Streaming, Titelei, Scherbenhaus
The Good – Sport für alle
Die Handballerinnen vom HC Malters haben es schon, die Fussballer vom FC Köniz kriegen es bald. Was bisher den Grossen im Sport vorbehalten war, hält vermehrt auch bei den Kleinen Einzug: Professionelles Streaming und gestochen scharfe Live-Bilder gibt es jetzt auch aus der Dorfturnhalle und aus dem Quartierstadion.
Diese Woche kündigte Ringier an, noch in diesem Jahr verstärkt in die mediale Sichtbarkeit des Amateursports zu investieren. Mit seiner Streaming-Plattform RED springt Ringier auf einen fahrenden Zug auf. Ab dem kommenden Sommer sollen hier sämtliche Spiele der dritt- und vierthöchsten Spielklasse des Schweizer Männerfussballs zu sehen sein.
Bereits aktiv in diesem Feld bewegt sich die Swisscom mit seiner Amateursport-Streamingplattform Asport.tv. Zahlreiche Vereine aus unterschiedlichen Mannschaftssportarten, ob Hornussen oder Handball, haben ihre Spielstätten mit smarten Kameras ausgerüstet, die automatisch das Spielgeschehen verfolgen. Dass nun zwei Anbieter um die gleichen Clubs und Ligen buhlen, kann sich positiv auswirken, da kein Monopolist allein die Preise setzen kann.
Noch besser wäre es aber, wenn die SRG im Sinne eines Service public eine solche Plattform betreiben würden, wie sie das im Musikbereich auch macht mit dem MX3-Portal. Die SRG hingegen träumt weiter davon, für teures Geld wieder die Fussball-Champions-League zu zeigen.
Nick Lüthi
The Bad – Exemplarisch am Titel gescheitert
Journalismus lebt auch von Vereinfachung. Das geschieht zwar auf Kosten der Präzision, aber zum Nutzen des Publikums, das sich nicht durch ein Gestrüpp von Details schlagen muss, sondern einen direkten Weg entlang klarer Begriffe findet. Auf einfache und klare Begriffe setzte am Donnerstag auch die Berner Tamedia-Redaktion von «Bund»/«Berner Zeitung» mit der Titelzeile: «Wie die Jugend zurück ins Leben will».
Nur: Drei (ehemalige) Gymnasiastinnen, die im Text porträtiert werden, sind nicht «Die Jugend» und «zurück ins Leben» kommt man höchstens nach einer Nahtoderfahrung. In der gedruckten Zeitung steht noch die Spitzmarke «Fertig Corona». Das entspricht wenn schon dem Wunschdenken der Redaktion und weniger dem gegenwärtigen Zustand der Pandemie.
Die missratene Titelei überrascht nicht. Zusammengesparte Redaktionen sind gezwungen, Geschichten vermehrt exemplarisch und grundsätzlich zu erzählen, nach dem Motto: Ein einzelner Artikel erklärt ein ganzes Phänomen und erreicht damit ein grösseres Publikum. Wenn aber nur der Titel diesem Anspruch genügt, bleiben enttäuschte und verärgerte Leser:innen zurück.
Nick Lüthi
The Ugly – Das Scherbenhaus an der Werdstrasse
Der Lokalreporter des «Tages-Anzeiger», der vor drei Wochen ein missglücktes Porträt voller antisemitischer Stereotypen produzierte, ist entlassen worden. Der Reporter bat öffentlich um Entschuldigung, die Chefredaktion ebenfalls. Öffentliche Reue ist selten im Journalismus. Das machte Hoffnung: Für ein Umdenken braucht es Einsicht. Doch nach der Entlassung steht der «Tages-Anzeiger» vor einem Scherbenhaufen. Fragen drängen sich auf:
• Wenn das Porträt ein entscheidender Faktor für die Entlassung war: Was sagt das über das Reflexionsniveau zu Antisemitismus in der Chefredaktion aus?
• Hätte der junge Entlassene am Ende bleiben können, wenn er – getreu dem Macho-Journalismus der Älteren – jedes Verfehlen abgestritten hätte?
• Wenn die Entlassung auf Druck des Verlegers infolge eines kritischen Artikels über eine reiche Zürcher Stiftung erfolgte, wie die «Republik» schreibt: Wie können Tamedia-Journalist:innen noch frei schreiben?
• Wenn die Entlassung wegen Formulierungen wie «Perpetuum Mobile, das den Spass des Zürcher Bürgertums finanziert» in Recherchen erfolgte, wie es im Antwortschreiben der «Tages-Anzeiger»-Chefredaktion um Arthur Rutishauser und Mario Stäuble auf den internen Protest heisst: Welcher Stil ritzt für die Chefredaktion denn nicht die Tamedia-Qualitätsrichtlinien? Warum hat der Chefredaktor den Lokalreporter, der mit genau diesem Stil bekannt wurde, überhaupt zum «Tages-Anzeiger» geholt?
• Inwiefern übernimmt der Chefredaktor die Verantwortung für den vermeintlich fehlerhaften Text, wenn er bleibt und der Reporter gehen muss?
Solange diese Fragen das Redaktionsklima prägen, ist die intern geforderte und versprochene Selbstreflexion über Antisemitismus unmöglich.
Benjamin von Wyl