von Jens Mattern

Viel Suggestion, einseitige Faktenauswahl

Der russische Staatssender bietet nun auch ein Programm in deutscher Sprache an und will damit die «Meinungsvielfalt verbessern». Mit den Fakten nimmt es RT Deutsch indessen nicht so genau, wenn sie der Putin-freundlichen Berichterstattung entgegenstehen. Die MEDIENWOCHE hat nachrecherchiert.

Wie eine Graswurzelbewegung, mit einer Online-Petition, fing es scheinbar an – 30’000 Personen unterschrieben einen Brief an Margarita Simonjan, Chefredakteurin von «Russia Today» in Moskau, den Nachrichtensender auch in deutscher Sprache zu produzieren – für die 100 Millionen Menschen in Europa, die Deutsch sprechen. «Damit würde sich die Meinungsvielfalt und Informationsfreiheit in Europa erheblich verbessern», so die im März von einem Wjatscheslaw Seewald (der eine esoterisch-prorussische Webseite verantwortet) gestartete Initiative. Am 6. November war es so weit. RT Deutsch nahm den Sendebtrieb auf und will seither «den fehlenden Teil zum Gesamtbild» zeigen. Bislang gibts den russischen Blick auf die Welt in deutscher Sprache nur im Web. Im kommenden Jahr soll eine Verbreitung via Satellit starten. Der Zeitpunkt ist gut gewählt – eine Eskalation des Ukraine-Konflikts steht im Raum und damit einhergebend eine Unzufriedenheit mit der bisherigen Berichterstattung darüber in Deutschland.

Russia Today wurde 2005 in Moskau als englischsprachiger Nachrichtensender in der Form eines staatlichen gemeinnützigen Vereins von RIA Novosti gegründet, um das russische Image im Ausland aufzupolieren. Die damalige RIA Novosti Direktorin Svetlana Mironjuk wollte das Bild erweitern, das der Westen von Russland gehabt habe und auf «Kommunismus, Schnee und Armut» beschränkt gewesen sei. Doch Russia Today und Russland geht es nicht allein um Russland. Bereits 2011 klagte die damalige Aussenministerin Hillary Clinton, die USA würden den «Nachrichtenkrieg» gegen RT verlieren (seit 2009 wurde ein Kürzel gebraucht, um den Russland-Fokus zurückzunehmen). Heute untersteht der Sender «Rossija Sewodnja», einem neuen staatlichen Medienunternehmen, das im Dezember 2013 gegründet wurde. Er verbrietet seine Programme auf Russisch, Englisch, Spanisch und Arabisch.

Als «Schmuddelkind der Kremlpropaganda» charakterisierte Iwan Rodionow, Chefredaktor von RT Deutsch, etwas angestrengt selbstironisch seinen Nachrichtenkanal. Auch die Passantenbefragung, bei der sich Berlinerinnen und Berliner darüber freuen, dank «RT Deutsch» nun mehr über Russland zu erfahren, sei inszeniert wie Rodionow und die Moderatorin Jasmin Kosubek lächelnd versicherten. Kosubek, die mit ihrer haspeligen Art ein wenig an Lena Meyer-Landrut erinnert, erscheint als journalistischer Neuling, während Rodionow, Leiter der russischen TV-Nachrichtenagentur Ruptly, sich bislang in deutschen Talk-Shows als kompromissloser Verteidiger Putins hervorgetan hat.

Auch der Moderationsstil von Kosubek bei ihren ersten Gästen, Jochen Scholz, Oberstleutnant der Bundeswehr a.D und Rainer Rupp, DDR-Agent a.D., ist gewöhnungsbedürftig. Sie kann russische Namen nicht aussprechen, gibt mal die Naive – «ich habe ja keine Ahnung» – und bedrängt den Gast dann mit Suggestivfragen, wenn dessen Amerika-, Nato- oder Kiew-Kritik die gewünschte Schärfe vermissen lässt.

Wohl nicht von ungefähr laufen in der ersten «Der Fehlende Part»-Sendung zwei Beiträge über Polen, über das EU-Land, das in Brüssel den meisten Druck macht, die Sanktionen gegenüber Russland zu verschärfen. Es lohnt deshalb ein kurzer Faktencheck. In einem Kurzbericht über die Ereignisse des polnischen Unabhängigkeitstag am 11. November in Warschau behauptet RT Deutsch, die Demonstranten würden die Warschauer Innenstadt verwüsten. «Die Stadt selbst ist von normalen Menschen wie ausgestorben, es halten sich tatsächlich nur Randalierer auf der Strasse auf.» Es kam tatsächlich zu Ausschreitungen, aber auf der Ostseite der Weichsel. Das eigentliche Warschau war normal bevölkert.

Auch eine andere Behauptung lässt sich leicht widerlegen: «Die Politiker selbst feierten den Unabhängigkeitstag lieber in Krakau», behauptete RT Deutsch. Dies ist eine vollkommene Verdrehung der Tatsachen. In Krakau feierte zwar der Oppositionspolitiker Jaroslaw Kaczynski einen Tag zuvor die Unabhängigkeit und erinnerte dabei an seinen Bruder Lech, der nach dem Flugzeugabsturz bei Smolensk 2010 verunglückte und in Krakau bestattet ist. Aber Präsident Bronislaw Komorowski lief mit weiteren Politikern am 11. November unbeschadet durch die Warschauer Innenstadt. RT Deutsch Journalistin Kosubek suggeriert somit, die polnischen Politiker würden den Rechten ausweichen, die in Warschau demonstrierten. Zudem behauptet sie fälschlich, die Demonstranten forderten: «einen Teil der Westukraine, (dazu gehört) Lemberg und Litauen zurück ins polnische Reich zu holen.» Tatsächlich erklärte Robert Winnicki, einer der Organisatoren des nationalistischen Marschs «Es gibt kein Polen ohne die Kresy (Regionen, die heute zu Litauen, Weissrussland und der Ukraine gehören) und ein Patriotismus, der Wilna und Lwow (Lemberg) vergisst, ist unvollständig.» In der Textfassung des Beitrags liest sich das dann so: «Warschau feiert Unabhängigkeitstag mal anders: Lemberg heim ins Reich!». Der Artikel ist mit derzeit fast 6000 Aufrufen der erfolgreichste der Sparte «International».

