Chef, links, bloggt
In der «Südostschweiz» gibt es seit Februar nur noch eine Redaktion für Print und Online. Der bloggende Chefredaktor David Sieber will sie ins konvergente Zeitalter führen. Wie geht man im Reich des Bündner Monopolisten Lebrument mit der Herausforderung Web um? Was denkt man von der Konkurrenz in Zürich? Ein klärendes Gespräch im Haus der «Südostschweiz» in Chur.
Etwas seltsam sieht es schon aus, das Gebäude der «Südostschweiz». Eingeklemmt in einem Industriequartier zwischen Vertretungen asiatischer Automarken, glänzt es schwarzgrau vor einer Bergkulisse. Der Chefredaktor sitzt zwar in einem eigenen Raum, aber viel mehr als ein Pult, ein Sitzungstisch und ein paar Erinnerungen sind da nicht zu sehen. Nicht mal eine schöne Aussicht hat das Büro. Aber wer braucht schon sowas, gute Texte können überall entstehen. Ein Umzug in ein neues Gebäude steht sowieso bald an.
David Sieber gehörte als Bundeshaus-Korrespondent zum Gründungsteam des «Sonntag», zuvor war er während sechs Jahren als Inlandchef für die «Berner Zeitung» tätig. Eingestiegen in den Journalismus ist er bei der damaligen «Bündner Zeitung» 1989. Zuvor war er Bauer und arbeitete auf dem Bau.
Du bist meines Wissens der einzige bloggende Zeitungschefredaktor der Schweiz. Wie bist Du darauf gekommen, zu bloggen?
Redaktionen werden von aussen oft als eine Art Blackbox wahrgenommen. Viele Aussenstehende glauben, wir machen das, was ihnen nicht passt, absichtlich. Mein Ziel ist es, mit meinem Blog Öffentlichkeit und Transparenz schaffen. Ich will dem Vorurteil entgegenwirken, wir hätten eine verdeckte Agenda, das haben wir nämlich nicht.
Die Aufmerksamkeit ist allerdings begrenzt, das ist mir auch klar. Die Leserzahlen des gesamten «Südostschweiz»-Medienverbunds tendieren gegen 250.000 Personen. Mein Blog lesen im Schnitt rund 1000 Menschen. Ich halte die klassische Kommunikation, also an Veranstaltungen gehen, Vorträge halten und Einladungen aussprechen, nach wie vor für wirkungsvoller.
Die Klickzahlen zeigen: Das Interna-Blog ist ja eines Eurer bestgelesenen Blogs …
Wir machen die Klickzahlen öffentlich. Wenn man das schon messen kann, kann man es auch gleich öffentlich machen.
Funktionieren die Blogs? Wie nehmen die Leser das Angebot auf?
Wir haben ein grosses Blogangebot, und ja, ein Teil der Leser nimmt es auf. Einige Blogs drucken wir auch ab: Die Beiträge von Mundartrapper Gimma zum Beispiel oder die romanischsprachige Kolumne «Convivenza».
Hast Du Gimma zum Bloggen gebracht? Wie kommt der an?
Es war ein Kollege, der die Idee hatte und den Kontakt hestellte. Gimma hat eine Carte Blanche und kann schreiben, was er will. Ich finde, der macht das gut. Aber er polarisiert natürlich durchaus.
Das Blog von Matthias Aebischer (SP) ist ja auch etwas PR für seine Nationalratskandidatur. Habt ihr auch Blogs von Politikern anderer Parteien im Angebot?
Die Idee war, ein Zugpferd für unseren Wahlchannel zu finden. Ich wollte jemanden, den man in unserem Verbreitungsgebiet nicht wählen kann, der einigermassen prominent ist und der das erste Mal antritt (und so von seinem ersten Wahlkampf erzählen kann). Seine Parteizugehörigkeit hat damit nichts zu tun, das ist ein rein marketingtechnischer Entscheid. Wir haben einfach niemand anders gefunden, der diese Kritierien so erfüllt. Wir machen das übrigens zusammen mit der «Aargauer Zeitung», mit der wir die Bundeshausredaktion gemeinsam haben.
«Politisch war und bin ich links der Mitte zu verorten», war kürzlich in Deinem Blogeintrag «Der Journalist und seine Gesinnung» zu lesen. Kann man als Journalist die eigene politische Haltung überhaupt trennen von der Arbeit?
