Rebell, Reporter, Radikaler
Robert Ménard, Gründer und langjähriger Generalsekretär der Organisation «Reporter Sans Frontières» (RSF), sorgte mit seinen Äusserungen immer wieder für Provokationen. Nun tritt er bei den Kommunalwahlen 2014 für den Front National an.
Robert Ménard wirft seinen Hut in den Ring. Bei den Kommunalwahlen 2014 wird er im südfranzösischen Béziers (Hérault) für den Front National antreten. Überraschend kommt die Kandidatur nicht. Schon länger hegt der Journalist Sympathien für die rechtspopulistische Partei. 2008 sagte er, er würde auch auf der Strasse gehen, um die Presse des Front National zu verteidigen. 2011 verfasste er die politische Streitschrift «Vive Le Pen!». Und im vergangenen Jahr plädierte er auf seinem Blog für eine Einigung der Rechten. Der Front National, der 15 bis 20 Prozent der Wählerstimmen repräsentiere, könne nicht mehr ignoriert werden.
Ménards Kandidatur in Béziers ist eine Rückkehr zu den Wurzeln. «Ich habe dort meine Kindheit verbracht, ich besitze ein Haus, meine ganze Familie wohnt hier», sagte er 2012 in einem Gespräch mit der Tageszeitung Le Monde, wo er bereits seine politischen Ambitionen bekundete. Robert Ménard entstammt einer katholischen Pied-Noir-Familie aus Oran in Algerien. Der Vater, gelernter Drucker, stand der Untergrundbewegung OAS nahe. Einer seiner Onkel wanderte ins Gefängnis, weil er ein Putschistenflugzeug steuerte. Nach dem Algerienkrieg siedelte die Familie nach Brusque im Département Aveyron über. Der junge Ménard revoltierte gegen den gaullistischen Staat auf seine Weise.
Im Mai 1968 nahm er an den Studentenprotesten teil und veranlasste die Schliessung seines Collège. Er schloss sich der trotzkistischen Ligue communiste révolutionnaire (LCR) an und protestierte gegen die globale Weltwirtschaft. In dieser Zeit, sagte er später einmal, habe er beschlossen, «ein professioneller Revolutionär» zu werden. 1975 gründete er mit ein paar Genossen einen Piratensender in der Region von Montpellier, was ihm 73 Anklagen wegen Verletzung des Staatsmonopols eintrug. Die Mitgliedschaft im Parti Socialiste (PS) war nur ein kurzes Intermezzo. 1983 heuerte er bei Radio France Hérault an. Fortan war der Journalismus sein Metier.
1985 gründete er die Nichtregierungsorganisation «Reporter sans frontières» (RSF), deren Generalsekretär er bis 2008 bleiben sollte. 2005 erhielt die Organisation den renommierten Sacharow-Preis des Europäischen Parlaments. Ménard stand auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Der Aktivist war omnipräsent. Er reiste durch Darfur, nach Palästina, in den Irak. Wo immer ein Journalist in Gefahr war – Ménard stieg ins Flugzeug. «Er hat immer einen ideologischen Fundamentalismus eingefordert», erzählt Ben Ami Fihmann, ein alter Vertrauter. «Sein Koran, das ist die Pressefreiheit.» Ménard ist ein unermüdlicher und unerbittlicher Arbeiter. Die Journalistin Florence Aubenas, die 2005 von irakischen Rebellen entführt wurde und heute beim Nouvel Observateur arbeitet, erinnert sich an seine Hartnäckigkeit: «Das Telefon läutete, Ménard war dran. Fünf Minuten später, der nächste Anruf – wieder Ménard. Und 10 Minuten danach, noch mal Ménard. Als ich in meiner Zelle sass, stellte ich mir vor, er würde das Gleiche für mich tun.»
Wenn es um eine gerechte Sache, lässt Ménard nicht locker. Das Wochenmagazin «L’Express» bezeichnete ihn als «Nervensäge ohne Ende» («emmerdeurs sans frontières»). Doch so vehement er seinen Freiheitsanspruch durchsetzt, so autokratisch ist sein Führungsstil. Rony Brauman, Weggefährte und Gründungsmitglied des RSF, kritisierte, Ménards Verhalten sei das eines «kleinen Diktators, der keine Kritik verträgt.»
