von Nick Lüthi

Der beste Botschafter

Wer, wenn nicht er? Wann, wenn nicht jetzt? Für Schweizer Radio und Fernsehen ist Jonas Projer ein Glücksfall. Der «Arena»-Chef sucht den Dialog mit dem Publikum und ist die bisher prägende SRF-Figur in der Service-public-Debatte.

Einen «verzweifelten Hilferuf» will der «Blick» vernommen haben, als Jonas Projer am vergangenen Montagabend auf Twitter folgendes feststellte und fragte:

 

Was auf den ersten Blick nach einem Hilferuf aussieht, erweist sich bei zweiter Betrachtung als Einladung zum Dialog und zur Kritik. Eine Einladung, die breit angenommen wurde. Über die Dauer eines Tages entspann sich auf Twitter eine Diskussion mit weit über hundert Voten, Jonas Projer selbst meldete sich mehr als zwanzig Mal zu Wort. Drei Punkte stechen dabei ins Auge:

  • Ein prominenter Mitarbeiter von Schweizer Radio und Fernsehen lässt sich via Social Media auf eine Diskussion mit dem Publikum ein. Ein Novum. Bisher fielen SRF-Exponenten eher damit auf, möglichst nichts Verfängliches über ihren Arbeitgeber zu verbreiten.
  • Eine Diskussion auf Social Media über das öffentliche Fernsehen, die nicht entgleist. Die Leute bleiben bei der Sache. Jonas Projers Frage, was er mit der schlechten Quote der letzten «Arena» anfangen solle, nehmen praktisch alle zum Anlass, um nach Erklärungen dafür zu suchen oder Verbesserungsvorschläge zu machen.
  • Selbst erklärte SRG-Gegner und No-Billag-Unterstützer diskutieren mit und verzichten auf die sonst bei jeder sich bietenden Gelegenheit vorgebrachten Grundsatzkritik.

«Diesen Tweet habe ich mit voller Überzeugung geschrieben, aber letztlich auch aus dem Bauch heraus», sagt Jonas Projer. Gezeigt hat er ihn vor der Veröffentlichung nur seiner Frau, die zwar noch kritische Fragen stellte, ihn aber letztlich darin bestätigte, den ursprünglichen Entwurf unverändert zu publizieren. Das Einverständnis eines Vorgesetzten holte Projer nicht ein. So viel Freiheit beim Twittern muss auch bei der SRG sein. «Aber klar, in der momentan aufgeheizten Stimmung kann schnell etwas schiefgehen.» Deshalb tauscht sich Projer regelmässig mit der Chefredaktion und der Kommunikationsabteilung aus.

Bei SRF ist man sich bewusst, dass es nicht mehr länger reicht, nur Programme zu veranstalten. Die Verantwortlichen müssen – und wollen nun auch –  erklären, wieso sie was tun. «Dazu gehört auch, unsere Schwächen zu thematisieren», ergänzt Projer. Und wenn er mit der «Arena» einmal unter den Erwartungen bleibe, dann gehörte das in der Öffentlichkeit diskutiert. Im konkreten Fall stand für ihn die Frage im Vordergrund, ob sich eine Abstimmungssendung überhaupt um die Quoten zu kümmern brauche. «Diese Transparenz bin ich dem Publikum schuldig, das schliesslich die«Arena mit seinen Gebühren zahlt».

Darum wolle er sich auch «aktiv der SRG-Debatte stellen.» Und das nicht nur in seiner Rolle als «Arena»-Leiter, in der er allein im letzten Jahr vier Sendungen zum Service public moderiert hat – dreimal die Arena und das Beschwerdeformat «Hallo SRF!». Jonas Projer will die Leute auch dort ansprechen, wo sie es gewohnt sind zu diskutieren. Zum Beispiel auf Twitter. Das braucht Mut. «Man ruft in den Wald – und weiss nicht, was das Echo ist», sagt der Fernsehmann. In der jüngsten Diskussion über die «Arena»-Quote ging man mehrheitlich pfleglich mit Projer um. «Ich habe gemerkt, dass ich da etwas Positives auslösen konnte. Die Diskussion empfand ich insgesamt als sehr spannend und inhaltlich relevant.»

Der ungefilterte Publikumsdialog mit Social Media bietet gegenüber herkömmlichen Medienkanälen einen strategischen Vorteil: Jonas Projer kann selber Themen anstossen und dann mitdiskutieren. «Einfach schweigen und hoffen, dass niemand eine tiefe Quote entdeckt, funktioniert nicht», sagt Projer. Mit seiner öffentlich geäusserten Selbstkritik kann er zudem negative Reaktionen abfedern indem er deren Kritik antizipiert.

Jemand wie Jonas Projer, der sich im richtigen Moment exponiert und für das Unternehmen einsteht, ohne zu beschönigen, was nicht gut läuft, ist für SRF, aber auch für die ganze SRG, gerade jetzt Gold wert. Der ORF hat Armin Wolf, RTS hat Darius Rochebin, beides prominente Moderatoren wichtiger Politsendungen, die kraft ihrer Integrität als Journalisten das Unternehmen (glaub)würdig in der Öffentlichkeit repräsentieren. Jonas Projer könnte bei SRF die gleiche Rolle spielen wie die Kollegen Wolf und Rochebin. Zwar erreicht Projer auf Twitter nur einen Bruchteil des gebührenzahlenden Publikums. Sein Wort hat aber Gewicht und findet dank der Weiterverbreitung über die gedruckten und digitalen Kanäle der Konkurrenz breitere Kreise.

Und er ist nicht allein: Auch Tristan Brenn, Projers Vorgesetzter und Chefredaktor des SRF-Fernsehen, reagiert selbst auch vermehrt öffentlich auf Kritik. Wenn die SRG-Medien in der oft polemisch geführten Service-public-Diskussion bestehen wollen, dann braucht es mehr offener Dialog mit dem Publikum. Natürlich nicht nur auf Twitter, sondern vor allem in den Programmen mit Formaten wie «Hallo SRF!», Medientalk und Medienclub. Und natürlich wieder in der «Arena» bei Jonas Projer.