Um Aufklärung wird gebeten
Es ist die Aufgabe des Journalismus, in Dunkelkammern zu leuchten, Mächtigen und Einflussreichen auf die Finger zu schauen. Aber ein paar Standards sollten schon eingehalten werden. Offene Fragen zu den «Panama Papers», Teil 2.
Der isländische Premierminister ist halbwegs zurückgetreten, nachdem im Zusammenhang mit den «Panama Papers» sein Name auftauchte. Der «Tages-Anzeiger» titelte: «Der Erste ist gefallen.» Manchmal, wie hier, schimmert in einer Formulierung die Geisteshaltung durch. Es handelt sich also um eine Hetzjagd, bei der es darum geht, möglichst viele zu erledigen, zu Fall zu bringen, abzuschiessen. Das ist nicht die einzige Fragwürdigkeit.
Zitieren wir Ziffer 3, Satz 1 der Erklärung der Pflichten der Journalistinnen und Journalisten, dem sich auch die «SonntagsZeitung» und der «Tages-Anzeiger», Mitglieder des Medienverbundes, der die «Panama Papiere» bewirtschaftet, verpflichtet haben:
Sie veröffentlichen nur Informationen, Dokumente, Bilder und Töne, deren Quellen ihnen bekannt sind.
Da die gestohlenen Daten von einem anonymen Dieb zugespielt wurden, ist das ein eklatanter Verstoss gegen Standesregeln.
Schönfärberisch wird, wie in den vorangehenden Fällen, von einem «Datenleak» gesprochen. Nein, da tropft nichts aus einem Leck und die Journalisten stellen einfach ein Auffanggefäss drunter. Es handelt sich um ein Verbrechen, einen Diebstahl, einen Straftatbestand, der mit Gefängnis sanktioniert wird. In Panama, in der Schweiz, weltweit. Und wer Diebesgut verwendet, unwissentlich oder wie in diesem Fall wissentlich, ist ein Hehler und muss ebenfalls bestraft werden. Sonst wird der Rechtsstaat ausgehebelt, das einzige Bollwerk gegen Barbarei und Willkür.
Ein Blick in das geltende Schweizer Strafgesetzbuch genügt, Art. 143.1: «Wer in der Absicht, sich oder einen andern unrechtmässig zu bereichern, sich oder einem andern elektronisch oder in vergleichbarer Weise gespeicherte oder übermittelte Daten beschafft, die nicht für ihn bestimmt und gegen seinen unbefugten Zugriff besonders gesichert sind, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.» Eine Bereicherungsabsicht ist bei den publizierenden Organen einwandfrei vorhanden, schliesslich fördern diese Artikel ungemein den Verkauf. Der Datendieb selbst würde zudem nach Art. 143bis bestraft: «Wer auf dem Wege von Datenübertragungseinrichtungen unbefugterweise in ein fremdes, gegen seinen Zugriff besonders gesichertes Datenverarbeitungssystem eindringt, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.» Haben diese Handlungen Auswirkungen im Rechtsstand Schweiz, kämen noch die einschlägigen Gesetze bezüglich Bankkundengeheimnis zur Anwendung.
Der anonyme Datendieb (oder die Organisation), der in den Server der Kanzlei eingebrochen ist, hätte seine Sore auch den zuständigen Strafverfolgungsbehörden zur Verfügung stellen können, wenn es ihm um die Aufdeckung von Verbrechen ginge. Auch Panama ist, im Gegensatz zu vielen Behauptungen in der Presse, keine Bananenrepublik (mehr). Erst im Februar dieses Jahres wurde es vom OECD-Arbeitskreis für Massnahmen zur Bekämpfung der Geldwäsche (GAFI) von einer «grauen Liste» gestrichen, auf denen Länder figurieren, die diesbezüglich Defizite aufweisen. Unglaublich, dass der OECD-Generalsekretär Angel Gurría nun handkehrum Panama beschuldigt, das Land sei «der letzte grosse Verweigerer, der es weiterhin erlaubt, dass Offshore-Fonds vor Steuer- und Strafverfolgungsbehörden versteckt werden». Ein Vorwurf, den Panama umgehend als «respektlos» zurückwies. Wohlweislich richtete Gurría die gleiche Kritik nicht an die USA oder England, die wahren Weltmeister im verborgenen Offshore-Geschäft.
Mossack Fonseca, die Anwaltskanzlei, der diese Daten gestohlen wurden, hat inzwischen Strafanzeige gestellt. «Ein Hackerangriff ist eine Straftat», sagt der Mitbesitzer Ramón Fonseca Mora völlig richtig, «ein schweres Verbrechen, das mit Gefängnis bestraft wird.» Er fügt hinzu: «Bislang war man solange unschuldig, bis die Schuld bewiesen war. Heute leben wir in einer Welt, in der man solange schuldig ist, bis man das Gegenteil beweisen kann. Das gefällt mir überhaupt nicht.» Das kann niemandem gefallen, der nicht bereit ist, rechtsstaatliche Grundsätze über Bord zu werfen.
