von Nick Lüthi

Die Totlink-Produzenten vom Dienst

Nach dem Relaunch der Website des schweizerischen Parlaments sind 10’000 Seiten nicht mehr unter ihren bisherigen Adressen erreichbar. Es sei zu aufwändig und komplex, sämtliche Verweise der neuen Struktur anzupassen. Neben dem Bund ist auch die SRG eine grosse Totlink-Produzentin.

Update 5. März:
Die Parlamentsdienste haben inzwischen «beim Redirecting stark nachgebessert». 95 Prozent aller Links würden nun umgeleitet, nur noch fünf Prozent führen (noch) nicht zum angegebenen Ziel. Ursprünglich sollte ein Grossteil der Links, von rund 10’000 Verweisen war die Rede, gar nicht umgeleitet, sondern nur noch auf die Startseite geführt werden. Ein Redirecting «wäre technisch äusserst aufwendig und würde nicht zu 100% funktionieren», hiess es. Nun ist es offenbar doch möglich.

Für mehr als 2,5 Millionen Franken hat der Bund die Website der schweizerischen Bundesversammlung auffrischen lassen. Zwei Jahre hat die Totalsanierung gedauert, am letzten Freitag ging die neue Website online. Der Relaunch ermögliche es, «sich leichter in der Fülle der Informationen auf parlament.ch zurecht zu finden», teilen die Parlamentsdienste mit. Auch sonst wird mit Eigenlob und den Schlagwörtern der Stunde nicht gegeizt. Die Site soll natürlich barrierefrei, responsive, abonnierbar sein.

Dass der Relaunch in einem – nicht unwesentlichen – Punkt eine massive Verschlechterung mit sich bringt, verschweigen die Parlamentsdienste geflissentlich. Im Zuge der Neugestaltung von parlament.ch wurden rund 10’000 Seiten neu adressiert. Unter ihrer bisherigen Adresse sind die Inhalte nicht mehr erreichbar.

Wer zum Beispiel auf Wikipedia im Eintrag zum Nationalrat eine dort verlinkte Originalquelle auf parlament.ch anklickt, wird neuerdings nicht mehr zum Ziel geführt. Man landet stattdessen nur noch auf der Startseite der Bundesversammlung und muss dort die Suche wiederholen.

Von der Verschlimmbesserung sind grundsätzlich alle betroffen, die auf ihren Online-Plattformen irgendwo Links auf jenen Teil der Inhalte von parlament.ch gesetzt haben, die mit dem Relaunch nicht ins neue System überführt worden sind. In mühseliger Kleinarbeit können diese Verweise natürlich händisch aktualisiert werden. Genaus das empfehlen die Parlamentsdienst den Ratsmitliedern mit ihren persönlichen Websites zu tun.

Auch auf die Websuche wirken sich die unerfreulichen Neuerungen aus. Wer bei Google nach einer Medienmitteilung einer parlamentarischen Kommission sucht, wird nicht mehr fündig. Der in der Trefferliste angezeigte Link führt nicht mehr zum gesuchten – und vermeintlich gefundenen – Dokument. Hierzu diskutieren die Parlamentsdienste immerhin über mögliche Massnahmen, tote Links aus dem Google-Index entfernen zu lassen.

Weiterhin unter den bisherigen Adressen erreichbar sind dagegen die Ratsgeschäfte in der «Curia Vista»-Datenbank, ebenso das amtliche Bulletin mit den Wortprotokollen, sowie die Ratsbiografien. «Angesichts der Bedeutung und der stark verbreiteten externen Verlinkung dieser Seiten ist ein Redirecting zwingend nötig», erklärt Daniel Schweizer, Leiter Ressort Web bei den Parlamentsdiensten. Dass alle anderen Seiten, und es sind mit 10’000 nicht wenige, fortan neue Adressen führen und unter ihren bisherigen nicht mehr auffindbar sind, nehmen die Parlamentsdienste nicht nur billigend in Kauf, es ist nachgerade so gewollt.

Sämtliche Verlinkungen in die neue Struktur zu überführen mittels Redirecting, wäre technisch äusserst aufwändig und würde nicht zu hundert Prozent funktionieren, teilt Daniel Schweizer auf Anfrage mit. Zudem würden komplexe Redirecting-Systeme das Gesamtsystem belasten. Entsprechend lautete der Auftrag an die drei mit der Umsetzung betrauten Firmen Itsystems, Namics und DTI, nur einen Teil der Adressierung zu erneuern.

