von Nick Lüthi

Ein Hybrid auf Identitätssuche

Viel Aufhebens um den jüngsten Spross im Schweizer Blätterwald: Die Basler Tageswoche bewegt Branche und Publikum gleichermassen. Nun muss der stiftungsfinanzierte Online/Papier-Hybrid die hohen Erwartungen erfüllen. Vier Tage nach dem Start mag vor allem die Website zu überzeugen. Die gedruckte Zeitung dagegen macht einen unfertigen Eindruck.

Die Zahlen sind rekordverdächtig. Noch bevor die Tageswoche ihren ersten Artikel veröffentlicht hatte, zählte die Abo-Verwaltung bereits 5000 Einträge in ihrer Kartei. Dieser Wert erstaunt umso mehr, als dass die Anhängerschaft auf Twitter und Facebook, die ja nichts kostet ausser einen Klick, gerade mal die Hälfte der zahlenden Abonnenten ausmachte. Erklären lässt sich der fulminante Start mit den Gründungsumständen der Zeitung.

Der Missmut in der Öffentlichkeit über die verlegerische und publizistische Entwicklung der Basler Zeitung BaZ trugen wesentlich zu den Erwartungen bei, die das Publikum nun an die Tageswoche stellt. Obwohl die Redaktion nicht müde wird zu betonen, man mache keine Anti-BaZ (was schon von den Ressourcen her gar nicht möglich wäre), weiss sie genau, dass zumindest ein Teil der Basler Leser genau das von der neuen Zeitung erwartet. In der Plakatkampagne zum Start der Tageswoche waren denn die Spitzen gegen die BaZ nicht zu überlesen. Wenn da steht: «Werde heimlicher Financier der Tageswoche», wissen alle, wer und was damit gemeint ist. Offensichtlich hat die Werbebotschaft ihre Wirkung nicht verfehlt.

Und jetzt gilt es ernst. Seit vier Tagen gibt es die Tageswoche als Zeitung und als Webplattform. Im Zentrum des (Medien)interesses stand bisher vor allem die Zeitung. Zur Launch-Party am Donnerstagabend kamen die meisten Leute, um ein Exemplar des 64 Seiten starken Tabloidblatts abzuholen.

Begeisterungsstürme löste die Erstausgabe keine aus, vielmehr bestätigte sie die nicht eben neue Erkenntnis, dass eine Zeitung eine Zeitung ist. Wer sich ein bisschen Mühe gibt, kann nicht viel falsch machen. Die erste Tageswoche auf Papier präsentiert sich handwerklich solid umgesetzt, aber nicht herausragend. Mit der Titelseite lässt sich kein Designpreis gewinnen. Insgesamt kommt die Zeitung klassisch und textlastig daher, verzichtet auf gestalterische Experimente, abgesehen von einer aufwändigen, aber überladenen Infografik zu den Auswirkungen der Frankenstärke auf die KMU.

Der Titelgeschichte zu den eidgenössischen Wahlen fehlen Dringlichkeit und Prägnanz, die sie zu solcher Prominenz berechtigen. Unterstrichen wird die Zurückhaltung mit einer unscheinbaren Illustration mit zerknülltem Papier und Pappmaché-Objekten. Doch eines macht der Aufmacher klar: Mit der fünfseitigen Wahlbilanz, sowie dem dazugehörigen Interview mit Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf signalisiert die Redaktion deutlich, dass die Tageswoche auch für Nicht-Basler berichtet. Überhaupt befasst sich der Grossteil der Artikel mit überregionalen Themen. Entsprechend gab es Stimmen an der Launch-Party, die sich mehr Basel im Blatt wünschen. Den richtigen Mix zu finden um Publika in Basel und ausserhalb anzusprechen, dürfte nicht ganz einfach sein.

