von Redaktion

Ein Abbild der Akteure, aber ein schiefes Bild der Themen

Haben die Medien zu einseitig über die Durchsetzungsinitiative berichtet? Auch wenn dies auf den ersten Blick so aussehen mag, zeigt eine nähere Betrachtung, dass die Medien ein ziemlich kongruentes Abbild der Akteure und ihrer Argumente gezeichnet – und damit grundsätzlich ausgewogen berichtetet haben. Das Bild wird aber dort schief, wo sich die Medien zu stark auf Konflikte und SVP-Themen fokussieren. Eine Analyse von Linards Udris, stv. Leiter fög – Forschungsinstitut Öffentlichkeit und Gesellschaft.

Der Medienrechtler Peter Studer, der Initiator des «Dringenden Aufrufs» gegen die Durchsetzungsinitiative (DSI) und damit auch Partei, lobt die Berichterstattung und würde «den Medien gesamthaft eine 5 geben» auf einer Notenskala von 1 bis 6 , denn sie hätten sich eine Meinung gebildet und die Initiative gründlich analysiert, so Studer gegenüber dem Branchenportal persoenlich.com

Die in der Abstimmung unterlegene SVP hingegen hält in ihrer Medienmitteilung nach der Abstimmung die Medien für parteiisch «nach einem in diesem Ausmass noch die dagewesenen, einseitig geführten Abstimmungskampf vonseiten der Medien, Richter, Professoren, subventionierten Kulturschaffenden und der Classe politique». Und die parteinahe «Basler Zeitung» sekundiert: «Die Medien verkamen zu Propagandablättern und setzten damit ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel wie noch nie zuvor» (BaZ, 29.2.2016). Die SVP und ihre Positionen hätten gleich viel (oder zumindest mehr als bisher) Aufmerksamkeit erhalten sollen.

Eine solche Medienkritik spricht ein zentrales Qualitätskriterium des Journalismus an, nämlich die «Ausgewogenheit». Natürlich ist das Pochen auf die «Ausgewogenheit» legitim. Um aber in der Debatte weiterzukommen, sollten drei Punkte beachtet werden.

  1. Erstens muss klar werden, auf welche Aspekte sich die «Ausgewogenheit» bezieht. Denn ausgewogen sollen ja nicht nur die verschiedenen Akteure und Argumente Eingang in die Medien finden, sondern auch die Themen, worüber man überhaupt spricht. Denn eine Medienagenda, bei der einige wenige Themen dominieren, nutzt gerade denjenigen Parteien, die solche Themen immer wieder bewirtschaften und damit «besitzen», d.h. mit ihnen am stärksten assoziiert werden und bei ihnen als besonders kompetent und glaubwürdig wahrgenommen werden. Umgekehrt kann sich eine Partei kaum ein sichtbares Profil verschaffen, wenn nicht einmal über ihre Themen gesprochen wird.
  2. Zweitens ist eine simple Messung der Ausgewogenheit nach dem Tröpfchenzähler-Prinzip nicht wirklich aussagekräftig, wenn sie nicht mit anderen Fällen verglichen und daher nicht erklärt werden kann. Eine vermeintlich unausgewogene Berichterstattung kann sich ja aus ganz verschiedenen Gründen ergeben – zum Beispiel aus der Nachrichtenlage selbst oder aus der Tatsache, dass ein Lager deutlich grösser und breiter abgestützt ist als das gegnerische Lager. Damit muss die Berichterstattung jeweils auch anders bewertet werden (das zeigt die einschlägige Forschung).
  3. Drittens ist eine Ausgewogenheit als Selbstzweck nicht zielführend. Denn Ziel des Journalismus ist es ja, zu einer vernünftigen Debatte beizutragen, bei der sich die besten Argumente durchsetzen können. Das heisst: Ein wichtiges Qualitätskriterium sind gerade die Einordnungsleistungen, also der «interpretative Journalismus», der auf der Grundlage von Fakten und sachlich vorgebrachten Argumenten bewertet und gewichtet. Wenn ein Akteur keine guten Argumente hat, gibt es keinen guten Grund, ihm permanent gleich viel Gehör zu schenken wie denjenigen vielen Akteure, die gute Gründe in die Debatte einspeisen. In dem Fall wäre eine oberflächlich scheinende «Unausgewogenheit» sogar sehr vernünftig.

Zu diesen drei Punkten werde ich jeweils ein paar empirische Ergebnisse aus dem «Abstimmungsmonitor» präsentieren, den das Forschungsinstitut Öffentlichkeit und Gesellschaft seit Anfang 2013 bei allen Abstimmungsterminen veröffentlicht und der Analysen zur Medienberichterstattung über diese Vorlagen umfasst. Die detaillierten Befunde können in den verschiedenen Berichten nachgelesen werden.

