von Nick Lüthi

Disneyland sieht anders aus

Rainer Stadler übt in der NZZ harsche Kritik an der Nordkorea-Reportagereise vom Schweizer Fernsehen. Das Team um Reporterin Patrizia Laeri habe sich vom Regime «übertölpeln lassen», die fünfteilige Serie sei eine Verharmlosung der dramatischen Situation im abgeschottenen Land. SF habe ein «Disneyland des Kommunismus» gezeigt. Mitnichten. Laeri hat gezeigt, was andere Reporter auch gezeigt hätten. Die Alternative wäre keine Bilder aus dem Reich der bizarren Kim-Dynastie.

Wir haben offenbar nicht die gleichen Bilder gesehen. Während NZZ-Medienredaktor Rainer Stadler in der fünfteiligen Serie von SF aus Nordkorea ein Machwerk mit Propagandacharakter erkennen will, ist es durchaus möglich in den Beiträgen von Patrizia Laeri redliches journalistisches Handwerk zu sehen. Umso mehr, als dass die Reporterin die Gängelung durch die Zensurbehören maximal möglich offenlegt. Ausserdem bietet der Reiseleiter, den Laeri als Türöffner engagiert hatte, in einem längeren Text auf der Website von SF einen Einblick in das umständliche Prozedere bis die Drehbewilligung erteilt wurde.

Klar wirkt die erzwungene Verneigung vor dem Denkmal Kim Il Sungs verstörend und entwürdigend für eine Journalistin. «Eine üble Szene», schreibt Rainer Stadler zurecht. Nur: Laeri hätte diesen Knicks nicht zeigen müssen. Sie hat es aber getan. So steht das Bild als Symbol für die Allmacht der Parteidiktatur.

Dem SF-Team einen Strick daraus zu drehen, wie Stadler das tut, weil es keine Hungernden oder gar Verhungerten gezeigt hat, ist zynisch. Wenn andernorts Kameras auf Hungerbäuche gehalten werden, sind als erste die Medienkritiker zur Stelle, die ein Bildverbot fordern. Wer genau hingeschaut hat, konnte den Hunger sehr wohl sehen: Wenn sich selbst eine Vorzeigebauernfamilie von gebratener Kartoffelstärke ernährt, ein grünlicher Glibber, der beim Zuschauer unmittelbar Übelkeit provoziert, dann wirken diese Bilder ungleich stärker als ausgemergelte Kreaturen. Ausserdem kann das Schweizer Fernsehen getrost davon aussgehen, dass der Grossteil seiner Zuschauer über die Eckdaten Nordkoreas Bescheid weiss und sich kaum von den zensurierten Bildern manipulieren lässt.

Auch wenn sich die Zensurbehörden nach Massen darum bemühten, nur die Glanzseiten der maroden Kim-Diktatur zu zeigen, wirkte alles wie gestellt. Potemkinsche Dörfer, schnell hochgezogen für das Kamerateam aus dem Westen. Disneyland – und selbst ein kommunistisches – sieht anders aus.

Leserbeiträge

Rainer Stadler 28. Juni 2011, 16:32

Habe ich irgendwo verlangt, man solle hungernde oder verhungerte Menschen zeigen? Nein. Würde ich niemals tun. Auch habe ich den Reportern keine Unredlichkeit vorgeworfen. Dafür gab es keinen Grund. Die „Kim-Dynastie“ ist allerdings nicht einfach „bizarr“, sondern schrecklich. Und das kann man genau mit Bildern nicht zeigen, wenn es von Kontrollfreaks wimmelt. Darum war das Unternehmen SF naiv, oder wie es der Sender selbst sagt: Mission impossible. Aber man wollte halt doch hin, weil man „exklusiv“ dort sein konnte. Für scheinbare Exklusivität kann man auch seine Seele verkaufen. Wie das ja regelmässig auf dem Medienmarkt geschieht.