So unentschieden und unfertig die erste Zeitungsausgabe daherkommt, so gelungen wirkt der Start der Online-Plattform. Abgesehen von technischen Macken und Mängeln, wie sie bei Projekten ab einem gewissen Komplexitätsgrad nicht zu vermeiden sind, hält tageswoche.ch weitgehend, was die Redaktion versprochen hat. Bereits in den ersten Tagen nutzte die Redaktion die multimedialen Möglichkeiten des Web, wie man es auf anderen Nachrichtenportalen nur selten sieht.

Etwa bei der Aufbereitung des Videointerviews mit Marianne Faithfull. Die Antworten der Sängerin sind mit dem Zeitstempel der Videospur versehen, so dass man sich bei Interesse einzelne Aussagen auch in Bild und Ton zu Gemüte führen kann, ohne das ganze Video abspulen zu müssen. Das ist keine Revolution, aber eine sinnvolle Verknüpfung von Text und Bewegtbild, die mit wenig Aufwand einen Mehrwert bietet.

Ein Format, das Schweizer Online-Medien ebenfalls selten einsetzen, ist die Audio-Slideshow. Die Tageswoche bietet eine solche Web-Diaschau als multimediale Ergänzung zum Porträt des ehemaligen Fotografen Silvio Mettler, der vor 25 Jahren als erster Reporter den Brand des Chemiewerks in Schweizerhalle vor der Linse hatte. Mettler kommentiert während sechs Minuten eine Auswahl seiner Bilder von der Katastrophe, ergänzt mit Sequenzen aus der damaligen Live-Berichtersattung von Radio Basilisk. Auch die Audio-Slideshow ist nicht der letzte Schrei im Online-Journalismus, aber ein ebenso attraktives wie auch unterschätztes Multimedia-Format.

Für den gelungenen Start im Netz sorgt nicht nur die Redaktion, sondern auch das Publikum, das sich als Community um die neue Plattform gruppiert und auf den dafür vorgesehenen Kanälen einbringt. Zwar hält sich die Zahl der Kommentare zu einzelnen Artikeln noch in überschaubaren Grenzen. Was aber auffällt, ist einerseits der sachliche Ton der Nutzerbeiträge und andererseits die Bereitschaft der Redaktion, auf die Kommentare und die darin geäusserte Kritik zu reagieren. Zum Beispiel Kulturredaktor Marc Krebs, der sich für seine Nervosität und das fehlerhafte Englisch im Faithfull-Interview entschuldigt, nachdem ihm dies ein Leser ziemlich unverblümt vorgehalten hat. Mit der Fähigkeit zur öffentlichen Selbstkritik und der sichtbaren Präsenz der Redaktion in den Diskussionen der Community legt die Tageswoche einen wichtigen Grundstein zur Qualitätssicherung. Wer es in der Frühphase nicht schafft, klare Spielregeln zu etablieren, hat später grösste Mühe dies nachzuholen. Nach den ersten vier Tagen im Netz scheint die Tageswoche auf guten Wegen unterwegs zu sein. Aber wie Redaktor Marc Krebs schreibt: «Nur die Praxis hilft, Fortschritte zu erzielen.»

Leserbeiträge

Patrick Bürgler 01. November 2011, 13:48

Ein kleines Apropos zur Audioslideshow – eine sehenswerte und ausgefeilte Variante davon hat gerade den Prix Europa 2011 Online gewonnen. Lohnt sich, das mal anzuschauen: http://www.a-l-abri-de-rien.com.

Michael 04. November 2011, 22:21

Ein sehr wichtige Detail, jedenfalls für mich: Man kann sehr einfach per Flattr, PayPal oder Postfinance Artikel honorieren.
Dass ich das noch erleben darf;-)

Im Ernst: ich verstehe nicht, dass das zB nicht mal die WOZ das anbietet.
Spielt doch erst mal keine Rolle ob gleich Riesensummen zusammenkommen, es braucht wenigstens die Möglichkeit bezahlen zu können (ohne Abonnent zu sein).