von Ronnie Grob

Im Sekundenstundenschlaf

Bei der Tageswoche findet die Revolution bisher vor allem in den Konzepten statt. Nun soll mit dem neuen Chefredaktor Dani Winter ein Onliner neuen Schwung bringen. Doch das interne Sesselrücken liefert kaum Anzeichen auf weniger Halbherzigkeit.

Die Pressemitteilung über die Personalrochade bei der Tageswoche wurde am späten Freitagabend vor dem langen Pfingstwochenende publik. Wer um diese Zeit eine Meldung rausschickt, wünscht sich meistens, sie möge ungelesen in den Papierkorb wandern.

Allerdings ist der Wechsel einigermassen brisant: Die bisherige Doppel-Chefredaktion, im Amt seit dem Start des Mediums im Oktober 2011, wurde aufgelöst. Neu verantwortlich ist mit Dani Winter ein echter Onliner, der mit dem Blog «infamy» ausreichend Erfahrungen im Netz sammeln konnte. Urs Buess wurde in einen neu gegründeten Verlegerausschuss wegbefördert, wo er zusammen mit den Delegierten des Stiftungsrats (Nicolas Ryhiner) und des Verwaltungsrats (Michael Theurillat) grundsätzliche Gedanken wälzen wird. Remo Leupin erhält mit «Leiter Print» einen neuen Titel, bleibt gemäss Impressum in der Chefredaktion. Tatsächlich sind nun beide Winter unterstellt, was in der sehr flachen Organisation keine allzu grosse Rolle zu spielen scheint.

Die Tageswoche war bisher für viele eine Enttäuschung. Weder liefert sie unverzichtbaren Lokaljournalismus, noch glaubt man etwas zu verpassen, wenn man sie mal einen Monat komplett vergisst. Bahnbrechende Recherchen oder Gedankenanstösse, die nationale Aufmerksamkeit erzeugen? Bislang mehrheitlich Fehlanzeige. Gemessen am Budget müsste sie Grossbetriebe wie die Basler Zeitung herausfordern, Kleinbetriebe wie die Onlinereports von Peter Knechtli dagegen publizistisch weit überragen.

Auch die anfängliche Begeisterung über die Möglichkeiten der Community ist dem Alltagstrott gewichen. Nach wie vor möchte man die Themenplaung der Redaktion ihr gegenüber öffnen. «Unsere ersten Schritte in diesem Bereich haben nicht funktioniert. Jetzt wollen wir das neu versuchen», sagt Dani Winter. «Wir träumen von Townhall-Meetings. Wir haben Grosses vor im Bereich Community.» Weiterhin also.

Viele Mitarbeiter scheinen die Tageswoche vor allem als Brötchengeber wahrzunehmen. Man gibt sich Mühe, die Sache recht zu machen, doch Enthusiasmus und Emotionen sind nur selten zu spüren. Das auf Jahre hinweg gesicherte Geld hat eine Arbeitshaltung ausgelöst, wie sie auch bei öffentlich-rechtlichen Medien oder in Stiftungen zu beobachten ist. Die Website ist zwar dicht bestückt, aber ein guter Teil der Meldungen kommt direkt von Agenturen wie SDA oder SI. Titelgeschichten sind mal überholt, mal hat man sie woanders schon besser gelesen.

Wäre die Schweizer Medienlandschaft eine Fussballliga, dann verhält sich die Tageswoche wie ein Abstiegskandidat. Der bisherige Nachwuchstrainer ist nun der neue Chef, das bisherige Trainerteam bekleidet neu geschaffene Posten. Ob man so neues Leben in das Team bringt und den Abstieg verhindert? Einer der bekannteren Spieler, Peter Sennhauser, zuvor sehr aktiv beim Startup Blogwerk, hat den Verein bereits verlassen und ist nun vorerst frei tätig. Auf Anfrage schreibt er: «Ich habe im Dezember gekündigt, weil ich der Meinung war, dass das ursprüngliche Konzept nicht umgesetzt wurde. Vergleicht man die ursprünglichen Pressemitteilungen und die Aussagen der Co-Chefredaktoren am Anfang mit der jetzigen Pressemitteilung, dann wird das klar.» Klar wird, dass sich die Ansprüche und Ideen nicht verändert haben. Nur die aufsehenerregende Umsetzung lässt auf sich warten. Das will Winter nun angehen, er spricht von einer «Rückbesinnung auf das Konzept»: «Die Priorisierung wurde bisher auf den Print gelegt. Wir wollen vollständiger werden online, die Tageswoche soll in unserem Einzugsbereich Erstmedium werden.» Ausserdem räumt er auf mit einem bösen Vorurteil: «Wir werden wahrgenommen als das Hobby von Beatrice Oeri, aber dem ist nicht so.» Der Verlegerausschuss will sich nun dieser Frage annehmen.

David Bauer, «Onlinestratege» des Teams, freut sich auf den neuen Chef und hält ihn für den richtigen Mann. Dieser Meinung ist sogar die Konkurrenz. Matthias Zehnder, Chefredaktor von «bz Basel», schreibt auf Anfrage: «Die Tageswoche ist als Onlineprojekt mit Printverlängerung an den Start gegangen. Herausgekommen ist bis jetzt das Umgekehrte. Wenn jemand das drehen kann, dann Dani Winter. Er ist nicht nur ein profilierter Journalist, sondern hat mit seiner Infamy-Blog-Vergangenheit auch schon früh Online-Journalismus-Erfahrung gesammelt. Allerdings muss er sich durchsetzen. Die Tageswoche ist kooperativ und partizipativ geführt und aufgestellt. In einem solchen Umfeld einen Turnaround durchzuziehen, ist nicht ganz einfach.» Besonderen Druck von der Gerbergasse scheint Zehnder aber keinen zu verspüren, das Konkurrenzprodukt gelte in Basel als «sympathisch, aber nice to have».

