«Das ist Provokation, nicht Kritik»
Claudio Zanetti teilt gerne aus: Journalisten nennt er schon mal «Idioten» und links sind für ihn sowieso die meisten, besonders jene beim «zwangsgebührenfinanzierten Staatsradio». Eigentlich wäre er selber gerne Journalist geworden. Doch daraus wurde nichts. Dafür schiesst der SVP-Politiker jetzt umso schärfer gegen missliebige Medienschaffende. Was Zanetti als Medienkritik versteht, empfinden die Angegriffenen als reine Provokation.
Claudio Zanetti ist Jurist, Zürcher SVP-Kantonsrat, aktiver Twitterer und Blogger. Aber eigentlich wäre er lieber Journalist geworden: «Schon in der Maturazeitung habe ich als Traumberuf ‚Journalist‘ angegeben. Doch es hat nicht sollen sein.» So versucht Zanetti neben seinem politischen Amt eben auf eigene Kosten journalistisch tätig zu sein. Er betreibt die Plattform politik.ch, ein «Nachrichtenportal», auf dem man «keinen journalistischen Mainstream, sondern pointierte, direkte und unabhängige» Beiträge finden soll, wie es in einem Werbevideo heisst. Den Vorwurf, dass er als Politiker doch per Definition nicht unabhängig sei, weist er zurück: «Ich vertrete zwar eine subjektive Meinung. Das heisst aber nicht, dass ich nicht unabhängig bin.» Lukrativ sei das Portal allerdings nicht, dafür fehlten die nötigen Sponsoren und Werbepartner. Zanettis Politsendung CC-Talk, die er produzierte und auch gleich mitmoderierte, lief zwei Jahre lang auf Star-TV. Mittlerweile wurde sie abgesetzt – ebenfalls aus Geldmangel.
Damit endet die journalistische Erfahrung in Zanettis Lebenslauf. Deshalb war die Überraschung gross, als im April 2012 bekannt wurde, dass Zanetti neuer Bundeshauschef der Basler Zeitung werden soll. Davor sollte er in die USA reisen und über den Wahlkampf berichten. Doch daraus wurde nichts. Nachdem in der Redaktion Kritik am Personalentscheid von Chefredaktor Markus Somm laut wurde, verzichtete Zanetti auf den Posten. Er selbst schweigt sich über die genauen Gründe bis heute aus. «Das spielt jetzt keine Rolle mehr», sagt er auf Anfrage.
Und so bleibt Zanetti stattdessen dabei, die Medien zu kritisieren. Besonders auf Twitter verbringt der Politiker viel Zeit damit – um die 50 Tweets schreibt er täglich. «Viele Medien reden von Qualitätsjournalismus, werden aber diesen Ansprüchen sowohl intellektuell als auch handwerklich nicht gerecht», beklagt er. Die meisten Journalisten seien zu denkfaul und würden nicht genug kritische Fragen stellen.
Am 17. Oktober twittert Zanetti zum Beispiel: «Was ist das für ein Journalist, der den Interviewpartner Fragen stellen lässt, ohne Antworten zu liefern?» Im betreffenden Interview mit Wirtschaftsprofessor Marius Brülhart geht es um neue Gewinnsteuersätze der Kantone. Brülhart wirft unter anderem die Frage nach deren Berechnung auf. Thomas Ley, Autor des Artikels, kann Zanettis Kritik im konkreten Fall nicht nachvollziehen: «Vielleicht sollte Herr Zanetti das Interview genauer lesen. Die Frage stellt Brülhart den Kantonen, eben genau, weil es darauf noch keine Antwort gibt.»
Neben dem «Tages-Anzeiger» ist vor allem das gebührenfinanzierte Schweizer Radio und Fernsehen ein Dorn in Zanettis Auge: «Unsere Staatsmedien sind doch ein Witz! Sie werden ihrem Auftrag nicht gerecht – sie hinterfragen die Entscheide des Bundesrats nicht, sondern lassen sich mit Trivialitäten abspeisen.» Ausserdem ist Zanetti überzeugt davon, dass die Medienbranche zu 90% aus «Linken» besteht, welche vorwiegend gegen die SVP schreiben und politische Agitation betreiben.
