von Nick Lüthi

Werbung überwinden!

Die aktuelle Debatte um die Zukunft der Online-Werbung im Allgemeinen und Ad-Blocker im Speziellen blieb bisher auf halbem Weg stecken. Alle wollen irgendwie das kaputte System flicken. Dabei lohnte sich ein Blick auf Alternativen ohne Werbung.

Die Popularität von Ad-Blockern veranschaulicht nur auf drastische Weise, was die Branche schon längst weiss: Werbung ist kaputt. Auf jeden Fall so, wie sie die Medien jahrzehntelang kannten und gut davon profitieren konnten. Zwar geht es gerade den gedruckten Medien oft noch besser als manche Abgesänge und Sirenenklänge vermuten lassen würden. Aber die Bewegung der Werbung weg von den Massenmedien kennt keine Umkehr.

Nun kann man sich natürlich daran machen, das kaputte System zu flicken: Mit Native-Advertising zurückholen, was an Display-Anzeigen weggebrochen ist oder mit einer konsequenten Reichweitenstrategie versuchen, die verbleibenden Werbebrosamen grossflächig aufzuwischen. Das kann in einzelnen Fällen sogar funktionieren, eine nachhaltige Antwort auf die Herausforderung des Werbewandels bietet das aber nicht.

Letztlich ändert sich nichts an der Abhängigkeit von Werbekunden. Sie nimmt höchstens ein andere Form an. Die Abhängigkeit bringt bisweilen gutes Geld, aber bedeutet immer auch eine Gratwanderung – ein Fehltritt und die Unabhängigkeit ist dahin.

Wer diese Gefahrenquelle für seine Unabhängigkeit meiden will, sollte sich nach Geschäftsmodellen umsehen, die ohne Werbung auskommen. In der aktuellen Debatte um die Folgen der grassierenden Ad-Blocker dominiert heute der Reformansatz. Es geht lediglich um «besser akzeptierte» Werbeformate, aber nicht um Werbefreiheit. Hier gibt es vier Anknüpfungspunkte für die Debatte:

  • Für ein werbefreies Programm prädestiniert wäre eigentlich der öffentliche Rundfunk. Er erhält sein Geld – Nomen est Omen – von der Öffentlichkeit, qua gesetzlichem Auftrag. Nur hat sich in vielen Ländern eine Mischfinanzierung mit Werbeeinnahmen durchgesetzt, so auch in der Schweiz. Ein Anteil am Budget, den die SRG für unverzichtbar hält. Mit dem Joint Venture  zusammen mit Swisscom und Ringier für die gemeinsame Werbevermarktung misst die SRG den kommerziellen Einnahmen eine strategisch wichtigere Rolle zu als bisher. Auch wenn der Verlegerverband seine Forderung, die SRG solle auf Werbung verzichten, aus erhofftem (finanziellem) Eigennutz erhebt, ist ihr die Berechtigung dennoch nicht abzusprechen. Voll und ganz im Dienste der Öffentlichkeit steht ein Medienunternehmen nur dann, wenn es nicht gleichzeitig auf kommerzielle Interessen Rücksicht nehmen muss, die nicht zwingend Deckungsgleich sind mit den Bedürfnissen des Publikums. Oder wie erklärt man sonst das beliebte Werbungausblenden und -überspulen oder die konstante Klage über Werbeunterbrechungen von Spielfilmen? In Schweden und Finnland geht Service public übrigens werbefrei.

