Blendle-Gründer Blankesteijn: «Wir sind die Good Guys»
Kommt die Rettung aus Holland? Das Jungunternehmen Blendle bietet nun auch deutschsprachigen Verlagen eine einfache Bezahllösung für den Einzelverkauf ihrer Artikel an. Gründer und CEO Marten Blankesteijn (28) erklärt im Gespräch mit der MEDIENWOCHE, warum die Verlage in Blendle keine Konkurrenz zu ihren Digitalabos sehen und warum er sich nicht vor Nachahmern fürchtet.
MEDIENWOCHE: Zum Start der deutschsprachigen Version von Blendle haben aus der Schweiz gerade einmal NZZ und «Reportagen» angekündigt, künftig ihre Inhalte auch über diese Plattform verkaufen zu wollen. Warum nur die zwei?
Marten Blankesteijn: NZZ und «Reportagen» sind von sich aus auf uns zugekommen. So erklärt sich auch, warum bei der Umfrage der MEDIENWOCHE kürzlich die anderen Schweizer Medien abwartend reagiert haben. Die wissen zum Teil noch gar nicht richtig, wie Blendle funktioniert. Da wäre es ja komisch, wenn sie sagen würden: klar, wir sind dabei.
Wie geht es weiter mit dem Schweizer Angebot auf Blendle?
In den meisten Ländern starten wir erst mit einer eigenen Version, wenn wir die Mehrheit der einheimischen Verlage an Bord haben. In der Schweiz ist das nicht nötig, weil es ja nun die deutschsprachige Version gibt, wo die wichtigsten Titel aus dem gesamten deutschsprachigen Raum verfügbar sind. Wir werden nun fortlaufend Schweizer Publikationen hinzufügen.
Was suchen und lesen die Leute auf Blendle?
Was wir bisher vom Nutzerverhalten aus Holland und der Beta-Phase in Deutschland wissen, suchen die Leute vor allem lange Stücke, Hintergründiges, Interviews. Im Web gibt es zwar tonnenweise Lesestoff. Doch die überwiegende Mehrheit der journalistischen Texte sind verhältnismässig kurze und schnell geschriebene Artikel aus dem Nachrichtenbereich. Das ist zwar hilfreich um zu verstehen, was in der Welt gerade läuft. Aber warum etwas geschieht, erfährt man so nicht. Dafür braucht es eben andere Angebote. Wenn das Angebot klar besser ist als das, was es kostenlos im Web sonst gibt, sind die Leute auch bereit, dafür zu zahlen.
Blendle ist in Holland gestartet, kommt jetzt in den deutschsprachigen Raum. Wann folgt der englischsprachige Markt?
Führende englischsprachige Titel sind dabei, wie etwa die New York Times, die Washington Post, das Wall Street Journal oder der Economist. Für die Lancierung eines eigenständigen englischen Angebots wollen wir aber eine breitere Palette anbieten können. Mit zwanzig bis vierzig Titeln können wir loslegen. Wir brauchen diesen Markt, ganz klar. Schliesslich verkaufen wir keine Abonnements zu 300 Euro, sondern einzelne Artikel im Cent-Bereich. Daher funktioniert unser Geschäftsmodell nur, wenn wir wirklich viele Artikel verkaufen können.
Rennen Sie eigentlich offene Türen ein bei den Zeitungsverlagen?
Es braucht immer ein bisschen Zeit. Zuerst kommen immer die gleichen Fragen. Ob die Leute denn nicht ihr Abo kündigen, wenn sie bei Blendle nur das zahlen müssen, was sie wirklich nutzen Ich kann die Verleger aber beruhigen: Seit es Blendle in Holland gibt, fragen die Verlage nach Abo-Kündigungen, ob es wegen uns sei – was nie der Fall ist. Im Gegenteil: Die Zeitung «De Volkskrant», vergleichbar mit der NZZ in der Schweiz, verzeichnet zum ersten Mal seit Jahren eine Zunahme der Abonnenten, obwohl sie keinerlei Marketinganstrengungen unternommen haben. Darum gehen sie davon aus, dass das ein Effekt von Blendle sein könnte.