In Ménard – tiefe Augenhöhlen, harte Gesichtszüge – glimmt bisweilen der Furor eines Robespierre. Die Rage ist vielleicht auch biografisch begründet. Ménard hegt ein instinktives Misstrauen gegen die Mächtigen. Nach den Unruhen in Tibet im Vorfeld der Olympischen Spiele in Peking 2008 rief er die Staatschefs zum Boykott der Eröffnungszeremonie auf. Im März störte er die Entzündung der olympischen Flamme und hielt eine schwarze Flagge mit olympischen Ringen in Handschellenform in die Höhe.
Ménard gefällt sich in der Rolle des Bad Guy. «Ich bin eine Agentur mit schlechter Werbung», jubilierte er. Mit Marine Le Pen teilt er den anti-elitären Impetus. Er spricht von einer «politisch-medialen Klasse». Über Journalisten sagt er: «Das Problem mit dieser Kaste voller Dünkel ist, dass, wenn man nicht wie sie denkt, zwängläufig falsch denkt.» Die Gewerkschafter der AFP erklärten Ménard zur persona non grata.
Der Journalist sucht immer wieder die Provokation. Im Februar 2011 polterte er: «Ich habe keine Lust, dass es genauso viel Moscheen wie Kirchen in meinem Land gibt». Die «muslimische Immigration» müsse gestoppt werden. Marine Le Pen hätte es nicht besser formulieren können. Nach seiner Streitschrift «Vive Le Pen!» veröffentlichte er 2012 das Pamphlet «Vive l’Algérie française» – Revisionismus im Gewand der Meinungsfreiheit. Und ideologisches Futter für die Pieds-noirs, die mehrheitlich den Front National unterstützen. Das Kernproblem Ménards besteht darin, dass sein radikal-pluralistischer bzw. libertärer Ansatz auch extremistische Positionen einschliesst. Seine Äusserungen gehen weit über die populistische «Man-wird-ja-wohl-noch-sagen-dürfen»-Attitüde hinaus. Das Wochenmagazin L’Express attestierte ihm die «Rhetorik einer Bulldogge».
2012 lancierte Ménard die rechtslastige Informationsseite «Boulevard Voltaire». Zu den Autoren zählt u.a. Jean-Yves Le Gallou, ehemaliger Europaabgeordneter des Front National. Der Politiker führt den pseudowissenschaftlichen Think Tank «Polémia», der vor allem durch völkisch-rassistische Parolen von sich reden macht. Le Gallou schwadroniert von «einer Erde, einem Blut, einem Volk.» Ménard nahm im Oktober 2011 an der Podiumsdiskussion «4e journées de la réinformation» von Polémia teil.
Im Februar 2013 besuchte er die rechtsradikale Organisation «Bloc Identitaire» in Lyon. Der RSG-Gründer flirtet offen mit dem rechten Rand. Zwar distanzierte sich Ménard mehrmals öffentlich vom Front National und will auch jetzt seine Kandidatur bei der Kommunalwahl als «apolitisch» verstanden wissen. 2011 beteuerte er: «Ich werde nicht für den Front National stimmen. Die Meinungsfreiheit zu verteidigen, heisst nicht die extreme Rechte zu verteidigen.» Gleichwohl vertritt der Journalist evident reaktionäre Positionen. Er verteidigt die Todesstrafe, hält Folter «in bestimmten Fällen» für legitim und wünscht sich, dass seine Kinder nicht homosexuell werden. Ménard versteigt sich immer wieder zu kruden Thesen. Eine Kolumne des rechtskonservativen Portals «Nouvelles de France» – der Wikipedia-Eintrag der Seite wurde inzwischen gelöscht – war mit dem zynischen Titel «Nach der Homo-Ehe die Polygamie?» überschrieben.
Ménard, der janusköpfige Polemiker. Auf der einen Seite tritt er für Menschenrechte ein. Auf der anderen Seite zeigt er sich als intoleranter Eiferer. «Gibt es zwei Robert Ménard?», fragte das linksliberale Magazin «Les Inrockuptibles». Kollegen verfolgen die Entwicklung mit Kopfschütteln. «Quelle déchéance!», welch ein Verfall, schleuderte ihm Edwy Plenel, ehemaliger Chefredaktor von «Le Monde», 2011 in der Fernsehsendung «MotsCroisés» entgegen. «Der Gründer von Reporter ohne Grenzen, der eine Eloge auf die Todesstrafe macht?», fragte Plenel entgeistert.
Fest steht: Mit der Kandidatur für den Front National ist Ménard kein Herold der Meinungsfreiheit mehr, sondern das Aushängeschild einer rechtsextremen Partei, die gegen Ausländer und Minderheiten hetzt.