DOSSIER mit 485 Beiträgen

Medienethik

«Die Opferrolle steht mir nicht, ich will sie nicht.»

Am Reporterforum vom vergangenen Samstag in Zürich hielt Jolanda Spiess-Hegglin die Eröffnungsrede. Die frühere Zuger Kantonsrätin blickte auf die Zeit seit Ende 2014 zurück, als nach einer mutmasslichen Vergewaltigung die Berichterstattung über den ungeklärten Vorfall ihr Leben nachhaltig prägte und stark veränderte. 2000 Artikel über sie wurden veröffentlicht. «Und wissen Sie, wieviele dieser fast 2000 Artikel aufgrund Akten und Fakten recherchiert waren?», fragte Spiess-Hegglin. «Im Jahr 2015 war es einer.» Und dieser eine wurde damals auf Druck der Gegenpartei gelöscht. Das Gros der Medien hätte sich auch auf sie eingeschossen, weil sie ihr Spiel nicht mitgemacht habe: «Man hätte von mir erwartet, dass ich während einem Interview zusammenbreche. Man hätte mich mit Tränen in den Augen fotografieren wollen. Doch stattdessen war da immer diese Frau, die lächelte. Die stolz bleiben wollte.»

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Wie der SRF-Ombudsmann einen Wutbürger abfertigt

Andere hätten ein solches Schreiben ignoriert oder direkt geklagt. Nicht so Roger Blum, Ombudsmann der Deutschschweizer Programme der SRG. Blum reagierte auf einen wütenden Rundumschlag gegen Radio und Fernsehen, Bundesrätin Doris Leuthard und gegen die Ombudsstelle in der Art, wie er auch andere Beschwerden behandelt. Punkt für Punkt geht er auf die teils wirre Kritik ein, widerlegt den Zensur- und Propaganda-Vorwurf fakten- und quellenreich. Nachdem er die Beschwerde inhaltlich abgearbeitet hat, kommt er zu deren Form. Und hier teilt er dem Beanstander unmissverständlich mit: «Ihre Beanstandung ist in einem Ton verfasst, der inakzeptabel ist und jeglichen Anstand vermissen lässt.» Bei der Staatsanwaltschaft Graubünden hat Blum Strafanzeigeeingereicht, vor allem deshalb, weil der Absender forderte, Bundesrätin Leuthard und ihr Departement seien in ein Konzentrationslager einzuweisen.

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Medien bei Trump in Davos: der Tanz ums goldene Kalb

Die Schweizer Medien sind komplett aus dem Häuschen: Trump besucht das WEF in Davos! Jeder Schritt des US-Präsidenten wird mit Ticker und Stream begleitet. Manche Journalisten verlieren dabei jegliche kritische Distanz und mutieren im Angesicht der Macht zu Trump-Fanboys. Ein Journalist twittert, Trump sehe für sein Alter «bemerkenswert» aus. Angehängt ein unscharfes Bild des US-Präsidenten, Weiterlesen …

Ein Fall, den es so nicht geben sollte

Wann handelt es sich um eine journalistische Recherche, die Machtmissbrauch aufdeckt? Und ab wann ist es Pranger-Journalismus, bei der eine öffentliche Person medial hingerichtet wird? Nina Fargahi zu #MeToo und zum Fall Werner de Schepper. Die Journalistin Michèle Binswanger und ihr Kollege Mario Stäuble haben im «Tages-Anzeiger» schwere Vorwürfe erhoben gegen Werner de Schepper, Ex-Chef Weiterlesen …

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Lawinen-Berichterstattung zwischen Realität und Medienwirklichkeit

Wer derzeit nur oberflächlich die Berichte über die Wetterlage in Wallis verfolgt, könnte schnell den Eindruck gewinnen, dass wir es mit einer Jahrhundertkatastrophe zu tun haben. Zermatt! Eingeschlossen! Luftbrücke! Nur: Mit der Realität hat dieses Bild wenig bis nichts zu tun, wie Helmut Stalder in der NZZ schreibt. «Etliche Medien haben mit den bewährten Mitteln der Dramatisierung, Übertreibung und Selektion eine sekundäre Wirklichkeit der Ereignisse konstruiert, die nicht sehr viel mit der Wirklichkeit zu tun hat, aber viel aussagt über die Wunschvorstellungen in den Redaktionen.» Es ist der Wunsch nach der Katastrophe, die für «zivilisationsverwöhnte Flachländer und Städter» spannender erscheint als die von den Betroffenen völlig unspektakulär erlebte Realität im Umgang mit den Unbilden der Natur.