Soviel zum Inhalt der Kritik. Über diesen gehen die Meinungen zwar auseinander – hitzige Twitter-Wortgefechte sind keine Seltenheit – doch es ist grundsätzlich zu begrüssen, dass sich Politiker mit der Qualität von Journalismus auseinandersetzen. Die Art und Weise, wie Zanetti Journalisten kritisiert, ist aber oft unprofessionell. Er lässt sich schon mal zu persönlichen Beleidigungen hinreissen. So schreibt er zum Beispiel am 24. Oktober auf Twitter: «Die zweitdümmste Journalistin hätte gemerkt, dass es nicht ums Klima, sondern um eine getarnte Preiserhöhung geht.», und bezieht sich damit auf die Autorin des Artikels, Helene Arnet. Das Beispiel ist exemplarisch für viele Fälle, in denen er nicht nur einen Artikel kritisiert, sondern pauschal die Kompetenz der Autoren anzweifelt.
Das stört auch «Tages-Anzeiger»-Journalistin Michèle Binswanger. Sie ist ein beliebtes Ziel von Zanettis Tweets, sobald es ums Thema Frauen geht. «Zanetti versucht mit falschen Unterstellungen seine Gegner zu provozieren. Meist geht es nicht um die Sache, sondern sofort gegen eine Person», sagt Binswanger. «Deshalb würde ich das, was Zanetti auf Twitter betreibt, nicht als Medienkritik bezeichnen, da Kritik eine gewisse Tiefe verlangt. Ich sehe es eher als einen Versuch, sich zu profilieren.»
Zanettis Aussagen sind radikal, schwarz oder weiss. Der Nachteil daran ist, dass sie oft jegliche Objektivität vermissen lassen und wenig differenziert sind. Aber das ist vielleicht auch nicht der Anspruch – schliesslich handelt es sich hier um einen von seinen Ansichten überzeugten Politiker. Wer Claudio Zanetti auf Twitter folgt, muss sich also auf wahre Fluten von Meldungen, SVP-Parolen und zugesppitzte Aussagen gefasst machen. Doch dazwischen findet sich tatsächlich der eine oder andere kritische Tweet über die Schweizer Medienlandschaft, der zum Nachdenken anregt.
Der Autor hat diesen Text im Rahmen seiner Journalismus-Ausbildung am Institut für Angewandte Medienwissenschaft IAM, Winterthur verfasst. Er wurde ursprünglich auf «Medienkritik Schweiz» veröffentlicht.
Moritz 22. November 2012, 14:27
Was arbeitet Herr Zanetti heute eigentlich? Bei Twitter ist er ja quasi Tag und Nacht am Beleidigen!
Klaus Jarchow 23. November 2012, 19:14
Bester Herr Buchmann, wenn jemand vor allem mit der Mistforke schreibt, muss man nicht relativierend notieren, dass er alle Jubeljahre auch mal etwas Feinsinniges formuliert, jedenfalls dafür, dass er mit einer solchen Forke statt mit dem Intellekt operiert. Das Prinzip „Für jeden etwas“ macht den Journalismus nämlich nicht objektiv, es klingt eher nach einer karrieristischen Hintertür für den Verfasser, der ja nicht weiß, wohin es ihn nach seiner Ausbildung verschlägt. Und wenn jemand nur schwarz oder weiß kennt, dann wäre er doch geradezu das Gegenteil eines guten Politikers, weil die Realität nun mal nicht schwarz und weiß ist.
Samuel Buchmann 24. November 2012, 13:12
Spannend, was für tiefgründige Absichten Sie in einen Abschnitt reininterpretieren können. Ich kann Ihre Kritik zwar nachvollziehen, muss aber widersprechen: Ohne eine solche Differenzierung und Relativierung verkommen Artikel genau zu dem, was Sie anprangern – sie stellen eine Welt in Schwarz und Weiss dar, obwohl die Realität meist aus Graustufen besteht. Das hat mit Hintertüren (wohin denn bitte?) herzlich wenig zu tun, sondern schlicht und einfach mit Fairness.
