von Carmen Epp

Lokaljournalismus: Wenn UFOs über die Provinz fliegen

Hin und wieder wagen sich Journalisten aus den Grossstädten als Lokalreporter aufs Land. Das Resultat ist dann meist Fremdscham – auf beiden Seiten. Und die Erkenntnis, dass Lokaljournalismus aus der Ferne nicht funktionieren kann.

Als Jochen Wegner in seiner Keynote am «Journalismustag» in Winterthur eines seiner «Experimente für die Demokratie» vorstellte, wurde ich hellhörig: Inspiriert von der Erkenntnis amerikanischer Journalisten, dass sie im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen die ländlichen Regionen zu wenig berücksichtigt hatten, rief der zeit.de-Chef das Ressort #D171 ins Leben. Vor den Bundestagswahlen wollte man der Frage nachgehen, was die Leute in den kleinen Orten bewegt, die notabene 60 Prozent der Deutschen Bevölkerung ausmachen.

Dafür sandte Wegner wohlweislich nicht x-beliebige Journalisten in x-beliebige Regionen. Er habe verhindern wollen, dass die zeit.de-Reporter «wie UFOs ins Lokale vordringen» und nicht umhin können, die Dorfbevölkerung aus dieser unüberbrückbaren Distanz wie Aliens zu beschreiben. Genau das war nämlich seiner Heimatstadt Bretten widerfahren: Ein ortsunkundiger Journalist hatte sich in einer Reportage über den dort allgegenwärtigen Mops lustig gemacht, ohne zu wissen, welche Bedeutung das «Hundle» der Sage nach für den Ort hat. Um solche peinlichen Fernreportagen zu vermeiden, schickte Wegner zuerst seine Reporter in deren Heimat zurück, an Orte also, die sie verstehen. Entstanden sind so eine Reihe an Lokalreportagen, die zu den meist gelesenen Geschichten auf zeit.de wurden.

Auch hierzulande werden immer mal wieder Reporter aus der Grossstadt angehalten, übers Land zu berichten. Was daraus entsteht, sind meist Texte, die weniger das Lokale widerspiegeln als die Haltung des Schreibenden gegenüber der beschriebenen Region.

Von Wegners Erkenntnis könnten sich auch Schweizer Medienhäuser eine Scheibe abschneiden. Auch hierzulande werden immer mal wieder Reporter aus der Grossstadt angehalten, übers Land zu berichten. Was daraus entsteht, sind meist Texte, die weniger das Lokale widerspiegeln als die Haltung des Schreibenden gegenüber der beschriebenen Region.

Dass selten Erhellendes dabei herauskommt, wenn Reporter aus der Grossstadt aufs Land geschickt werden, zeigt etwa dieses Beispiel einer «Lokalreportage aus der Ferne»: Aufgeschreckt durch mein Interview mit dem Urner Kripo-Chef über die leicht zugänglichen Drogen im Kanton Uri, machte sich eine «Watson»-Journalistin auf den Weg ins «kiffertolerante» Altdorf, um sich ein eigenes Bild zu machen. Obwohl sie sich zu Beginn des Textes selber dabei ertappt, «dem naserümpfenden Zürcher Klischee zu entsprechen», bleibt sie bis zuletzt in dieser Rolle gefangen. So schreibt sie etwa über die «wohltuende Bergluft», obwohl Altdorf gerade mal 50 Meter höher liegt als die Stadt Zürich. Und wundert sich darüber, wie ausgestorben das Dorf ist, ohne zu wissen, dass sie den Dorfkern auf ihrem Spaziergang verfehlt hat, weshalb sie auch nur auf ein einziges geöffnetes Restaurant traf.

Hier muss ich mich fairerweise auch selber an der Nase nehmen. die Journalistin hatte mich im Vorfeld ihres Besuchs in Altdorf kontaktiert, um weitere Infos zu erhalten, da ich die fraglichen Lokale im Interview nicht namentlich genannt hatte. Da ich ebenfalls eine Folgegeschichte plante, lehnte ich den Austausch ab und liess die Kollegin im Ungewissen. Ob ihr Text weniger klischiert geworden wäre, wenn ich ihr geholfen hätte, wage ich allerdings zu bezweifeln.

Das Lokale, so meine Überzeugung, lässt sich nicht aus der Ferne erklären, sondern von Leuten vor Ort, die einen Bezug haben zu dem, worüber sie schreiben. Der Erfolg der #D17-Texte auf zeit.de zeigen das eindrücklich auf. Oder aber die Reporter nehmen sich genug Zeit, um sich einzuarbeiten, ja einzuleben in dieser für sie fremden Welt. Nur so kann der Aussenblick mehr werden als eine Begegnung zwischen UFOs und Aliens.

Anmerkung: In einer ersten Fassung wurde als Beispiel eines Lokalreporters, der ohne lokale Verankerung aus der Ferne operiert, Tages-Anzeiger-Journalist Michael Soukup genannt. Das gewählte Beispiel ist untauglich, um den Sachverhalt zu illustrieren. Soukup ist in der Zentralschweiz aufgewachsen, über die er auch heute noch regelmässig berichtet. Die Autorin und die Redaktion entschuldigen sich für den Fehler.

Leserbeiträge

Charles Martin 14. November 2017, 16:20

Herzlichen Dank für die ehrlichen Worte über den Geist des Lokalen und der dortigen Berichterstatter. Tatsächlich wird in den Stadtredaktionen oft über das Ländliche und vor allem über die kleinen unbedarften Landredaktoren gelächelt, um es mal sanft auszudrücken. Tatsache ist aber, dass die „Lokalen“ oft sehr engagierte Journalisten in einem Netz der Informanten und Informationen sind, die oft schwierige Themen aufgreifen und dabei sehr differenziert schreiben können – sofern sie ihren Job auch ernst nehmen und ihre Aufgabe als wichtigen Beitrag zur zeitgenössischen Bildung und Kultur verstehen (können). Aufwertung wäre hier gefragt, und mal abgesehen von der Zentrumsbedeutung, welche die grossen Blätter in den grossen Städten zweifellos (noch) haben, die Überheblichkeit steht den Städtern nicht wirklich gut. Die Lokaljournalisten haben ein riesiges Feld, fast so gross wie eine kleine Welt, das es zu entdecken und zu beackern gilt. Die Themen sind ähnlich spannend, wie die der kleinen grossen Welt, und sie sind oft viel bedeutender für eine Gesellschaft, eine Region, ein Land als gemeinhin erkannt wird, auch für die grossen Zeitungen. Vielleicht ist es an der Zeit, die Ignoranz und das Lächeln zu vermeiden und endlich vom hohen Ross, dem gläsernen, demütig und verwundernd neugierig herabzusteigen und sich mal im realen und überaus nahen Leben umzusehen, meine Damen und Herren Städte-JournalistInnen.

P.S. Schade, dass diese recht ansprechende „Ufo“-Kolumne nicht von einem Korrektor gelesen und entsprechend korrigiert worden ist: Heisst es nun #D17 oder #D171? Mal abgesehen vom ganzen Satz im letzten Abschnitt: Der Erfolg der #D17-Texte auf zeit.de zeigen das eindrücklich auf. Hier ist es der Erfolg, der das vorangehend Beschriebene aufzeigt – es sind nicht die Texte die den Erfolg aufzeigen. Aber das ist nun wirklich eine verschwindend kleine Unpässlichkeit – alles andere: Bravo!