 

  • Erst kürzlich hat der Bundesverband Deutscher Stiftungen dazu aufgerufen, Stiftungen und Vereine sollten sich für «Qualitätsjournalismus» engagieren. Allerdings weniger für die Herausgabe von Publikationen, sondern für Massnahmen, die das System Journalismus an sich stärken, wie etwa Aus- und Weiterbildung, Qualitätssicherung oder Forschung. Stiftungsfinanzierte Medien der Redaktionsbüros, wie etwa das Vorzeigebeispiel Pro Publica, werden dagegen die Ausnahme bleiben, zumindest hierzulande, wo sich Stiftungen in aller Regel nicht mit wiederkehrenden Beiträgen binden wollen, sondern punktuelle Vorhaben unterstützen, wie etwa die Herausgabe einer Nullnummer einer neuen Publikation. Daher ist auch die stiftungsfinanzierte Basler Tageswoche, die von Milliardärin Beatrice Oeri und ihrer Stiftung seit vier am Leben gehalten wird, eine Ausnahme und nicht das leuchtende Vorbild für ein neues, nachhaltiges Finanzierungsmodell. Ausserdem muss sich auch die Tageswoche an die Werbung verkaufen, um irgendwann auf eigenen Beinen zu stehen – weil auch diese Stiftung nicht ewig und konstant Geld ausschütten mag.

 

  • Im Kleinen zeigt Crowdfunding, wie es möglich ist, Medienprojekte rein publikumsfinanziert an den Start zu bringen. Allerdings zeigt das Modell auch klare Grenzen. Etwa bei der Sicherung eines kontinuierlichen Geldstroms über Jahre hinweg. Auch ist die Spendenbereitschaft von Unwägbarkeiten begleitet. Hype oder Flop spiegelt nicht zwingend die Qualität eines Projekts. Eng verwandt mit dem Crowdsourcing ist das altbekannte und weiterhin bewährte Abomodell, mit dem Verlage in der Vergangenheit jene Differenz finanzierten, die sie nicht über Werbung einspielen konnten. Heute gibt es vermehrt Ansätze zur reinen Abofinanzierung, gerade im digitalen Bereich, wo das Publikum nicht mehr für die Fixkosten von Druck und Vertrieb aufkommen muss.

 

  • Eine weitere Form der Nutzerfinanzierung ist das Mitglieder– oder auch Clubmodell, das neben dem publizistischen Produkt den Zugang zu weiteren Leistungen, etwas Veranstaltungen, bietet und so eine stärkere Publikumsbindung anstrebt. Das kann so weit gehen, dass die Mitglieder auch formal am Unternehmen teilhaben, sei es über den Aktienerwerb oder andere Partizipationsformen. Sogenannte Community- oder Gemeinschaftsmedien praktizieren dieses Modell schon lange, in der Schweiz etwa die sogenannten nicht-kommerzorientierten Lokalradios. Allerdings sind diese Sender auf öffentliche Mittel angewiesen, ohne die sie nicht überleben könnten.

Die vier Modelle allein geben keine befriedigende Antwort auf die grosse Frage nach einer nachhaltigen Medienfinanzierung fernab der Werbeabhängigkeit. Dennoch enthalten sie die Kernelemente einer weiteren Diskussion über eine werbefreie Medienzukunft. Auch wenn die Entwicklung der modernen Massenmedien ohne Werbung nicht denkbar gewesen wäre, haben sich die beiden Sphären inzwischen voneinander entkoppelt. Der potenzielle Kunde ist nicht mehr zwingend der Leser der Publikation X mit Werbefläche Y. Die Ansprache der beiden Gruppen erfolgt zunehmend und irreversibel über getrennte Kanäle. Das bietet auch den Medien die Chance, sich von der Werbung zu «entkoppeln».

Leserbeiträge

Ueli Custer 29. September 2015, 07:45

Lieber Nick
Da ist aber dein linkes Herz ganz gehörig mit dir durchgegangen. Es ist natürlich dein gutes Recht, Werbung für überflüssig zu halten. Es wäre aber schön, wenn du wenigstens überlegen würdest, dass die Marktwirtschaft auch ihre Bedürfnisse hat. Denn ohne Werbung keine Marktwirtschaft und ohne Marktwirtschaft sind wir dann schnell dort, wo z.B. Kuba heute steht. Es lebt nur noch von der immer mehr schwindenden Substanz aus der kapitalistischen Zeit und wird genauso untergehen wie seinerzeit die DDR.

