von Nick Lüthi

Excel ohne Wert

Ein Teil der schweizerischen TV-Branche will nicht, dass die aktuellen Zuschauerzahlen veröffentlicht werden. Grund sind die unerklärlichen und teils enormen Verschlechterungen der neuen Zahlen gegenüber der bisherigen Quote. Nur: Ein solcher Vergleich ist sinnlos und nicht statthaft. Trotzdem wird munter weiterverglichen.

Wer die Excel-Tabelle auch nur oberflächlich anschaut, sieht schnell, was es geschlagen hat: Nichts ist mehr, wie es einmal war, die Schweizer TV-Welt steht Kopf. Im Januar verlieren zahlreiche Sender gegenüber den Vergleichsmonaten der letzten Jahre dramatisch an Marktanteilen. Je nach Sender und Zielgruppe betragen die Verluste bis zu 70 Prozent. Zu den grossen Verlierern gehören nach dieser Rechnung die deutschen Privatsender, der Schweizer Sender 3+ und die einheimischen regionalen Stationen. Kein Wunder stellt die Branche die schlechten Zahlen und ihre Erhebungsmethode infrage und hat deshalb verhindert, dass diese veröffentlicht werden. Genährt werden die Zweifel von einem Aussetzer Anfang Jahr, als es die Firma Mediapulse nicht geschafft hat, das neue Messsystem termingerecht in Betrieb zu nehmen. Seither gehen die Wogen hoch.

Die Empörung ob der schlechten Zahlen ist zuerst einmal nachvollziehbar. Schliesslich geht es um Werbemillionen. Die einfache Rechnung: Weniger Zuschauer heisst weniger Geld. Nur: Diesen Zuschauerrückgang, den der Vergleich suggeriert, gibt es so gar nicht. Ein Vergleich zwischen der alten und der neuen Messmethode sei «nicht statthaft», teilt Caroline Kellerhals mit. Sie ist bei der Firma Medienpulse als Leiterin Forschung mit den beiden Methoden bestens vertraut. Weiter schreibt sie auf Anfrage: «Direkte Vergleiche zwischen den beiden Panels sind zu vermeiden und seit Monaten weisen wir die Kunden darauf hin.» Mediapulse werde seine Kunden deshalb bei solchen Auswertungsversuchen nicht unterstützen.

Die Branche weiss das. Im Prinzip. «Aus theoretischer Sicht stimmt es natürlich, dass sich alte und neue Zahlen nicht vergleichen lassen. Dennoch kann man kaum vermeiden, dass derzeit solche Vergleiche angestellt werden», sagt Philip Hofmann, als Geschäftsleiter Tele Regio Combi verantwortlich für die nationale Vermarktung von sechs Deutschschweizer Privatsendern. Ob man das andernorts auch so sieht, ist nicht bekannt. Mehrere Anfragen der MEDIENWOCHE blieben bisher unbeantwortet.

Das macht die Situation natürlich nicht besser. Sondern nur noch verworrener. Denn der Vergleich der Zuschauerzahlen auf der Zeitachse gehört zu den zentralen Instrumenten bei der Mediaplanung. Eine «Stunde null» gab es bisher nur einmal, 1985 bei der Umstellung von der Telefonbefragung zur Quotenerhebung auf das automatisierte Telecontrol-System. Wie damals lassen sich auch heute die neue und alte Messmethode nicht miteinander vergleichen. Zu gross sind die Unterschiede zwischen den beiden Systemen.

Deshalb müssen die neuen Zahlen aus sich heraus für plausibel erklärt werden, damit sie die Branche möglichst bald für vertrauenswürdig hält. Mit dieser Aufgabe hat Mediapulse externe Experten betraut. Für TV-Vermarkter Hofmann ist das der richtige Weg: «Wir sagen nicht, dass die Zahlen aus dem neuen Panel nicht stimmen. Wenn unsere Fragen vollständig und plausibel beantwortet werden, dann müssen wir uns mit den neuen Zahlen abfinden.» Wobei Hofmann vor allem eine Erklärung für die «offensichtlichen Abweichungen» erwartet und damit wieder den unzulässigen Vergleich bemüht. Mediapulse steht vor einer schier unlösbaren Aufgabe.

Leserbeiträge

Klaus Jarchow 01. März 2013, 08:46

Wenn die Zuschauerzahlen so stark voneinander abweichen, es aber bis auf weiteres keine zwei Wahrheiten geben kann, welches Panel liegt (oder lag) denn dann ‚daneben‘? Das alte der TV-Wirtschaft oder das neue der Werbewirtschaft?

Nick Lüthi 01. März 2013, 08:58

Das ist die Preisfrage, die nun Mediapulse und die externen Experten beantworten müssen; wobei das «voneinander Abweichen» eben kein Referenzpunkt sein kann, da sich die beiden Methoden nicht miteinender vergleichen lassen.

Philippe Forster 01. März 2013, 15:00

Vergleich hin oder her, eigentlich müssten die Zahlen höher sein als vor Umstellung der Messmethode, weil neu z.B. auch die Onlinenutzung berücksichtigt wird. Ebenfalls höchst seltsam ist, dass die Unterschiede – egal ob positiv oder negativ – nicht bei allen Sendern in etwa gleich sind.

Leo Nauber 01. März 2013, 13:46

Ich staune, dass es überhaupt noch jemanden gibt, der die Werbesender mit manchmal etwas Film dazwischen oder aber einen Beitrag unterster Schublade zeigt, der nun sogar für den dümmsten merkbar nur noch Volk verdummend daherkommt.
Nein, da wundert es mich nicht, dass die Zuschauenden weggezappt haben.
Gott sei Dank ist es so.

Patrik Tschudin 01. März 2013, 14:41

Eigentlich höchst verwunderlich, dass die durchgängige Vergleichbarkeit der Zahlen, dies- und jenseits des Systemwechsels, offenbar nicht als Vorbedingung festgeschrieben wurde z.B. in der Ausschreibung, in der Mediapulse einen neuen Lieferanten für das Messsystem suchte… Wenn die alte Messmethode technisch und statistisch solide war, dann sollte doch die neue, wenn sie ebenfalls technisch und statistisch solide ist, vergleichbare Zahlen liefern auf die herzlich banale Frage: Welche Leute schauen wann was über welchen „Vektor“? Oder hab ich etwas Zentrales verpasst?

Vladimir Sibirien 02. März 2013, 08:11

Die Diskussion erinnert mich stark an jene aus den frühen 2000ern bzgl. Webstatistik. Ob Hits, Page Views, Unique Visitors – die Marketingabteilungen scherten sich einen Dreck um die Zuverlässigkeit. Die Frage war nur: Welcher Indikator lieferte die höchste Zahl? Und sind die Suchmaschinen nicht auch irgendwie Besucher? Wahrscheinlich ist auch hier jetzt ein Lügengebäude zusammengebrochen.

Mark 04. März 2013, 09:53

Wenn die Zahlen nicht vergleichbar sind, dann muss eine Messmethode eigentlich komplett falsch sein. Denn wenn beide korrekt wären, müssten die Zahlen völlig vergleichbar sein. Es zeigt sich einmal mehr, dass die Einschaltquoten wohl nicht viel mehr als eine Lotterie sind.