1. Ausgewogenheit von Akteuren und von Themen
Unsere Abstimmungsanalyse zur Durchsetzungsinitiative zeigt, dass rund 59% aller in der Berichterstattung gemessenen Aussagen von Akteuren die Vorlage kritisieren, während positive Stellungnahmen 23% erzielen und kontroverse/neutrale Stellungnahmen 18%. Auf den ersten Blick also ein klarer Fall: «unausgewogen»! Doch der Anteil an Pro- und Kontra-Akteuren ist nur ein Aspekt von Ausgewogenheit. Ein anderer Aspekt ist die Ausgewogenheit von Themen. Und hier zeigen die Ergebnisse des Abstimmungsmonitors (seit 2013) grosse Unterschiede, welche Abstimmungsvorlagen überhaupt Medienresonanz erzielen und welche eher nicht. Am meisten Aufmerksamkeit von allen erhält die SVP-Initiative «gegen Masseneinwanderung». Die Spekulationsstopp-Initiative der Juso beispielsweise erhält rund viermal weniger Aufmerksamkeit als die 1:12-Initiative der Juso und rund fünfmal weniger als die DSI der SVP, und die Erbschaftssteuer-Initiative der SP findet nur etwa halb so viel Medienresonanz wie die Ecopop-Initiative.

Immer stärker schält sich also folgendes Muster heraus: Vorlagen, die sich als «Volk-Elite-Konflikte» bewirtschaften lassen können und die von Kampagnenakteuren (Pro oder Kontra, am besten beide) heftig beworben werden, gehen mit höherer Medienresonanz einher. Weil das Sprechen über eine Vorlage immer auch bedeutet, dass das Kernanliegen der Initianten (oder Referenden) mittransportiert wird und allen signalisiert, dass es sich um ein «wichtiges» Thema handelt, profitieren solche Akteure auf jeden Fall von starker Medienresonanz, auch wenn sie zuweilen heftige Kritik einstecken müssen. Denn sie können sich als eigentliche «Themensetzer» behaupten, auf die andere Akteure reagieren müssen.

Empirisch betrachtet, zeigt also auch die Medienberichterstattung über Abstimmungsvorlagen im allgemeinen und über die DSI im speziellen, dass sich die öffentliche Kommunikation im wesentlichen um die Themen und Vorstösse der SVP dreht und in diesem Sinn «unausgewogen» ist. Einige Medien mögen dies zwar erkannt haben und sich wie SRF-Chefredaktor Tristan Brenn die Frage stellen, ob «die exzessive Auseinandersetzung mit den Themen der SVP ihre legitime publizistische Berechtigung hat». Auf jeden Fall haben die Medien mit ihrer sehr intensiven Berichterstattung über die DSI nichts an diesem Muster geändert.

2. Ausgewogenheit im Vergleich
Eine oberflächliche Betrachtung von Pro- und Kontra-Stimmen ist zweitens deshalb eine verkürzte Sicht auf Medienleistungen, weil eine gewisse Ungleichverteilung normal ist und gut erklärt werden kann. Dies zeigt der Vergleich von Abstimmungsvorlagen. Nach unseren Ergebnissen ist bislang kaum eine Vorlage, die wir untersucht haben, in der Summe mit exakt gleich hohen Anteilen von «Pro»- und «Kontra»-Stimmen dargestellt worden. Und, das ist der Punkt, der Überhang an Kritik an den Vorlagen betrifft praktisch alle Akteure von links über Mitte bis rechts. Auch die Familieninitiative der CVP (März 2015) (41% positiv), die Energie-Initiative der Grünliberalen (März 2015) (35% positiv) oder die Erbschaftssteuer-Initiative der SP (Mai 2014) (29% positiv) stossen medial auf breite Ablehnung und der Anteil an «Kontra»-Stimmen überwiegt den Anteil der «Pro»-Stimmen deutlich. Sind die Medien damit Anti-SVP, Anti-CVP, Anti-GLP und Anti-SP? Die Resonanz für kritische Stimmen gegenüber der DSI ist zwar tatsächlich ausgeprägt, sowohl im Verhältnis als auch im Volumen in etwa vergleichbar mit der Kritik an der Ecopop-Initiative vom November 2014, und stärker als bei vielen Vorlagen. Doch dies hat seine Gründe.