Nick Lüthi 30. September 2015, 15:46

Lieber Ueli, mein Text ist keine Absage an Werbung! Ich weiss nicht, wo du das gelesen hast; sicher nicht bei mir. Was ich schreibe: Werbung braucht nicht mehr zwingend die Publizistik als Transportvehikel. Und als Konsequenz daraus rege ich an, sich Modelle anzuschauen, wo Journalismus auch ohne Werbung auskommt. Nicht mehr und nicht weniger. (Und das mit der DDR habe ich grosszügig überlesen.)

Grüsse, Nick

Ueli Custer 12. Oktober 2015, 14:09

Na ja, der Titel „Werbung überwinden“ lehnt sich ja nicht zufällig an „Kapitalismus überwinden“ an. Natürlich sagst du nirgends, dass man Werbung abschaffen sollte. Du machst da einfach viel subtiler. Dafür hast du sogar ein Kompliment verdient…

Nick Lüthi 12. Oktober 2015, 14:34

Merci fürs Kompliment! Ernsthaft: Die Entkopplung der Publikums- und Werbemärkte ist ein ernsthaftes Problem für die Finanzierung einigermassen unabhängiger Medienprodukte. Daher finde ich es richtig und wichtig, in alle Richtungen zu denken. Und dazu gehört eben auch die Finanzierung abseits kommerzieller Logik – die Beispiele dafür habe ich gezeigt. Eine Lösung natürlich nicht 😉

Ueli Custer 12. Oktober 2015, 14:43

Du hast natürlich Recht damit, dass die Wirtschaft heute zur Platzierung ihrer Werbebotschaften immer weniger auf Medien (im wahrsten Sinne des Wortes) angewiesen ist. Trotzdem wird sie auch in Zukunft auf Werbung über Massenmedien angewiesen sein. Wenn diese Kanäle wegfallen, wird sie Probleme bekommen.
Im übrigen glaube ich auch nicht, dass Medien auf einmal nur aus dem Nutzermarkt finanziert werden können. Die bisherigen Versuche sind ja nicht gerade ermutigend.
Aber klar: Wir haben es hier mit einer Umwälzung zu tun, deren Folgen noch bei weitem nicht absehbar sind.

Thomas Läubli 07. Oktober 2015, 22:35

Werbung ist in der Tat überflüssig, denn wenn ein Produkt stark genug ist, braucht es sie nicht, um uns von etwas zu überzeugen. Es reicht, in den Laden (der auch virtuell sein kann) zu gehen, um das Angebot zu studieren. Werbung braucht es nicht.

Ueli Custer 12. Oktober 2015, 14:02

Kommentar überflüssig, Nachhilfe in Wirtschaft dringend empfohlen.

Thomas Läubli 21. Oktober 2015, 03:13

Soll das ein Argument sein?

Thomas Läubli 07. Oktober 2015, 22:33

Werbung in Gratiszeitungen sollte man ohnehin verbieten. Es handelt sich um eine unfreiwillige Umverteilung vom Werbezahler (d.h. den Konsumenten) zu Medien, die von einem manipulierten Diskurs beherrscht werden. Jeder kann etwa auf 20Minuten sehen, dass dort bezahlte Like- und Schreibwerkstätten am Werk sind. Economiesuisse hat hier die Grundsteine gelegt.

Dies ist ein bewusstes Kalkül der Macher, denn sonst hätten sie die anonyme Kommentierung längst unterbunden. Man will damit den Inserierenden der Privatwirtschaft entgegenkommen, indem man bewusst marktkritische Reaktionen unterbindet und staatskritische Voten portiert. Das Argument, dass hier mit der freien Meinungsbildung auch die Demokratie ad absurdum geführt wird, da ökonomisch gut dotierte (d.h. rechtsbürgerliche) Parteien für die Medienmanipulation bezahlen, muss jeden vernünftigen Bürger überzeugen, dass es besser ist, die Online-Werbung abzuschaffen.

