von Ronnie Grob

Buzz auf Schloss Elektronia

Die Ankündigung von Ringier, Buzzfeed kopieren zu wollen, passt zum Wandel des Verlags zum Unterhaltungskonzern. Doch hinter der Verlautbarung verstecken sich Ideenlosigkeit und Leere – die man mit dem Einsatz von Geld kompensieren will. So versuchte man vergeblich, Hansi Voigt mit einem Jahreslohn von 500’000 Franken von seinem Projekt Watson abzuwerben.

«Exklusiv» vermeldete am Freitagmittag der Schweiz-Korrespondent des deutschen «Handelsblatt» unter dem Titel «Schweizer Konzern plant ‹Buzzfeed›-Kopie», dass Ringier «mit einem eigenen neuen Portal an den Markt» gehen sowie «junge, urbane Leser» ansprechen wolle. Auf meine Anfrage nach der Quelle der Story antwortet Autor Holger Alich, er nehme grundsätzlich keine Stellung zu seinen Quellen.

Womöglich werden einige diese Meldung für einen mutigen Schritt des Ringier-Verlags in die digitale Zukunft halten. Doch sie sagt nur wenig aus: Viele Printverleger glauben, ihr Glück zu finden, in dem sie den aktuell heissesten Scheiss für sich zu nutzen versuchen. Vor ein paar Jahren waren es die Tablets von Apple, die die Branche retten sollten. Jetzt offenbar Buzzfeed: Eine durchaus unterhaltsame Contentfabrik, in der Inhalte und Werbung nur schwach voneinander getrennt Klicks ohne Ende fabrizieren. Wie auch das Modell «Huffington Post» ist Buzzfeed für den Journalismus eher Untergang als Lösung. In beiden Modellen kommt er nur am Rande vor.

Bei der HuffPo, vor einer Woche im deutschsprachigen Raum als Huffington Post Deutschland an den Start gegangen, werden nur die festangestellten Contentschieber bezahlt – ausserredaktionelle Inhalte, also das, was Journalismus ist oder sein könnte, bleiben unentlöhnt. Statt mit Honoraren zahlt die Tomorrow Focus AG lieber mit «Aufmerksamkeit» (2012 machte Mutterkonzern Hubert Burda Media 2456 Millionen Euro Umsatz und einen dreistelligen Millionengewinn). Die Leistungen des HuffPo-Redaktionsteams zeigen sich bisher im Finden von wilden Farben für grosse Überschriften und im Aufmotzen von an sich banalen Tatsachen. Vielleicht mausert sich das Portal irgendwann zu einer lesenswerten Plattform, doch aktuell ist es ein Boulevard-Eintopf, in den jeder seinen PR- und Ego-Senf reindrückt. Um den Anschein von Fadheit gar nicht aufkommen zu lassen, würzt die Redaktion stets kräftig nach. Ein wohlschmeckendes Menü? Wer gratis gefüttert werden will, muss sich mit dem, was er kriegt, zufrieden geben.

Buzzfeed ist vom Prinzip mehr ein grosser Fleischwolf, mit dem Inhalte aus dem Internet zu wohlschmeckenden Mini-Würstchen verarbeitet werden, die dann in Listen oder Galerien angeboten und mit etwas Content drumrum angepriesen werden. Die Ergebnisse sind oft sehr kreativ und witzig, zwischendurch gelingen echte Highlights, auch journalistische. Man könnte Buzzfeed auch als ein heisser, süsser Griessbrei sehen, der Texte, Bilder, Videos und Werbung, also Griesskörner, Milch, Zucker und Zimt miteinander vermengt und so den Lesern mit einem grossen unbedeutenden Nichts überrollt.

In einem Experiment hat die Website «Neue Elite» letzte Woche konsequent eine Buzzfeed-Strategie verfolgt – und damit (nicht sehr überraschend) Klicks und Likes wie noch nie eingefahren:

In dieser einen Woche hatten wir mehr Besucher als andere Onlinemagazine in einem ganzen Jahr. Uns gingen bereits nach kurzer Zeit die Banner aus, selbst die auf der untersten Backupebene.

Manche weigern sich, den vorgesetzten Brei zu essen und spucken darauf, so Maddox von Thebestpageintheuniverse.net, der seit 1997 im Netz aktiv ist. In einem Blogeintrag und einem Video begründet er, weshalb er Buzzfeed für einen Schandfleck des Internets hält:

Das Prinzip «Everything goes» und «Hauptsache Aufmerksamkeit» manifestiert sich sowohl bei HuffPo als auch bei Buzzfeed. Es sind beides keine schlechten und sicher gewinnbringende Ideen, die viele Menschen zu Tode amüsieren unterhalten werden. Die Gewinne, welche durch die Brei- und Eintopf-Verfütterung entstehen, können eine Grundlage sein für ernsthaften Journalismus, den es unter BuzzReads eben tatsächlich auch gibt – selbst ein kleines Investigativ-Team wurde neu gegründet.