Nick Lüthi 28. Juni 2011, 21:49

Explizit gefordert hast du zwar nicht, dass Hungernde und Geschundene gezeigt werden, das stimmt. Aber du schreibst Folgendes und das kann ich nicht anders als Kritik daran verstehen, dass nicht das wahre Leiden, also Hunger, Folter, Tod, gezeigt wird: «Die fünf Berichte weisen in den Kommentaren immer wieder darauf hin, dass das Volk hungert, wenn nicht verhungert, und dass ein unerbittliches stalinistisches Regime an der Macht ist. Doch was sieht der Zuschauer, während er die kritischen Worte hört, breite Autobahnen, blitzblanke Plätze, (..)»
Du wirfst mit deiner Kritik die Grundsatzfrage auf: Wie können/sollen/dürfen Medien über Nordkorea berichten? Ich betrachte den Versuch von SF, sich vor Ort ein Bild zu machen, als einen Teil einer möglichen Strategie sich diesem Land journalistisch zu nähern. Das alleine reicht aber nicht. Dennoch läge mir eine pauschale Verurteilung der Dok-Serie fern.

Torsten Haeffner 29. Juni 2011, 09:20

Werte Herren,
Ihre Diskussion – und der besprochene Gegenstand eignet sich vorzüglich dazu – wirft interessante Fragen auf:

1. Kann es unter den gegebenen Umständen (und die gleiche Frage lässt sich auch hinsichtlich der Berichterstattung z.B. über den Sudan, Nahost stellen) überhaupt eine adäquate Berichterstattung geben?

2. Wie müsste diese Berichterstattung dann ggfs. aussehen?

3. Geraten Journalisten und Medien bei derartigen Herausforderungen nicht zwangsläufig sehr rasch an ihre Grenzen, zumal sich die Ansprüche der Medien-Konsumenten in den vergangenen Jahren gewaltig verändert haben? Ein Gerd Ruge wäre heute vielleicht nur noch schwer vermittelbar.

Manchmal denke ich mir: Die „Schere im Kopf“ des Zuschauers ist ähnlich schwarf wie die Propaganda-Schwerter der diversen Diktatoren.

Beste Grüsse,
Torsten Haeffner

Rainer Stadler 29. Juni 2011, 14:50

Der SF-Film kann dann ausführlich im nordkoreanischen Staatsfernsehen zitiert werden: Schweizer Journalisten ehren unsere Führung! Wie naiv darf man als Journalist sein? Manchmal sollte man die Kamera besser zu Hause lassen. 1000 Worte sagen zuweilen viel mehr als ein Bild.

T. Brahm 30. Juni 2011, 14:19

Sehr geehrte Damen und Herren

Ich weiss nicht, weshalb wir diesen Bericht überhaupt diskutieren. Das sich ehrgeizige Journalisten Ihren Abgang vom SRF durch eine Reise vergolden lassen ist alleine deren Profilierungsneurose zu verdanken.

Patrizia Laeri kommt von der Wirtschaft. Ich frage mich, was sie überhaupt in diesen Themen zu suchen hat. Auch die geplante Rochade Wille / Laeri (wissen sie die beiden kennen sich gut) lässt auf einen klaren Selbstzweck schliessen.

In diesem Bericht geht es nicht um Nordkorea.

Es grüsst Sie
T. Brahm

I

Stephan Eisler 06. Juli 2011, 15:08

Den Journalisten des SRF Naivität zu unterstellen, finde ich – gelinde gesagt – reichlich daneben. Der Knicks kam zum Einen aus Höflichkeit und zum Andern aus reiner Vorsicht zustande. Mit den Kontrolleuren des Regimes im Nacken würde sich wohl der idealistischste Journalist vor besagter Statue hinknien. Alles andere hätte zu noch mehr Sanktionen und Zensur seitens der Kontrolleure geführt.

Die Reportage hat für mich schön Schein und Sein in Nordkorea dargestellt. Nicht mehr und nicht weniger. Mehr war nur schon deshalb nicht rauszuholen, weil es ansonsten wohl gefährlich für die Journalisten geworden wäre. Deswegen gleich wieder gegen das SRF und einzelne Journalisten zu schiessen, ist kleinlich und unfair. Wer meint, es besser machen zu können, der möge sich mit einer Spionkamera ins Land schleichen…