Denn die Tonalität der Medienberichterstattung reflektiert immer auch das Spektrum an Akteuren, das sich für oder gegen eine Vorlage positioniert. Bei der DSI gibt es abgesehen von der SVP und der punktuellen Intervention von Gewerbeverbands-Direktor Hans-Ulrich Bigler schlicht keine Akteursgruppe, die sich für die Initiative einsetzt. Ganz im Gegenteil: Vormals relativ unbekannte oder neu gegründete Organisationen und Strukturen wie etwa die «Operation Libero» oder der «Dringende Aufruf» treten vehement an die Öffentlichkeit und schaffen es, innert kurzer Zeit ein grosses Netzwerk an Unterstützern aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen zu mobilisieren und mittels Crowdfunding eine beachtliche Summe an Spendengeldern für das Führen einer Kampagne gegen die DSI zu generieren. Dieser Konflikt «alle gegen SVP», wie er sich eben auch in den offiziellen Parteiparolen und im konkreten Abstimmungskampf zeigt, schlägt sich entsprechend in den Medieninhalten nieder.

Am Beispiel der DSI wird ebenfalls deutlich, dass gerade die Positionierung und Argumentationsstrategien der bürgerlichen Parteien die Medieninhalte prägen. Dies zeigt auch der Vergleich mit der Berichterstattung über die Ausschaffungs-Initiative (ASI) von 2010 (wir hatten diese vor ein paar Jahren ebenfalls analysiert). Während bei der DSI die FDP sich mit klaren Worten gegen die Initiative positioniert und in den Medien zur resonanzstärkste Gegen-Partei wird, wirft sie sich bei der ASI 2010 nur halbherzig in den Abstimmungskampf und wird nicht überraschend resonanzmässig vom Konflikt innerhalb der SP (Streit um den Gegenvorschlag) übertroffen.

Dazu passt, dass damals bei der ASI die FDP primär defensive Argumente verwendet, wonach die ASI nicht umsetzbar sei oder nicht einmal zur Ausschaffung von ausländischen «Rasern» führe. Damit rückt sie nolens volens das Hauptproblem «kriminelle Ausländer» ins Zentrum, das primär von der SVP bewirtschaftet wird. Grundrecht-Argumente, die auf die Unverhältnismässigkeit von Strafen bei «Bagatelldelikten» oder die auf die illegitime «doppelte» Bestrafung von Ausländern (Stichwort «Zweiklassenjustiz») verweisen, findet man damals bei der ASI in der Medienberichterstattung von der FDP kaum. Dies ist bei der DSI nun bekanntlich anders. Auch die FDP positioniert sich klar als Gegnerin der Vorlage.

Politische Akteure und ihre Positionierungen bestimmen in der Summe die Tonalität und stehen oftmals im Einklang damit, wie die Medien eine Vorlage selbst kommentieren. Bezeichnenderweise verhalten sich die Medien bei der DSI sehr ähnlich wie bei vielen anderen Vorlagen. Typischerweise sind nämlich die expliziten Kommentare und Leitartikel in einer ähnlichen Tonalität wie die Summe der stärker deskriptiven Nachrichtenartikel und wie die Gastbeiträge und Interviews, die den verschiedenen Kampagnenakteuren eingeräumt werden. Kurz: Ist die Mehrheit der Akteure (Parteien, Verbänden, Vereinen etc.) gegen eine Vorlage, zeigt sich das in den Medienberichten und sind die Medien auch in ihren Kommentaren kritisch.

3. Einordnungsleistungen
Die Medien schenken also bei der DSI dem sehr breiten Spektrum an verschiedenen Akteuren Resonanz, die sich allesamt klar gegen die DSI positionieren. Und mit der Vielzahl von Berichten nehmen die Medien wichtige Einordnungsleistungen vor und erklären beispielsweise die Aussagekraft von Kriminal-Statistiken, die Definition von «Sozialhilfemissbrauch» in der DSI oder die Ausschaffungspraxis in anderen Ländern. Dabei thematisieren die Medien viel stärker als noch bei der ASI 2010 die rechtsstaatlichen Argumente und ordnen diese ein. Und dies hat auch gute Gründe. Während Juristen sich bei der ASI 2010 noch zitieren lassen, dass die ASI bei aller Kritik noch nicht automatisch den Rechtsstaat untergrabe, da ja das Parlament in einem Umsetzungsgesetz noch für die Verhältnismässigkeit sorgen werde, begründen Juristen bei der DSI ihre Position nun konsequent so, dass diese Verhältnismässigkeit mit der DSI nun eben nicht mehr gegeben sei. Dass die Medien eine solche folgenreiche Änderung nun breit thematisieren und mit guten Gründen keinen «Eunuchen-Journalismus» betreiben, sondern Stellung beziehen, ist also folgerichtig und vernünftig.

