Noch «viele Zufälligkeiten» im Newsroom
Vor drei Jahren hat die «Blick»-Gruppe ihre Redaktionen in einem Newsroom neu aufgestellt. Wo die Grenzen der kanalübergreifenden Zusammenarbeit liegen, zeigt eine aktuelle Untersuchung am Beispiel des «Blick»-Politikressorts.
Den einen gilt er als Zukunftsmodell redaktioneller Organisation. Andere sehen im Newsroom das Schreckbild industrieller Nachrichtenproduktion. Hierzulande befeuerte Ringier die Debatte mit dem Entscheid, die Redaktionen der «Blick»-Gruppe räumlich und organisatorisch zusammenzuführen. Das Branchenblatt «Schweizer Journalist» nannte damals den «Blick»-Newsroom das «wichtigste Projekt» im Schweizer Journalismus. Drei Jahre nach dem Start ist es ruhig geworden um den Newsroom, mit dem die Trennwände zwischen «Blick», «Blick am Abend», «Sonntagsblick» und blick.ch eingerissen wurden.
Doch wie bewährt sich die neue Struktur im Alltag? Wie konvergent arbeiten «Blick»-Journalisten heute? Eine unabhängige Studie liefert erstmals Antworten auf diese Fragen. Reto Gysi von Wartburg, Redaktor bei der «Finanz und Wirtschaft», hat im Rahmen seines Studiums «New Media Journalism» an MAZ und Leipzig School of Media das Politikressort der «Blick»-Gruppe näher angeschaut. Dazu absolvierte er während der Frühjahrssession der eidgenössischen Räte ein Praktikum in der «Blick»-Bundeshausredaktion, die seit einem Jahr ebenfalls als Newsroom organisiert ist. Insgesamt neun Leute arbeiten für «Blick» in Bern.
Die wohl wichtigste Voraussetzung für konvergentes Arbeit sei erfüllt, stellt Gysi von Wartburg in seiner Studie fest. «Eine eigentliche Verweigerungshaltung, für einen anderen Kanal als das eigene Stammmedium zu schreiben, ist nicht feststellbar.» Das sind mehr als nur hehre Absichtsbekundungen. Eine Auszählung sämtlicher Artikel aus dem Politikressort während dreier Wochen im März zeigt, dass Beiträge von allen neun Mitarbeitern in mindestens zwei der vier Kanäle veröffentlicht wurden. Insofern sei das Ziel erreicht, «dass alle für mehrere Kanäle schreiben.»
Dieser Befund sagt aber noch nichts über den tatsächlichen Grad der multimedialen Integration aus. Regelmässig bi-medial arbeiten im «Blick»-Politikressort nämlich nur die drei Mitarbeitenden, die primär für blick.ch zuständig sind. Sie schreiben auch regelmässig für den «Blick am Abend» und gelegentlich für den «Blick». Die Mitarbeiter mit gedruckten Stammmedien dagegen sind vorerst Printjournalisten geblieben. Ihre Artikel werden zwar auch online veröffentlicht, aber ohne ihr eigenes Zutun. Aus einem einfachen Grund: Längst nicht alle «Blick»-Journalistinnen und -Journalisten beherrschen das Online-Redaktionssystem.
Anspruch und Wirklichkeit klaffen auch anderswo im Newsroom noch auseinander. Die kanalübergreifenden Karrieren einzelner Themen kommen praktisch kaum vor, obwohl das ein deklariertes Ziel der Redaktion wäre. «Dass ein vom ‚Blick am Abend‘ aufgegriffenes Thema vom Politikressort im ‚Blick‘ weitergezogen wird, liess sich im Untersuchungszeitraum empirisch nicht feststellen», hält Reto Gysi von Wartburg in seiner Untersuchung fest.
Vom Ziel eines integrierten Newsrooms befindet sich das Politikressort vom «Blick» ein Jahr nach seiner Neustrukturierung noch weit entfernt. In den Abläufen steckt noch viel altes Denken drin. So steht die Tageszeitung innerhalb des Ressorts immer noch zuoberst in der Prestige-Hierarchie: «Hat jemand eine wirklich gute Geschichte, will er oder sie damit lieber in den ‚Blick‘, als sie zuerst über blick.ch zu verbreiten», schreibt Gysi von Wartburg in seiner Studie. Vieles geschieht auch unbewusst. «Man entscheidet viel und schnell», sagt «Blick»-Politikchef Jürg Auf der Maur. «Und es hat, wie auf jeder Zeitungsredaktion, viel Zufälligkeiten drin.» Erschwerend für die Kommunikation kommt dazu, dass Ressortleiter Auf der Maur hauptsächlich in Zürich arbeitet und sein Team in Bern.
Zumindest punktuell hat der Newsroom die Arbeit des Politikressorts in die angestrebte multimediale und konvergente Richtung verändert. Da die Journalistinnen und Journalisten nicht mehr nach Kanälen getrennt arbeiten, wird mehr untereinander diskutiert. Ausserdem würden die unterschiedlichen Gestaltungsmöglichkeiten in den vier Kanälen ausgenutzt und Geschichten bewusster platziert. Dass man erst am Anfang eines langen Prozesses steht, ist sich Ressortleiter Jürg Auf der Maur bewusst. Man müsse die Newsroom-Idee noch stärker implementieren, schreibt er in seiner Beurteilung der Studienarbeit. Dabei setzt man vor allem auf den Faktor Zeit. Durchaus ein mögliches Erfolgsrezept, da nachrückende jüngere Kollegen mit konvergenter Arbeit aus Ausbildung und Praktika besser vertraut sind, als altgediente Redaktoren, die nur schon Mühe haben ein CMS zu bedienen.