mitte-Rechts Tendenz! (vgl. Abb. 49)

Ich finde, diese Umstände hätten im Artikel hier oben etwas mehr Gewichtung finden können. Vor allem der Fakt, dass sich einige Medienhäuser explizit der Befragung verschlossen haben ist eine wichtige Einflussgrösse auf das Resultat. Daneben ist zu sagen, dass die statistische Auswertung der Daten unzureichend ist; eine blosse Umrechnung in Prozent verzerrt und lässt keine sichere Beurteilung zu.

Selber lesen und Meinung bilden:
http://www.presseverein.ch/uploads/2011/09/Bachelor-Diplomarbeit_Politische_Orientierung_von_Deutschschweizer_Journalisten.pdf

wahrscheinlich 25. Oktober 2011, 15:56

Die methodisch sehr amateurhafte Arbeit eines Studenten ist nicht grundsätzlich eine schlechte Bachelor-Arbeit; die Ergebnisse wie Fakten zu behandeln ist hingegen reichlich naiv…

Ronnie Grob 25. Oktober 2011, 16:59

Was sind denn Ihre konkreten Kritikpunkte?

Thomas Läubli 15. Dezember 2011, 15:18

Was soll dieser Aufruf, Journalisten sollten die SVP mehr lieben? Jeder Künstler und Werber weiss, dass eine Provokation oder ein Verriss mehr Nutzen bringt als Totschweigen und Marginalisieren. Daher sind die Mainstream-Medien rechtskonservativ, insofern sie in den vergangenen Jahren jeden Furz der SVP an jeder Hundsverlochete kommentiert haben. Ich hoffe, das wird sich nun mit dem neuen Wind, der durch Bundesbern weht, etwas korrigieren und die Medien werden sich wieder Inhalten zuwenden statt Scheindebatten (wie auch das Märchen von den linken Medien eine ist) zu führen.