In einem weiteren Kurzbeitrag heisst es, der russische Dirigent Waleri Gergijew sei auf «Anweisung der Polnischen Botschaft» von den Musikfestspielen Saar «ausgeladen» worden. Das Festival steht unter der Schirmherrschaft des ehemaligen polnischen Premiers Donald Tusk. «Weil er Russe ist», so der Titel der Textversion auf der RT Deutsch Webseite. Jacek Biegala, Pressereferent der Polnischen Botschaft in Berlin, verneint auf Anfrage von «Medienwoche», dass eine polnische Intervention stattgefunden habe. Der Geschäftsführer der Musikfestspiele Saar erklärte gegenüber dem Bayerischen Rundfunk, der polnische Botschafter konnte eine solche Wahl nicht gutheissen, da sich Gergijew für Putins Politik stark macht, der Dirigent sei jedoch nicht «ausgeladen» worden.

Der Blick auf das gegenwärtige Hauptthema des Senders, der Konflikt in der Ukraine, entspricht dem des Muttersenders in Moskau: Die 4000 Menschenleben, die der Konflikt bisher in der Ostukraine gekostet habe, gehen auf das Konto der Ukrainischen Armee, die Kriegsverbrechen begeht. Die Kiewer Regierung wird in Verbindung mit Neonazis gebracht. Meldungen westlicher Agenturen über russische Truppenverschiebungen werden ins Lächerliche gezogen mit lautbildenden Comicwörtern wie «Gähn» oder «Ich sehe was, was Du nicht siehst».

Kann oder soll man RT Deutsch wirklich ernst nehmen? Der Journalist Olaf Sundermeyer, der nach einigem Zögern die Einladung zu «Der fehlende Part» angenommen hatte, erklärte gegenüber der MEDIENWOCHE, er empfinde den russischen Sender als «bedrohlich». Und: «Ich teile die Auffassung von Reporter ohne Grenzen, dass RT Deutsch die Pressefreiheit gefährde.» Nach seiner Erfahrung habe «RT Deutsch» mit Journalismus nichts mehr zu tun, sondern sei vielmehr «knallharte Staats-Propaganda», deren Zweck es sei, Zweifel und Irritation unter den Zuschauern zu erzeugen. Damit würden diese Leute bestärkt, die glauben, dass es bei den Medien sowieso nicht mit rechten Dingen zugehe.

Sicher ist – RT Deutsch bietet deutschsprachigen Verschwörungstheoretikern ein Forum. Ob diese teils plumpe Art der Suggestion, der Pauschalurteile und der Faktenverdrehung wirklich im deutschsprachigen Raum ein grösseres Publikum erreicht, ob sich die bereits Medienverdrossenen radikalisieren werden, ist heute noch nicht abzusehen.

Leserbeiträge

Christopher Prinz 01. Dezember 2014, 01:49

Mich stört ihr wahrheitsanspruch. Der passt aus meiner Sicht weder zum Journalisten noch zur Idee ihrer Plattform.
Das wohl jeder und jede, sowie jede Organisation seinen eigenen Blick und somit auch seine unsichtbaren Stellen hat ist ja wohl klar.
Ihr zitierter Journalist polemisiert ja auch ganz schön. Es gefährde die Pressefreiheit. Es ist doch wohl eher so, dass ein bisschen Verwirrung, in der heutigen Zeit, vielleicht noch der einzige Weg ist zu merken das die ganze Medienlandschaft auf wackeligen Beinen steht.
Und übrigens, sie sagen, die Medienwoche hätte recherchiert. So, so, sie haben also in polen und Russland, und, und,und, eigene Korrespondenten, die Von wegen Haltung und Vertrauenswürdigkeit überprüfbar sind.
Ihr Artikel ist mindestens so fragwürdig wie die von ihnen kritisierten.
Ich habe ehrlich gesagt auch viel wenige Mühe von Organisationen, die reaktiv, seit ein paar Monaten ihre Sicht der Dinge etwas verbogen darstellen, als eine, die das schon seit längerem tut.
Da könnte es doch gut sein, dass die ihren deutschen Kanal nicht mehr bräuchten wenn wir unseren Journalismus wieder etwas glaubwürdiger Leben würden.
Das wünsche ich mir von Ihnen und Ihren Kollegen.
Und trotzdem, auch dann, sollten wir Leser nicht aufhören jedem kritisch zuzuhören.

ueli brunner 02. Dezember 2014, 10:50

Von welcher PR-Agentur stammt dieser Artikel? Die machen echt gute Arbeit!

Christopher Prinz 02. Dezember 2014, 15:37

Ist, glaube ich, eher ein Ergebnis zeitgenössischer Verwirrung. es ist für jeden schwierig geworden aufrichtig zu sein wenn man nicht mehr weiss wo oben und unten ist.
Das ist ja auch das effiziente am System, dass jeder der nicht aufpasst zum Träger von Botschaften wird, die möglicherweise nicht seiner eigenen Haltung entspricht. Somit werden wir, die Einzelteile der Bevölkerung, gegenüber jedem Nächsten zur PR-Agentur.