Ueli Custer 12. Oktober 2015, 14:04

Ist das jetzt Satire? Gratiszeitungen ohne Werbung sind schlicht unmöglich. Die leben ja zu 100% von der Werbung!

Thomas Läubli 21. Oktober 2015, 03:11

Ich rede genauso, wie andere darüber reden, dass man die staatlichen Sender abschaffen solle, indem man die Gebühren entzieht. Dass dabei etwas verloren ginge, kommt den Satirikern nicht in den Sinn. Bei den Gratiszeitungen ginge hingegen gar nichts verloren. Dieser Mix aus Politpropaganda, PR-Artikeln und Entertainment ist austauschbar, überflüssig und bildungsfeindlich. Wer Brot und Spiele sucht, kann es über Crowdfunding finanzieren oder selber in die Tasche greifen, statt uns Werbezahler zu schröpfen.

Ueli Custer 21. Oktober 2015, 08:51

Das geht dann wohl so in Richtung Zensur. Aber wer entscheidet dann, welche Medien überflüssig sind und welche nicht? Frau Leuthard? Oder Sie?

Thomas Läubli 25. Oktober 2015, 21:30

Rückfrage: Welches Ziel verfolgt denn die libertäre Ecke, wenn nicht die Zensur aller Inhalte, die nicht das Hohelied der freien, allzufreien Marktwirtschaft singen? Mit den Gratiszeitungen haben die Libertären ja bereits eine Plattform, die offensichtlich erfolgreich für die Rechtsbürgerlichen wirbt.

Was ich fordere, hat hingegen nichts mit Zensur zu tun. Ein Werbeverbot bei den Privatmedien würde nur das verwirklichen, was sich die Libertären wünschen: ein Geschäftsmodell, das nicht auf unfreiwilliger Umverteilung über die Werbezahler beruht.

Robert Ruoff 13. Oktober 2015, 15:24

Ueli Custer hat selber mit seinem analytischen Beitrag zum 50-jährigen Jubiläum des Werbefernsehens (heute: publisuisse) dem Nick Lüthi recht gegeben. Er belegt dort nämlich sehr klar, wie die Werbung sich auch im Service Public-Fernsehen immer weiter ausbreiten muss, um beim gängigen Preiszerfall den kommerziellen Ertrag wenigstens auf gleicher Höhe zu halten. Mit dem Ergebnis, dass in der Hauptsendezeit zwischen 18 und 20 Uhr eine halbe Stunde – also ein Viertel der Sendezeit! – auf SRF1 für Werbung eingesetzt wird. Sprich: Die SRG untergräbt mit ihrer verzweifelten Kommerzialisierung ihren Anspruch als öffentlicher (Service Public)-Sender.
Die Interessen der werbenden Wirtschaft in all ihren Teilen können in einem dualen Modell, wie es in Skandinavien (siehe Lüthi) oder Grossbritannien erfolgreich funktioniert – mit stetigen Gebühreneinnahmen – grundsätzlich auch in der Schweiz zum Tragen kommen. Die SRG kann in diesem System ihre Glaubwürdigkeit und Qualität erhalten, und die kommerziell finanzierten Verleger können mit Werbeeinnahmen beweisen, dass sie trotzdem zu publizistischer Qualität in der Lage sind.

Jerome 29. Juli 2016, 11:02

Ich glaube dieses Spielchen wird uns noch lange verfolgen. Sobald die einen eine Möglichkeit gefunden haben Werbung zu blocken, suchen die anderen eine Möglichkeit dies wieder zu umgehen. Das nennt man dann wohl gegenseitige Weiterbildungsmaßnahmen. Aber es hat den Vorteil, keiner bleibt stehen