Insgesamt lässt sich aber festhalten, dass die Medien nicht einmal zu viele Einordnungen vorgenommen haben, sondern sogar zu wenige. Dies erkennt man daran, dass mehrere Medien eine wahre Vorliebe für das Zuspitzen von Konflikten pflegen, statt Argumente nüchtern einzuordnen. Der Fokus auf den partei-internen Konflikt in der SVP ist ein solches Beispiel (Äusserungen von SVP-Nationalrat und Rechtsprofessor Vogt zu Ausnahmeregelungen für Secondos). Doch solche «Dramatisierungen» lassen sich bei vielen anderen Abstimmungsvorlagen beobachten – denken wir an den medial zugespitzten Konflikt innerhalb der CVP um die «Heiratsstrafe», innerhalb der SP um das RTVG (Bsp. Resonanz für SP-Ständerätin Anita Fetz) oder innerhalb der Grünen Partei um die Initiative «gegen Masseneinwanderung».

Ebenfalls zeigt sich auch in der Medienberichterstattung über die DSI, wie stark die Medien selbst die «Kampagne» (und sich selbst) beobachten und diese selbst zum Thema machen, auch bekannt als «horse race»-Journalismus. Dabei geht es weniger um Einordnung, sondern primär darum, wer wann wie gewinnt oder verliert.

Dass nun zwei Organisationen in kurzer Zeit eine schlagkräftige und zuweilen provokative, emotionale Kampagne aufbauen können, ist für die Medien höchst attraktiv. So lässt sich erklären, dass die «neuartige» Gegen-Kampagne selbst rasch zum Thema wird, was wiederum rasch zu einer Art «Konflikt- und Mobilisierungsspirale» führt. Aber auch hier verhalten sich die Medien ähnlich wie bei früheren Abstimmungen. Üblicherweise löst die SVP mit ihren immer wieder überraschenden, provokativen (und kostspieligen) Kampagnen breite Medienresonanz aus – von den Schäfchenplakaten im Wahlkampf (2007) über das Minarett-Plakat (2009) und den Plakaten mit dem «Vergewaltiger Ivan S.» bei der ASI (2010) hin zum YouTube-Wahlkampfvideo (2015), um nur die bekanntesten Beispiele zu nennen.

«Paid media» in Form von politischer Werbung der SVP führt dann gleichsam zu «Gratis»-Werbung für die SVP in der regulären Medienberichterstattung – das stellen wir in unseren Studien immer wieder fest. Für einmal also sind die Vorzeichen umgekehrt und die Gegen-Kampagne profitiert vom Neuigkeits- und Nachrichtenwert. In diesem Sinne ist auch Patrik Müller von der «Schweiz am Sonntag» zuzustimmen, der festhält: «In den Medien, von Online über Zeitungen bis zum Staats-TV, wurde kaum je eine Initiative so ausführlich und vielschichtig abgehandelt – auch weil sie Klicks und Quote brachte.»

Fazit
Ja, der Anteil der Kontra-Stimmen dominierte die Berichterstattung über die DSI. Wenn man das aber «unausgewogen» nennen möchte, dann müsste man konsequenterweise auch die seit Jahren beobachtete Fixierung der Medien auf SVP-Themen als «unausgewogen» bezeichnen. Zudem liegt das Übergewicht von Kontra-Stimmen in den Medien auch daran, dass sich neben der SVP kaum jemand für die Initiative einsetzt und dass sehr viele Akteure sehr viele gute Gründe und fachlich fundierte Argumente gegen die DSI einspeisen, auch im Vergleich zur ASI.

Und schliesslich gilt es nicht zu vergessen: trotz aller Kritik an der DSI stösst die Problematisierung des Fremden auf Akzeptanz. Wie anders sollte man deuten, dass ein Grossteil der DSI-Gegner argumentiert, die Umsetzung der angenommenen Ausschaffungsinitative erfordere ein «pfefferscharfes» Gesetz gegen «kriminelle Ausländer», um das «Problem» ernsthaft zu bekämpfen?

Aufbauend auf dieser Akzeptanz, so ist zu vermuten, werden auch weitere Kampagnen und Abstimmungs-Erfolge primär der SVP möglich sein, zumal die SVP über das grösste Kampagnenbudget verfügt und sich bisher als sehr geschickt im Politmarketing erwiesen hat. Der Neuigkeitswert für die Gegner der DSI schliesslich wird bei den nächsten Abstimmungen wohl nicht mehr so hoch sein, ausser die Gegner der SVP betreiben eine noch provokativere und emotionalere Kampagne, als es die SVP üblicherweise tut. Die Medien werden weiterhin gefordert sein, vor allem die Sachfragen und Argumente nüchtern zu diskutieren, als den lautesten und spektakulärsten Kampagnen Resonanz zu schenken.