Sie sehen also keinerlei Kannibalisierungsgefahr?
Es ist doch so: Eine 21-jährige Person meint heute, «Der Spiegel» sei eine kostenlose News-Website. Wie sollte so jemand überhaupt darauf kommen, den «Spiegel» zu abonnieren, wenn sie nicht einmal wissen, was das Magazin bietet. Das versuchen wir zu ändern. Wir erreichen eine junge Zielgruppe. Die Mehrheit der Blendle-Nutzer ist jünger als 35.
Sprechen Sie die gezielt an?
Wir machen kein Marketing (lacht). Aber es hat sicher auch mit unserem Unternehmen zu tun. Unser Durchschnittsalter liegt bei 27, ich selbst bin 28. Und daher machen wir wohl ganz automatisch Sachen, die bei einer jungen Zielgruppe gut ankommen.
Blendle verfügt über interessante Daten zum Lektüreverhalten seiner Kunden. Profitieren davon auch die Verlage?
Abgesehen von der E-Mail-Adresse, die einen Leser eindeutig identifizieren würde, teilen wir mit den Verlagen praktisch alle Daten, die bei uns anfallen. Für jeden Artikel, den wir auf Blendle anbieten, sieht man eine ganze Menge an Informationen. Wie oft wurde er gelesen? Zu welcher Tageszeit? Welches Geschlecht haben die Leser?
Gibt es auch kritische Reaktionen vonseiten der Verlage?
Am Anfang fragten sich die Verlage schon auch: Was machen die Jungs eigentlich? Aber nach einer Phase das Abtastens würde ich heute so weit gehen, unser Verhältnis als freundschaftlich zu bezeichnen. Momentan sind wir die «Good Guys». Was unser Geschäftsmodell angeht, gibt es keinerlei Kritik. Am Anfang dachten die Verlage, dass wir ihnen gefährlich werden könnten. Aber jetzt merken sie, dass das nicht stimmt, weil sie die Zahlen kennen und sehen, was ihnen Blendle bringt.
Hat Sie das überrascht?
Ich ging davon aus, dass wir als Partner wahrgenommen werden, wegen unserer Preisstruktur. Als Beispiel: Ein Digitalabo von «De Volkskrant» kostet 15 Euro im Monat. Bei uns kostet ein einzelner Artikel aus der Zeitung 25 Cent. Zwei Artikel pro Tag macht 50 Cent, mal 30 Tage im Monat macht 15 Euro. Mit zwei Artikeln pro Tag auf Blendle zahlt man also bereits den Abo-Preis. Das Abo zu künden, wäre in dem Fall nur sinnvoll, wenn ich pro Tag weniger als zwei Artikel lesen würde. Aber wer so wenig liest, kündigt sein Abo sowieso und nicht wegen Blendle.
Wie können Verlage sonst noch profitieren, wenn sie mit Blendle zusammenarbeiten?
Ein gutes Beispiel ist VN, ein Nachrichtenmagazin aus Holland. Die suchten nach einer Lösung, wie sie ihre Artikel online kostenpflichtig anbieten können. Nun nutzen sie Blendle als Paywall. Das sieht dann so aus, dass man den Anfang eines kostenpflichtigen Artikels frei lesen kann. Darunter erscheint ein Button, wo man den Preis für den Artikel über sein Blendle-Konto zahlen kann und danach erscheint auf der Webseite der ganze Artikel
Blendle ist also auch ein Paywall-Provider?
Wir gehen grundsätzlich davon aus, dass es einen riesigen Markt für kostenpflichtigen Journalismus gibt. Wenn es unser Ziel ist, Journalismus so einfach wie möglich zugänglich zu machen, dann ist die Paywall ein logischer Teil unseres Angebots. Warum sollten alle auf unsere Plattform kommen? Es spielt doch keine Rolle, wohin der Traffic geht, so lange die Leute für Journalismus zahlen.