Die Tageswoche hat einen verunglückten Namen (wird gerne auch mal «Sekundenstunde» genannt), ein verunglücktes Logo (Grün im Dreieck) und eine Printausgabe, die zufällig wirkt und oft so langweilig und linkskonservativ daherkommt wie die kürzlich insolvent gewordene Frankfurter Rundschau. Es ist aber nicht alles schlecht: Mit der Website ist man der Konkurrenz in vielen Belangen voraus, mitunter produziert man preiswürdigen Lokaljournalismus. Finanziell hat man noch eine Weile lang ein schönes Polster. Und die Tageswoche verfügt über einige Mitarbeiter mit grossem Potential. Doch wird es einem Internen wie Dani Winter gelingen, diesem zur Geburt zu verhelfen? Man darf gespannt sein, ob und wenn ja, wie er sein Team umbauen wird. Wenn Winter nichts unternimmt, so besteht die Gefahr, dass die bahnbrechenden Online-Ideen noch einen Winter überwintern. Findet er keine Unterstützung in der bisher printlastigen Redaktion, könnte es an der Spitze einsam werden. Frische Kräfte, die das Internet nicht als notwendiges Übel betrachten, wie das leider in so vielen Zeitungsredaktionen der Fall ist, dürften dagegen zur Umsetzung beitragen.

Noch im Mai wird ein Newsdesk eingerichtet und dafür 1 Multimedia-Entwickler, 1 Software-Entwickler und 1 Community-Manager eingestellt. Das wird die Website mutmasslich besser machen, aber publizistisch keinen Schwung bringen. Die Redaktion hat das Problem vieler Schweizer Redaktionen: Sie neigt zu Routine und Harmonie, kann darum kaum überraschen oder polarisieren. Wenn nicht publizistisch mehr Drive in den Laden kommt, werden die Leser auf lange Frist fern bleiben – nur aus Solidarität liest niemand.

Ein Fazit lässt sich jetzt schon ziehen: Wer ein Projekt plant, das im Netz durchstarten soll, sollte damit keine Printleute beauftragen. Denn die machen im Zweifelsfall, was sie schon immer gemacht haben: Eine Zeitung. Das Internet ist viel mehr als eine Zeitung.

Bisher erschienen zur Tageswoche:
«Wir müssen auf dem Markt bestehen» (Nick Lüthi, 31. August 2011)
Ein Hybrid auf Identitätssuche (Nick Lüthi, 31. Oktober 2011)
Noch etwas brav, aber entwicklungsfähig (Fabian Baumann, 30. Oktober 2012)

Offenlegung: Ronnie Grob und Peter Sennhauser haben von 2006 bis 2009 zusammen bei Blogwerk gearbeitet. Für diesen Artikel haben sie aber nicht mehr als zwei kurze E-Mails gewechselt.

Leserbeiträge

Peter Sennhauser 27. Mai 2013, 12:09

Naja Ronnie, der Redaktion tust Du hier ziemlich unrecht. Die hat sich gegenüber Online von Anfang an aufgeschlossen, experimentierfreudig und engagiert gezeigt. Aber mit dem Produktionsdruck einer wöchentlichen eigenständigen Zeitung im Nacken reicht das bei einem Team von weniger als 20 Leuten nicht aus. Zur Vision gehören Prozesse, und zu den Prozessen Strategien. Dani Winter darf man zutrauen, seine Vision in Prozesse und Strategien einfliessen zu lassen.

Benni Bebbi 28. Mai 2013, 10:24

Der Text trifft ins Schwarze. Die Tageswoche kommt über Schülerzeitungsniveau selten hinaus. Eine herbe Enttäuschung. Aber für einen Turnaround müsste man schon mehr Leute als nur den Chefredaktor austauschen. „Experimentierfreudig und engagiert“, „Prozesse und Strategien“? Natürlich. Aber mir würden fürs erste ein paar gute journalistische Texte vollkommen reichen. Und die sind Mangelware.

Ueli Custer 31. Mai 2013, 17:01

Auch ich finde, dass der Beitrag den Nagel ziemlich auf den Kopf trifft. Obwohl ich die gedruckte Ausgabe von Anfang an jede Woche (selektiv) lese, ist mir noch nicht klar geworden, wofür dieses Blatt eigentlich steht. Ist es ein nationales oder ein regionales Blatt? Jacques Pilet, Gründer von Le Nouveau Quotidien (heute Le Temps) sagte einmal: Wenn man das Konzept eines Mediums nicht in einem einzigen Satz klar umschreiben kann, taugt das Medium nichts. Ich wäre gespannt auf diesen Satz, der die Tageswoche umschreibt.

Anton 02. Juni 2013, 08:47

Na Ja: Sooo un-engagiert habe ich (zumindest einen) Mitarbeiter der Tageswoche nicht erlebt, im Gegenteil: Echtes Interesse an einem Thema und den Willen, einem Thema mit viel persönlichen und zeitlichen Engagement nachzugehen. Allerdings: Der Redaktionsleitung war die Reportage mit der unverblümten Sprache dann offensichtlich dann doch zu heiss. So erschien er halt „nur“ online, nicht in der Printausgabe.