An der Twitter-Erklärfront
Gleich drei der vier grossen Schweizer Sonntagszeitungen nehmen den rassistischen Tweet von Olympiafussballer Morganella zum Anlass, dem Publikum noch einmal die Sache mit Twitter zu erklären. Dabei ist vor allem von Risiken und Gefahren die Rede. Kein Wunder: Schliesslich macht der skandalfreie Twitter-Alltag auch keine grossen Schlagzeilen.
1. Sonntagszeitung: «Die Twitter-Falle»
Das längliche Stück liest sich als braver und uninspirierter Zusammenschrieb; nichts, was man andernorts nicht auch schon gelesen hätte: Ein bisschen Morganella-Chronologie, ein bisschen Twitter-Statistik, ein paar Expertenstimmen mit einem mehr oder weniger breiten Meinungsspektrum und schliesslich als News (die so neu nun auch nicht ist) die Ankündigung einer «grossen Twitteroffensive» bei Schweizer Unternehmen. Wer noch nie etwas von Twitter gehört hat, lässt nach diesem Artikel sicher die Finger davon. Twitter wird hier primär als Gefahrenherd dargestellt. Aber so funktioniert Journalismus: Nicht die Regel interessiert, sondern die Ausnahme.
2. Der Sonntag: «140 Zeichen – und weg bist du: Was Twitter so gefährlich macht»
Medienkritiker Christof Moser erklärt kompetent und (etwas zu) wortreich die Risiken und Nebenwirkungen von Twitter. Wobei auch dieser Text den Eindruck nicht vermeiden kann, als handle es sich bei Twitter um eine speziell tückische Kommunikationsplattform. Weshalb Twitter dann doch «so unwiderstehlich gut» sei, wie der Autor abschliessend festhält, muss sich der Leser selber zusammenreimen.
3. NZZ am Sonntag: «Wenn Entgleisungen von der ganzen Welt gelesen werden»
Christof Gertsch schreibt nicht zum ersten Mal über Sport und Twitter, respektive: Sportler und ihr Gezwitscher. Das merkt man auch diesem Text an. Was den Artikel in der NZZ am Sonntag zum besten der sonntäglichen Erklärstunde macht, ist zum einen der nüchterne und schnörkellose Ton, zum anderen der breite Blick auf die Tücken der digitalen Kommunikationsplattformen. Gertsch beginnt seine Analyse nicht wie die anderen Sonntagszeitungen bei den olympischen Skandal-Tweets, sondern beim Journalisten Guy Adams. Ihm sperrte Twitter vorübergehend den Account weil er sich kritisch zur Olympia-Berichterstattung von NBC geäussert hatte. Die empörten Reaktionen auf den Vorfall zeigten, schreibt Gertsch, dass Twitter zum globalen Phänomen avanciert sei. Der Text in der NZZ am Sonntag liest sich nicht als implizite Warnung vor dem gefährlichen Twitter, sondern zeigt, dass nicht jeder Mensch zum Vorbild taugt – unabhängig von der Medienplattform und der vermeintlichen Professionalität. So sagte kürzlich ein ARD-Kommentator bei den olympischen Spielen: «Seit 2008 wird zurückgeritten. Wir holen uns Gold zurück, gnadenlos.»
4. NZZ am Sonntag: «Zehn Gebote für den richtigen Umgang mit Social Media»
Als Autor für eine Social-Media-Knigge hat die NZZ am Sonntag den Winterthurer Linguistikprofessor Daniel Perrin als Gastautor eingeladen. Mit Twitter ist der ehemalige Journalist nur beschränkt vertraut. Vier Tweets hat er bisher verfasst, die jedoch nur seine 129 Follower lesen können. Das muss nichts heissen. Auch Journalisten, die noch nie im Weltall waren, schreiben über die ISS. Die der Diktion des biblischen Dekalogs nachempfundenden Empfehlungen («Du sollst nicht…») bestechen durch ihre Banalität. Sie zeigen einmal mehr, dass für Social Media die gleichen Anstands- und Verhaltensregeln gelten, wie auch sonst im Umgang mit anderen Menschen.