Der Begriff Objektivität muss definiert werden, Objektivität alleine ist noch kein Gütezeichen. Natürlich muss man sich in unserer Arbeit um Objektivität bemühen, doch wir sind Menschen und deshalb per se subjektiv. Als Blattmacher interessiert mich, ob eine Story gut ist und ob sie Substanz hat. Wem sie nützt oder schadet, ist mir egal. Es gibt keine Themen, die nicht ins Blatt kommen, weil sie mir politisch nicht passen. Wäre das so, hätte ich den falschen Job, dann könnte ich keine Forumszeitung machen. Wir haben ja mit dem «Bündner Tagblatt» eine Inhouse-Konkurrenz – und ich finde, der Wettbewerb funktioniert da.
Bis vor Kurzem hatte die «Südostschweiz» eine furchtbare Website, inzwischen eine recht ansehnliche. Was hat Euch zum Relaunch bewogen?
Die Aufschaltung der neuen Website hat sich leider lange verzögert. Eines der Probleme war, dass die Website schon zu einem guten Teil gebaut war – aber ohne die Redaktion einzubeziehen. Ich habe den Auftrag, unsere Redaktion ins konvergente Zeitalter zu führen. So entstand das Konzept der gemeinsamen Print/Online-Redaktion, die es seit Mitte Februar gibt. Erarbeitet wurde dieses Modell übrigens nicht Top-Down, sondern von einer internen Arbeitsgruppe mit Hilfe eines Beraters der WAN-IFRA. Derzeit haben wir drei Redaktionssysteme: Quark für Print und zwei für Online. In einem nächsten Schritt möchte ich diese drei Programme auf eines reduzieren.
Können sich Eure Leser beteiligen?
Mit der neuen Website haben wir auch die Stelle eines Community Managers geschaffen, derzeit besetzt von Mario Engi. Der sitzt am Newsdesk, kümmert sich um die Leserbriefe und -kommentare und hat die Aufgabe, die Leute von der Zeitung auf das Online-Portal zu bringen und umgekehrt.
Wir bitten unsere Leser zum Beispiel, Osterrezepte oder persönliche Liebesgeschichten einzusenden und küren dann in Abstimmungen die Besten. An Leserreporter bezahlen wir 50 Franken pro Abdruck bzw. pro brauchbarer Story. Im Bildbereich erhalten wir so zwei bis drei Bilder pro Woche. Vor kurzem brannte ein Waldstück, da erhielten wir drei Bilder innerhalb einer halben Stunde.
Werden auch andere Quellen verlinkt auf suedostschweiz.ch?
Eigentlich ist das ein Gebot der Fairness.
Wie ist die Beziehung zum Verleger? Meines Wissens ist Hanspeter Lebrument ja dem Web gegenüber eher kritisch eingestellt …
Das stimmt nicht, er ist sehr offen gegenüber online. Er hat nur etwas gegen die Ausweitung der SRG im Web.
Wie siehst Du die Online-Aktivitäten der Konkurrenz aus Zürich?
Das ist eine andere Liga, die haben natürlich viel mehr Potential. Ich schaue oft auf tagesanzeiger.ch und blick.ch. Mich erstaunt, wie viele Inhalte der «Tages-Anzeiger» verschenkt, das würden wir nicht machen. Bei uns sind frei verfügbare Informationen kostenlos. Bei eigenen Recherchen verweisen wir auf das E-Paper oder die Zeitung, reissen die Geschichten auf dem Portal bloss an. Man kann einzelne Artikel kaufen, eigentlich haben wir bereits eine Paywall. Derzeit planen wir neue Online-Aboangebote und fragen uns: Rechnet sich das, Inhalte nur online hinter der Paywall zu machen?
Wie viele Stunden pro Tag bist Du im Web? Wie viel Zeit wendest Du für Dein Blog auf?
Für Facebook, Online und Lesermails wende ich etwa 5 bis 10 Prozent der Arbeitszeit auf. Das sind dann schnell mal 5 bis 6 Stunden pro Woche.
Nimmst Du andere Blogs im Land wahr?
Mein Lieblingsblog ist das Fussballblog «Zum runden Leder». Als Basler lese ich regelmässig «infamy». «Medienspiegel», «Persönlich» und «Medienwoche» gehören sowieso zum Pflichtprogramm. Das Design der «Medienwoche» gefällt mir übrigens nicht so sehr – das Wichtigste gehört meiner Meinung nach zuoberst hin. Ganz wie im klassischen Journalismus.
Das Gespräch mit David Sieber wurde am 6. Juni 2011 in Chur geführt.