Erlebt der Journalismus gerade seinen iTunes-Moment?
Die Musikindustrie hat gezeigt, dass es möglich ist, für digitale Inhalte Geld zu verlangen. Vor zehn Jahren habe ich alle Musik gratis aus dem Internet heruntergeladen und dachte nie im Leben daran, je dafür zu bezahlen. Ich konnte mir kein besseres Geschäftsmodell vorstellen, als alles gratis zur Verfügung zu haben. Heute ist es sogar nicht einfacher: Es gibt alle Musik auf Youtube. Sogar meine Grossmutter kann das nutzen. Es wäre absolut sinnlos, für Musik zu zahlen. Gleichzeitig hat es aber Spotify geschafft, Millionen zahlende Kunden anzuziehen. Das zeigt, was ein positives Nutzungserlebnis ausmachen kann.
Rechnen Sie mit Nachahmern?
Wenn man Blendle so anschaut, könnte man schon auf die Idee kommen, dass sich das leicht kopieren liesse. Ich weiss aber, was für eine Maschine unter der Oberfläche läuft. Da zweifle ich schon, dass das sonst jemand einfach so hinkriegen könnte. Über alles gesehen, ist es sicher am schwierigsten, das Nutzungserlebnis möglichst reibungslos zu gestalten. Ich habe schon viele Paywalls gesehen, aber keine ist so einfach gestaltet wie unsere.
Wo sind die Schwachstellen?
Wir erhalten jede Nacht von den Zeitungsverlagen die Daten übermittelt. Zur Zeit sind das um die 50 Zeitungen die so reinkommen. All das sauber in unserer Auslage reinzupassen, ist der reinste Horror. Jeder Verlag hat sein eigenes System. In unserer Firma gibt es eigens eine Abteilung, die nur damit beschäftigt ist, die Zeitungsdaten aufzubereiten.
Welche Rolle spielt Social Media?
Es ist zweifellos die grösste Quelle für unser Nutzerwachstum. Da wir kein Marketing betreiben, übernimmt Social Media diese Rolle. Blendle ist selbst auch ein Social Network, wo sich die Nutzer gegenseitig Artikel empfehlen und auf ihren Profilen weiterverbreiten können.
Hat Blendle eigentlich Exklusivverträge mit den Verlagen?
Die Verlage können machen was sie wollen, wir binden sie nicht. Das gäbe nur komplizierte Diskussionen. Das ist es uns nicht wert. Denn schliesslich geht es um ein Geschäftsmodell für Journalismus. Wenn es sonst jemand besser machen sollte als wir, dann wäre das für Blendle der Moment, um aufzuhören.
Welche Rolle spielen Axel Springer und die New York Times als Minderheitseigner von Blendle?
Wir haben uns bewusst für Verlage als Investoren entscheiden und nicht für Risikokapitalisten. Denn diese wollen irgendwann Geld sehen. Bei Axel Springer und der New York Times geht es um etwas anderes. Die New York Times sagte uns explizit, wenn es uns gelänge, mitzuhelfen die Digitalabos hochzuschrauben, dann hätten sie ihre Investition bald zurück. Die Verlage funktionieren eher so, dass sie finden, wir machten interessante Sachen, wo sie dabei sein wollen. Das mögen wir. Ausserdem verstehen wir unser Geschäft selbst am besten und wollen unser eigener Chef bleiben. Daher brauchen wir auch keine Verwaltungsräte, die uns sagen, was wir zu tun haben. Die Risikokapitalisten finden das komisch, weil die immer einen Verwaltungsrat haben. Springer und New York Times haben damit kein Problem, weil sie daran glauben, dass wir gute Arbeit leisten.
Das Gespräch fand am 11. September 2015 statt anlässlich des Schweizer Medienkongresses in Interlaken, wo Marten Blankesteijn als Gast eingeladen war.