Der panamaischen Anwaltskanzlei wurde in ihrer 40-jährigen Existenz noch nie eine Straftat nachgewiesen, sie wurde nicht einmal angeklagt. Daher turnen die internationalen Medien auch um den Begriff «kriminell» herum, denn selbst im modernen Journalismus sind die Gazetten nicht gegendarstellungs- und haftungsfrei. Aber stilbildend geht der «Tages-Anzeiger» soweit an die Grenze, wie es der Hausjurist gerade noch zulässt: «Das Sündenregister der Kanzlei», titelt er, und fährt im Lead fort: «Kriegstreiber, Terroristen, Drogenbarone. Sie alle konnten auf die Dienste der Kanzlei zählen.» Die Wahrheit ist: Es ist möglich, dass Verbrecher von der Kanzlei hergestellte Finanzvehikel benützten und die Zwischenhändler, an die sie verkauft wurden, ihrer Sorgfaltspflicht nicht nachgingen. Was noch strafrechtlich zu beweisen wäre. Aus dem Artikel geht dann hervor, dass die Kanzlei jeweils, wenn ihr das bekannt wurde, die nötigen Massnahmen ergriff. Aber wieso soll man sich von der Wahrheit eine knackige Schlagzeile kaputt machen lassen.
Eine weitere Fragwürdigkeit bei der Publikation ausgewählter Fälle aus dem Datenmeer von über 11 Millionen Dateien: Rund 400 Journalisten weltweit sollen Zugang zu diesen Informationen haben. Sie hüten sie wie einen Schatz und haben sie bislang nicht an die allenfalls zuständigen Strafverfolgungsbehörden übergeben. Nach welchen Kriterien wird entschieden, welche Benützer an die Öffentlichkeit gezerrt werden? Und welche nicht? Intransparenz unter dem Banner, hier Transparenz in einer Dunkelkammer schaffen zu wollen.
Und ausserdem: Wer bietet Gewähr dafür, dass einer der vielen Journalisten mit Zugang zu den gestohlenen Daten nicht auf die naheliegende Idee kommt, ein vermögendes Individuum, dessen Privatsphäre hier verletzt wurde, anzurufen. Um ihm ein Angebot zu machen, das der Betroffene nicht ablehnen kann. Man könne von einer Veröffentlichung absehen, seine Daten könnten im riesigen Meer einfach untergehen. Der damit vermiedene Schaden an Reputation oder gar an Strafzahlungen stellt unbezweifelbar einen Wert dar. Wie wäre es mit einer entsprechenden Überweisung auf das Konto der Briefkastenfirma, die der Journalist extra zu diesem Zweck eröffnet hat? Nein, nicht bei Mossack Fonseca, sondern in Delaware, denn der Journalist ist ja nicht blöd.
Auch die Arbeit von Strafverfolgungsbehörden ist nicht über jeden Zweifel erhaben. Aber sind wir wirklich im Sinne der Aufklärung und der Anwendung der Macht der Vierten Gewalt einen Schritt weiter, wenn sich Journalisten unter Verwendung von Diebesgut, das ihnen von einer anonymen Quelle zugespielt wurde, zu Anklägern und Richtern in einer Person aufspielen, die nach völlig intransparenten Kriterien entscheiden, welche Betroffene an den öffentlichen Pranger gestellt werden? Nur ein Prinzip ist bislang erkennbar: Erregungsbewirtschaftung.
Und welch ein Trauerspiel bietet mal wieder die Reaktion der überwältigenden Mehrheit der Wirtschaftsjournalisten. So schreibt immerhin «Spiegel Online»: «Es mag Menschen geben, die ihr ehrlich verdientes Geld über eine Briefkastenfirma im fernen Panama laufen lassen. Es fällt einem allerdings kaum ein Grund ein, warum sie das tun sollten.» Die «Kernzielgruppe» seien «Steuerbetrüger und Geldwäscher, korrupte Diktatoren und bestechliche Beamte, Drogenhändler, Waffenschieber, Mafiosi und Terroristen.» Welch ein inkompetenter Unfug. Die Kernzielgruppe sind in Wirklichkeit alle international tätigen Firmen der Welt und auch vermögende Individuen, die ein juristisches Gefäss brauchen, um rechtsraumüberschreitende Aktivitäten administrieren zu können. Mit solchem Unsinn verspielt die versammelte Wirtschaftspresse die letzten Reste ihrer Reputation. Nach der alten Devise: Ist der Ruf erst ruiniert, lebt sich’s ungeniert.
Markus Berger 11. April 2016, 13:39
Ein grosses Lob an René Zeyer, der differenziert, fundiert und gleichzeitig sehr engagiert die Panama-Hetzjagd und die Geisteshaltung gewisser Medienschaffender offenlegt. Sollte Pflichtlektüre für alle angehenden Journalisten sein.