von René Worni

Die Bank, die Zeitung und der Journalismus

Die Nähe zu den Akteuren ist im Lokaljournalismus Voraussetzung, um an relevante Informationen zu kommen. Aber Vorsicht: Da kann so manches gehörig in die Hosen gehen. Mit ihren Berichten über einen lokalen Bankenskandal mäandriert die Redaktion des Landboten in Winterthur zwischen kritischer Recherche und Schadensbegrenzung für die Bank. Die Leserschaft bleibt dabei im Regen stehen und fragt sich: Wer gängelt hier wen, die Bank die Redaktion oder umgekehrt?

1,9 Millionen Franken sollen Kunden der Raiffeisenbank Winterthur verloren haben, weil die Bank nicht sorgfältig gearbeitet hat, schrieb Stadtredaktor Christian Gurtner im Landboten am 6. April unter dem Titel «Raiffeisen lässt Kunden im Regen stehen». Gurtner bezieht sich auf die Aussagen einer Geschädigten, die mit ihrem Mann zusammen ein Haus bauen lässt. Doch die Zahlungen leitet die Bank, die dem Paar den Generalunternehmer Norbert Moos empfahl, nicht ins Bauprojekt, sondern auf dessen Privatkonto.
Insgesamt entstand auf diese Weise rund einem Dutzend Geschädigter wegen unsorgfältigen Arbeitens der Bank besagter Schaden von 1,9 Millionen Franken. Sie alle klagen als Interessengemeinschaft gegen Moos und die Raiffeisen-Bank.

Gurtners Artikel ist sauber geschrieben, handwerklich einwandfrei und eine spannende Geschichte, welche nebst des mitunter arroganten Verhaltens der Bankverantwortlichen auch die Ohnmacht von Privaten gegenüber einer Bank exemplarisch zeigt. Die Lokalredaktion des Landboten ist wachsam. Doch drei Tage später, am 9. April, publiziert das Blatt ein Interview mit dem konkursiten Bauunternehmer Moos unter dem Titel «Die Sache tut mir unheimlich leid» – diesmal geschrieben von Redaktor Marius Beerli. Dabei wird man den Eindruck nicht los, Moos sei auf Druck der Bank zur Selbstgeisselung im Landboten angetreten, um von den Raiffeisen-Verantwortlichen abzulenken.

Vier Tage später, am 13. April, lässt die Bank Gabriele Burn, GL-Mitglied von Raiffeisen Schweiz im Landboten auffahren. Diese bekommt eine ganze Seite mit Bild und darf die Vorwürfe weitgehend entkräften: «Es gab keinen Grund, am Generalunternehmer zu zweifeln.» Das Interview mit Titel «Wir lassen uns nicht erpressen» zeichnet der Landbote nur noch scheu mit (red). Dicke Post ist aber ein Kästchen, in dem die Redaktion sich von ihrer Informantin des ersten Artikels distanziert. «Aufgrund der von der Raiffeisen-Bank vorgelegten Informationen sind deren Aussagen unwahr …», diese sei gar nicht Kundin der Bank. Ist Christian Gurtner bei seiner Recherche ein grober Fehler unterlaufen? Weder eine Stellungnahme der Redaktion, wonach sie an ihrer Darstellung festhält, noch ist das Kästchen erkennbar als Gegendarstellung gekennzeichnet.

Einen Tag später titelt Landbote-Reporter Oliver Graf mit dem Aufmacher «Eine lange Liste von Verdächtigungen» und zeigt die Position der Klägergemeinschaft, nicht ganz eine Seite lang aber ebenfalls mit Bild. Die Klage lautet auf Veruntreuung, betrügerischem Konkurs und Unterschriftenfälschung. Immerhin heisst es hier, dass sich die Strafanzeige auch gegen zwei Mitarbeiter der Bank richtet. Dann passiert fünf Tage lang nichts. Am 18. April berichtet Roman Banholzer für Schweiz Aktuell über den Fall. Der Logik der Medienhierarchie gehorchend fasst zwei Tage später am 20. April der Landbote ein Herz und nimmt unter dem Titel «Wann wusste die Bank was?» erstmals wieder die Bank direkt ins Visier. Diesmal schreibt Reporter Peter Fritsche, gleichzeitig Winterthurer Korrespondent von Radio DRS und fasst im Wesentlichen den SF-Beitrag zusammen, der weitere bankinterne Ungereimtheiten an den Tag bringt. Und last but not least sieht sich die Redaktion genötigt, ihre Informantin des ersten Artikels reinzuwaschen. «Für die am 13. April publizierte Richtigstellung, wonach die Aussagen der Informantin unwahr seien, entschuldigen wir uns.»

Was hält die Redaktion zurück, die Dinge nach dem spannenden Start weiterhin beim Namen zu nennen? Wurde bloss die journalistische Regel überstrapaziert, stets auch die Gegenpartei zu Wort kommen zu lassen? Die redaktionellen Schlenker werden jedenfalls für die Leser nicht gerade transparent. Chefredaktorin Colette Gradwohl dementiert entschieden: «Wir haben zweimal einen kleinen Fehler gemacht, den wir korrigiert haben. Zuerst mit der Richtigstellung, dass unsere Informantin nicht Kundin der Raiffeisenbank ist und später, dass sie dies gegenüber dem Landboten so nicht gesagt hatte.» Bei dieser Geschichte sei es logisch, dass man nicht von Anfang an alle Puzzleteile beisammen haben könne. Für die Chefredaktorin ist klar, der Landbote bleibe dran, auch wenn sich die Bank derzeit auf das laufende Verfahren berufe. Das jedenfalls sind klare Worte, die man im Blatt wenigstens in Teilen in einem Kommentar gerne so gelesen hätte.