von Nick Lüthi

Schadeninspektion

Hildebrand ist weg, die Medien bleiben. Mit Kritik an der Konkurrenz haben Journalisten nicht gespart. Doch das eigene Verhalten blieb bisher unreflektiert. Selbstkritik sind die Medien im Sinne der Transparenz ihrem Publikum schuldig.

Mit seinem Rücktritt als Nationalbankpräsident hat Philipp Hildebrand so gehandelt, wie dies die Weltwoche im Gleichschritt mit der SVP gefordert hatte. Ihn aber deswegen als Opfer einer Medienkampagne zu bezeichnen, greift zu kurz. Schliesslich bestreitet niemand den Kern der Geschichte: Herr und Frau Hildebrand haben in einem währungspolitisch heissen und heiklen Umfeld Dollar gekauft und wieder verkauft. Ob sich dies – bei aller Legalität und Reglementskonformität der Geschäfte – mit der Glaubwürdigkeit als Nationalbankpräsident verträgt, lautete denn auch die entscheidende Frage. Mit dem Rücktritt hat sie Hildebrand beantwortet.

Dass die Medien hellhörig werden, wenn die Nationalbank Devisengeschäfte der Gattin des Präsidenten als unbedenklich taxiert, entspringt einem professionellen Reflex. Wenn die Meinungen auseinandergehen, wie der Persilschein der Bank zu interpretieren sei, dann zeugt dies zuerst einmal von gelebter Meinungsvielfalt. Was die einzelnen Medien daraus machen und vor allem: wie sie das tun, steht freilich auf einem anderen Blatt.

Im Fall Hildebrand spielten vor allem politische Reflexe, die sich fortan als Leitmotiv durch die Berichterstattung zogen: Die NZZ am Sonntag und die Sonntagszeitung, die den Reigen am 1. Januar eröffneten, richteten den Fokus auf die Rolle von Christoph Blocher, die Weltwoche zielte erwartungsgemäss frontal auf Nationalbankpräsident Hildebrand. Obwohl entscheidende Informationen fehlten, gelangten sie alle bereits in einem frühen Stadium zu glasklaren Erkenntnissen.

So verkaufte es die NZZ am Sonntag als Tatsache, dass Frau Hildebrand die Inhaberin jenes Kontos sei, über das die Devisengeschäfte gelaufen waren. Das stellte sich später als falsch heraus. Die Weltwoche wiederum überspannte den Bogen, indem sie Hildebrand, gestützt auf die Aussagen einer einzigen Quelle, mit der sie nicht einmal direkten Kontakt hatte, als «Gauner» bezeichnete, «der sich illegal Vorteile erschleicht.»

In der Berichterstattung zur Affäre Hildebrand wurde bisweilen geschossen, ohne genau zu zielen. Eine «Atombombe», als die ein Weltwoche-Redaktor den Artikel seines Kollegen Urs Paul Engeler ankündigte, richtet nun mal grossflächigen Schaden an – und verspricht das anvisierte Zielobjekt garantiert auszulöschen. Der Schaden rührt unter anderem daher, weil man bereit war, journalistische Standards einem politischen Ziel zu opfern. Bei den wichtigen und richtigen Recherchen zu den privaten Devisengeschäften des Notenbankchefs wurden mehrfach elementare Spielregeln verletzt.

Nun muss es ans Aufräumen gehen. Und zuerst an eine Schadeninspektion. Das setzt jedoch ein Minimum an Einsicht in möglicherweise begangene Fehler voraus und die Bereitschaft, auch öffentlich die eigene Rolle zu reflektieren. Medien sind diese Transparenz ihrem Publikum schuldig, normalerweise im Rahmen der Berichterstattung, sonst halt post festum. Doch von Selbstkritik ist heute noch wenig zu vernehmen, obwohl die Zäsur nach dem Hildebrand-Rücktritt dafür Raum bieten würde.

Immerhin, und das ist eine der erfreulichen Begleiterscheinungen der intensiven Beschäftigung zahlreicher Redaktionen mit ein und demselben Thema, stand stets auch die Berichterstattung der Konkurrenz unter permanenter Beobachtung. Twitter entwickelte sich hierfür zum intensiv genutzten Diskussionskanal. Doch diese Ad-hoc-Medienkritik, wie auch die zahlreichen Artikel, die sich mit dem Medienverhalten beschäftigen, hatten stets nur die anderen im Auge. Die (Selbst)kritikfähigkeit von Medienschaffenden war noch nie besonders ausgeprägt.

Leserbeiträge

Henri Leuzinger 11. Januar 2012, 13:26

Treffend kommentiert! Wer bei anderen Branchen nach einem Verhaltenskodex ruft und das Einhalten von Standesregeln einfordert, sollte die eigenen schon auch selber beherzigen. Diesbezüglich machten nicht alle KollegInnen gute Figur in der Berichterstattung zu dieser Geschichte.
Was bleibt: Verhaltenskodices und Standesregeln öffentlich machen und, wenn nötig, aktualisieren.

Thommen_61 11. Januar 2012, 17:31

Ich habe solches Gefuhrwerke selber erlebt vor 10 Jahren mit dem Beobachter. Von dessen Mitarbeiter Rauber bin ich in die „pädophile“ Pfanne gehauen worden. Unmöglichkeit der vorherigen Stellungnahme zu den publizierten Vorwürfen und dann noch Verweigerung des Gegendarstellungsrechts…
Heute weiss ich, dass ich sofort aufs Zivilgericht rennen muss, weil die Medien das sonst sehr lässig nehmen… Das war wohl nicht die Absicht der Gesetzgeber!

silvana 11. Januar 2012, 20:22

Lieber Herr Lüthi

Danke, sie sprechen mir von der Seele.
Es ist dringend nötig die Rolle der Medien zu hinterfragen. Es Die svp versteht es genial die Medienklaviatur zu bedienen.
ich bin etwas enttäuscht aber leider nicht erstaunt, wie die medien in diesem fall wiedermal getan haben, was man von ihnen erwartet. man muss sich ernsthaft mal gedanken darüber machen, wie das weitergehen soll.
es ist schlimm, dass die sogenannte 4. gewalt so nachlässig und manipulierbar geworden ist. jeder ernsthafte journalist sollte sich ethisch hinterfragen. es ist eine tragisch, dass das volk immer mit halbwahrheiten gefüttert wird und wir uns immer mit medienpolitischem schmierentheater abgeben müssen. dieses land hat probleme. ernsthafte sogar. diese gehen dabei immer vergessen.
es ist gut alles zu hinterfragen, alles offen zu legen. transparenz ist notwendig, aber in ALLEN bereichen.
die motivationen verschiedenster akteure in diesem fall sind äusserst fragwürdig.
ich habe das gefühl, das alles grenz an gezielter volksverblödung.
uns werden fehlinformationen , vorverurteilungen gezielt tausendmal vorgekaut. nur ist es halt so, dass aussagen nicht dadurch wahr werden indem man sie wiederholt. es ist aber auch aufgabe der medien genauer zu recherchieren. dafür zu sorgen, dass nicht gezielt augenwischerei betrieben wird.
man weiss nicht mehr was man glauben kann. und das verhindert eine konstruktive Diskussion.