Mit diesem Mangel konfrontiert, zitierte Namics-CEO Jürg Stuker auf Twitter den Slogan «Cool URIs don’t change». Damit überschrieb WWW-Erfinder Tim Berners Lee 1998 ein Dokument, in dem er forderte, dass Web-Adressen stabil und über die gesamte Lebenszeit nicht verändert werden sollten. Sprich: So lange sich eine bestimmte Seite oder ein Dokument im Netz befindet, sollten sie unter der gleichen Anschrift erreichbar sein. In einem weiteren Tweet kommentierte Stuker, es könne «kaum gewollt» sein, die Link-Struktur auf parlament.ch nachhaltig zu verändern. Damit widerspricht er der Bundeskanzlei, die den Auftrag klar so erteilt hat. Eine Anfrage bei der Firma IT Systems, die das Projekt zur Neugestaltung von parlament.ch geleitet hat, blieb bisher unbeantwortet.

Tote Links (engl. link rot) gehören zum Web seit seinen Anfängen – trotz aller Mahnungen seines Erfinders. Eine «virtuelle Epidemie» nannte 2013 das US-Radio NPR den «link rot». Zahlreiche Initiativen, mittels Technologie immerwährende Links zu generieren, wirken sich bestenfalls als Tropfen auf den heissen Stein aus. Die Quote toter Links im Web hat deswegen nicht spürbar abgenommen.

In der Schweiz gibt es neben dem Bund einen zweiten grossen Totlink-Produzenten: Schweizer Radio und Fernsehen. Seit der Namensänderung von DRS zur SRF Ende 2012 führen drs.ch- und sf.tv-Links nur noch auf die SRF-Homepage und nicht mehr zu den ursprünglich damit bezeichneten Inhalten. Die privaten Verlage dagegen schafften es erstaunlich gut, die Adressierung der Artikel konsistent zu halten, auch über komplexe Relaunches hinweg.

Dass sich der Staat und der öffentliche Rundfunk damit schwertun, ihre Online-Bestände langfristig zugänglich zu halten, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Ausgerechnet jene Institutionen, die mit Steuern und öffentlichen Mitteln alimentiert, im Dienste der Allgemeinheit Informationen produzieren und verwalten, schaffen es nicht, ihre Ressourcen nachhaltig zu bewirtschaften. Langfristige Verfügbarkeit ist genauso wichtig wie Barrierefreiheit – wobei im Fall von parlament.ch gleich beide Anforderungen nicht erfüllt sind.

Leserbeiträge

gri 24. Februar 2016, 22:18

Zum Glück gibt es noch jemand, der durchaus fundiert über dieses Malaise ausgerechnet bei einer Schaufenster-Site der CH berichtet.

Kaspar 27. Februar 2016, 00:01

Gibts die überhaupt?

Und ja, klar, es wäre schön wenn auch Seiten wie medienwoche.ch barrierefrei wären.
In anbetracht des budgets das MW vermutlich für sein Layout hatte, muss man MW fairerweise anrechnen im gegensatz zu den hochdotierten parlament.ch Fricklern immerhin eine einigermassen saubere semantische Gliederung hin gekriegt zu haben.

Ich dacht halt nur, dass parlament.ch halt einfach rechtlich dazu verpflichtet wäre barrierefrei zu sein … könnte man meinen.

Aber das diskriminierungsverbot wird anscheinend nicht mal vom Bund selber ernst genommen.

Jens 25. Februar 2016, 22:07

Selbst wenn alle Stricke reißen hätte man das noch händisch machen können. Also ein Mapping zwischen alt und neu. Sehr unschön, wäre aber gegangen. 10000 sind jetzt auch nicht eine so hohe Zahl … 🙂

Kaspar 26. Februar 2016, 19:12

Das man sich im Jahre 2016 für so was als Barrierefrei rühmt, und das auch noch als behördliches Organ, ist mehr als nur eine Frechheit. Nicht mal die Semantik haben sie auf die reihe gekriegt.
Ausserdem sieht das für mich nach einem ziemlich unfertigen Projekt aus: Debugschnipsel und irgend welches auskommentiertes foundation Zeugs begegnet einem alle zwei drei Zeilen und innline styles, und und und…. optimiert worden ist natürlich auch noch weniger als nix. Ca. 90 Requests für eine seite mit 3 bildern drauf. 😉
Caching hat man sich auch einfach gemacht: No-cache tutti, dann macht man ja auch nix falsch. Nicht mal bootstrap.min.css soll mein browser cachen…. ;-D

Knauer 22. November 2016, 22:41

Eine solide Recherche hätte noch die Namen der Verantwortlichen herausgefunden.