Hinsichtlich des sich abzeichnenden Wandels von Ringier von einem Verlagshaus mit gesellschaftlicher Verantwortung zu einem Konzern, der vor allem unterhalten will, passt Füttern (feed) mit Klatsch (Buzz) ganz gut. Die Frage ist aber auch, ob man dem Unternehmen im aktuellen Zustand eine ernstzunehmende Kopie von Buzzfeed überhaupt zutraut. David Bauer, «Digitalstratege» der Tageswoche, twitterte dazu diesen Link.

Fragt man sich, wer denn in der Schweiz am ehesten so etwas kann, stösst unweigerlich auf eine Antwort: 20min.ch. Noch immer läuft es als eine Art Nachrichtenportal, doch mindestens die Hälfte aller Einträge segeln inzwischen unter dem Label «Kurioses aus dem Internet». Seit dem Abgang von Hansi Voigt vor einem Jahr konnte das Portal (seit 1. September mit Peter Wälty als Leiter der Digitalentwicklung) mit einem entschiedeneren Boulevard-Kurs die Aufmerksamkeit nochmals verstärken. Vergleicht man die September-Monate 2012 und 2013 miteinander, stiegen die Unique Clients um 22 Prozent, die Visits sogar um 48 Prozent an.

Hier will nun die unter den jüngeren Medienkonsumenten bekannte, aber bisher online schwache bis nicht existente Marke «Blick am Abend» nachziehen. Die Ringier-Buzzfeed-Kopie soll aus dem Newsroom heraus produziert werden, etwa 10 bis 12 Mitarbeiter dafür abgestellt werden (Buzzfeed hat aktuell über 300 Angestellte). Ein Name ist noch nicht bekannt, auf Blick.ch soll das Portal «keinen Einfluss» haben, wie eine Ringier-Sprecherin sagt.

«Ringier lehnt Einstieg bei neuem Newsportal ab», war vor zwei Monaten in der «Sonntagszeitung» zu erfahren. Wer den Artikel von Reza Rafi liest, erhält den Eindruck, als habe Ex-20min.ch-Chefredaktor Hansi Voigt bei Ringier Watson vorgestellt und sei daraufhin abgeblitzt. Doch Voigt erzählt auf Anfrage eine andere Version: Ringier-CEO Marc Walder habe im Mai angerufen, um sich mit ihm mal über Watson zu unterhalten. Tatsächlich habe er sich darauf während einer Stunde mit einer Ringier-Delegation getroffen, doch konkret wurde nichts besprochen, kein Businessplan gezeigt. «Blick.ch ist ja potenziell der grösste Konkurrent, da kann ich doch nicht befreit erzählen», so Voigt auf Anfrage. Etwas später folgte ein weiteres Gespräch, auch dabei habe er sich «vollkommen bedeckt gehalten». Lediglich die Möglichkeit eines Joint-Venture sei in Betracht gezogen worden.

Nach dem für die Ringier-Führung überraschenden Abgang von Blick.ch-Chef Rolf Cavalli erhielt Voigt nach Informationen der Medienwoche ein Wahnsinns-Angebot für die Umsetzung einer Buzzfeed-Strategie unter der Marke «Blick»: 500’000 Franken Jahreslohn wurden ihm angeboten, ein Betrag, der sogar die kühnsten Annahmen der Wigdorovits-Liste sprengt. Dazu wäre eine einmalige Ablösesumme von 500’000 Franken bezahlt worden. Voigt bestätigt lediglich, ein Angebot von Ringier erhalten und abgelehnt zu haben, weitere Details sind ihm nicht zu entlocken. Bei Watson, dem nach wie vor unenthüllten Projekt von Voigt, ist man an einer Zusammenarbeit mit Ringier offensichtlich nicht interessiert. Man twittert, wohl mit Anspielung auf den Bericht in der «Sonntagszeitung»:

Neben weiteren Playern buhlen also zukünftig die Marken Blick, 20 Minuten und Watson um die Aufmerksamkeit des gelangweilt auf dem Handy herumtippenden Jugendlichen an der Bushaltestelle. Entscheidet sich die Zukunft des Journalismus in der Frage, wer ihm die meisten lustigen Kätzchen unterjubeln kann? Ich zweifle daran.

Leserbeiträge

Lahor Jakrlin 22. Oktober 2013, 17:25

Wütend geschriebene Artikel sind gut. Dieser wurde sehr wütend verfasst.
Und hinterlässt bei mir auch Wut. Denn ich erlebe fast täglich Werbe- und Marketingleiter, denen die Qualität der Medien völlig egal ist, solange sie Klicks zählen/zahlen dürfen … derweil Walders für ungeprüfte Projekte 500’000 plus Ablösesummen hinblättern, um beim „Buzzen“ dabei sein zu können. wie fantasie- und gewissenslos.