Der berufene Monsieur Marchand
Praktisch ohne Nebengeräusche und mediale Begleitmusik ging die Wahl von Gilles Marchand zum nächsten SRG-Generaldirektor über die Bühne. Ist dies das Ergebnis eines intransparenten Vorgangs oder ein Zeichen von Stärke, wenn die SRG ihren Wunschkandidaten reibungslos installieren kann?
Nach einem einzigen Artikel war die Sache gelaufen. Anfang Oktober wusste die NZZ am Sonntag zu berichten, dass Roger de Weck als SRG-Generaldirektor per Oktober 2017 zurücktreten und sein Nachfolger Gilles Marchand heissen würde. Nur einen Monat später war der Neue gewählt. Die Berichterstattung rund um die Neubesetzung der SRG-Spitze war so dünn und dürftig wie kaum je zuvor. Ob vor sechs Jahren anlässlich der Wahl von Amtsinhaber de Weck, aber auch bei seinen Vorgängern Armin Walpen und Antonio Riva vor zwanzig, respektive 29 Jahren – immer wurde die Top-Personalie der SRG von einem lauten Medienchor begleitet. Alle wussten sie, wer die passende Persönlichkeit für den Posten wäre. Doch die Favoriten der Zeitungen blieben allesamt auf der Strecke. Am Ende obsiegte immer ein anderer, sei es Mister X alias Roger de Weck oder ein Kandidat aus der zweite Reihe, wie sein Vorgänger Armin Walpen.
Dass die Wahl diesmal praktisch unbeobachtet verlief, überrascht einigermassen. Kein anderes Medienunternehmen steht so stark unter Beobachtung wie die SRG. Dennoch schafften es deren Leitungsgremien die Top-Personalie bis praktisch im letzten Moment geheim zu halten. Dabei stand der geplante Wechsel von de Weck zu Marchand bereits seit 2014 auf der Traktandenliste des Verwaltungsrats. Das Szenario hiess nahtloser Übergang mit einer internen Lösung. Marchand amtet bereits heute als Vize von Roger der Weck. Die beiden sind ein gut eingespieltes Gespann. Vor öffentlichen Auftritten sprechen sie sich ab, sie unterstützten einander aktiv. Marchand brachte zudem profundes Fernsehfachwissen mit, das de Weck als gewesenem Zeitungsmann fehlte. Selbst intern sei nur Marchand zur Diskussion gestanden, erinnern sich Insider. Damit war die Bahn frei für eine Berufung.
Genau das monieren nun kritische Kommentare in der Presse. Eine «Farce» nennt etwa «24 Heures» die Wahl. Roger Köppel widmet dem Vorgang ein ganzes Editorial, und zeiht die SRG einer «unschweizerische Arroganz», weil sie Marchand in einer «Blitzgeburt» installiert habe. Ähnlich tönt es aus der Sonntagszeitung. Marchand sei «ein Eigengewächs, das es fast über Nacht ganz nach oben schaffte – ohne Ausschreibung.» An Marchands Berufung ist formal nichts auszusetzen. Dem Verwaltungsrat der SRG als Leitungsorgan eines privatrechtlich organisierten Unternehmens steht es frei, wie er den Auswahlprozess gestaltet. Was die Medien viel mehr zu stören scheint: Sie haben es diesmal schlicht verschlafen, das Thema rechtzeitig aufzugreifen und ihre Favoriten in Stellung zu bringen. Und als sie es merkten, war es schon zu spät. Anders als bei früheren Wahlen, als der SRG die Kontrolle über das Nominationsprozedere zu entgleiten drohte, konnte sie diesmal ihren Plan ungestört durchziehen. Zur «Farce» verkommen wäre das Verfahren hingegen dann, wenn trotz frühzeitiger Festlegung des Verwaltungsrats auf Marchand der Kandidatenkreis geöffnet worden wäre, nur um der Öffentlichkeit gegenüber den Anschein eines Auswahlverfahrens zu erwecken.
Natürlich kann man sich post festum fragen, ob eine medienöffentliche Debatte zur Nachfolge Roger de Wecks einen diskursiven Mehrwert gebracht hätte. Die Erfahrungen aus der Vergangenheit geben dazu wenig Anlass. Vor der Generaldirektorenwahl 1996 kursierten um die zwanzig Namen als mögliche Nachfolger von Antonio Riva. Den Genannten gereichte das oft zum Nachteil. «Vor das Publikum gezerrt, wurden sie angreifbar und verschwanden häufig schnell wieder in der Versenkung», hielt damals der Medienjournalist Christian Mensch als irritierter Beobachter fest. Oft wurden die Figuren von den politischen Parteien aufs Parkett geschoben. Dass das diesmal so nicht geschah, ist sicher ein Vorteil für Marchand, dem keine Nähe zu irgendeiner Partei nachgesagt oder unterstellt wird.
Auch wenn für die SRG alles nach Plan lief, bleiben Fragen und Kritik, die zum Teil auch intern geäussert wurden, auf die Wahl von Gilles Marchand aber keinen Einfluss hatten:
- Gab es wirklich keine anderen valablen Kandidatinnen und Kandidaten für den Spitzenposten der SRG? Um die Frage beantworten zu können, muss man das Stellenprofil kennen. Wenn die SRG die Weichen auf grösstmögliche Kontinuität gestellt hat, dann drängte sich eine interne Lösung auf. Und wenn nach einem Ex-Beamten (Armin Walpen) und einem Journalisten (Roger de Weck) nun jemand mit langjähriger Kaderkarriere in öffentlichen und privaten Medien an die Spitze der SRG kommt, dann steht die erforderliche Fach- und Führungskompetenz schon einmal ausser Zweifel. Ein anderer Name, den die Medien vermutlich noch ins Spiel gebracht hätten, wäre jener von Ingrid Deltenre gewesen. Als ehemalige Deutschschweizer Fernsehdirektorin und amtierende Generaldirektorin der European Broadcasting Union EBU, wäre sie für den Posten auch bestens qualifiziert. Doch Deltenre signalisierte in der Vergangenheit bereits mehrfach, dass sie lieber auf dem europäischen Parkett agiere.
- An Deltenre oder weitere Namen haben wohl auch jene SRG-Delegierten gedacht, die bei der Bestätigung der Wahl die Berufung Marchands kritisierten und lieber ein Auswahlverfahren gesehen hätten. Diese Kritik war aber nicht mehrheitsfähig, die Delegiertenversammlung genehmigte die Wahl des neuen Generaldirektors schliesslich einstimmig.
- Für kritische Fragen in den SRG-Gremien sorgte zudem die lange Übergangsfrist zwischen der Wahl Marchands und seinem Amtsantritt. Offiziell heisst es, man benötige die Zeit für die Wahl eines Nachfolger Marchands auf seinem aktuellen Posten in der Romandie. Ausserdem müsse Marchand in dieser Zeit noch sein Deutsch aufpolieren. Was auch immer die wahren Gründe für das gewählte Vorgehen gewesen sein mögen, so birgt es doch ein gewisses Risiko. Das weiss man nur zu gut bei der SRG. In der Sportabteilung des Deutschschweizer Fernsehens SRF überwarfen sich der neue mit dem abtretenden Chef, so dass der Amtsinhaber die Leitung früher abgab als geplant.