Klaus Jarchow 25. November 2012, 23:14
Sie sind, scheint’s, auch auf die Mär vom ‚objektiven Qualitätsjournalismus‘ und auf das schafsfromme Geträller Ihrer Publizistik-Professoren hereingefallen. Das was Sie vertreten, ist ein publizistisches Unding, ein Allen-wohl-und-niemand-wehe, das faktisch doch nur dazu dienen soll, gewisse Gruppen ‚hors de critique‘ zu stellen. So etwas aber mögen die Leute – begreiflicherweise – gar nicht mehr lesen, jedenfalls dann, wenn’s anderswo auch etwas Gepfefferteres gibt.
Heine, Börne, Kerr, Harden, Tucholsky, Polgar, Joseph Roth … alle Großen jedenfalls schrieben immer ’schwarz auf weiß‘. Vielleicht aber wollen Sie ja gar nicht groß werden …
Samuel Buchmann 26. November 2012, 11:30
«Das Publikum will es so» taugt nicht als alleiniges Qualitätskriterium eines journalistischen Texts. «Das Publikum» liest auch den Artikel über die neuste Brustvergrösserung von Lindsay Lohan – das macht die Geschichte weder besser noch relevanter. Medien, die nur noch «Gepfeffertes» schreiben, um sich an hohen Leserzahlen ergötzen, nennen sich «Bild» – diese Art von Journalismus überlasse ich tatsächlich lieber anderen. Den Anspruch der «Objektivität» habe ich übrigens nie gestellt, auch wenn Sie es mir gerne unterstellen möchten.
Und sparen Sie sich doch die persönlichen Provokationen, selbst wenn sie in Fom von literarischen Ergüssen daherkommen. Bleiben wir lieber bei der Sache.
Alexander Müller 01. Januar 2013, 15:23
Lieber Samuel Buchmann, ist das die Art und Weise wie ihr Journalisten mit Kritik umgeht? Den Kritiker an den Pranger stellen?
Dass die Schweizer Medienlandschaft von Linken dominiert wird, ist ein offenes Geheimnis. Insofern hat Zanetti mit seiner Medienkritik vollkommen recht. Euch Journalisten fehlt es an der nötigen Neutralität und Unvoreingenommenheit in der Berichterstattung. Im vergangenen Jahr habt ihr zahlreiche SVP-Politiker wegen Tweets oder Facebook-Kommentaren in die Pfanne gehauen. Bei linken Politikern seid ihr hingegen sehr zurückhaltend was Tweets und Facebook-Kommentare angeht.
Wenn dann doch einmal ein Fall auf der linken Seite publik wird, dann wird sehr wohlwollend berichtet. Beispielsweise der Fall von SP-Grossrätin Sarah Wyss. Darüber wurde kaum berichtet. 20min berichtete sehr wohlwollend und bezeichnete die Aussage von Wyss im Lead von sich aus als „unglückliche Aussage“. Zudem Wyss wurde von Anfang an das Recht eingeräumt im Artikel ihre Version kundzutun, was dann überhaupt nicht kritisch hinterfragt wurde. Des weiteren wurde die Kommentarfunktion geschlossen um Wyss vor weiteren negativen Kommentaren zu schützen. Obwohl die Ausreden von Wyss offensichtlich sind, gehen die Journalisten nicht mehr weiter darauf ein. Schon sehr interessant dies zu beobachten.
Anderes Vorgehen bei mir. Über mich wurde berichtet ohne mir eine faire Chance zu geben meine Version im 1. Artikel über mich kundzutun. Nochmals um was es ging: Mir wurde ein Satz, der mit „vielleicht“ beginnt vorgeworfen. Daraus wurde im Titel von Michèle Binswanger eine Forderung gemacht. Das wurde im Lead des Artikels wiederum mit haarsträubenden Vorwürfen untermauert usw. usf. Wo war da die nötige Fairness? Die Kommentarfunktionen wurden natürlich nicht ausgeschaltet.
Ein solches Vorgehen kann man in der einseitigen Berichterstattung in der Schweizer Medienlandschaft immer wieder erkennen.
Ich reagiere darauf indem ich keine Zeitungen mehr abonniere und Aussagen in den Medien mit kritischem Augenmass betrachte. Euer Journalismus ist für mich keinen Rappen mehr wert.
Gast 08. Februar 2013, 11:29
@Alexander Müller
Ihr Absatz ist der einzig lesenswerte auf dieser Seite.
Danke vielmals.