AUF DEM RADAR

Täglich lesen, was die Medien bewegt.
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Von Montag bis Freitag vier aktuelle Lektüretipps aus schweizerischen und internationalen Publikationen zum Medienwandel. Ausgewählt und kommentiert von Nick Lüthiredaktion@medienwoche.ch Jetzt auch als Newsletter abonnieren.

Jahrestagung Netzwerk Recherche: Livestream

Heute und morgen findet beim NDR in Hamburg die Jahrestagung des Netzwerks Recherche statt. Die zahlreichen Veranstaltungen und Diskussionen können per Livestream mitverfolgt werden. Der Titel der diesjährigen Tagung lautet «Alternative: Fakten!». Thematisch geht es um Online-Recherche, Datenjournalis­mus, Einsteiger-Workshops, Recherchieren im Lokalen, Presse- und Auskunftsrecht, neue Finanzierungsmodelle und natürlich: die Pressefreiheit.

Medienkampagne gegen Mesut Özil

Philipp Köster, Gründer und Chefredaktor des Fussballmagazins «11 Freunde», zeichnet den Verlauf der Medienkampagne nach, die den deutschen Nationalspieler Mesut Özil vom «Integrationsmaskottchen» zum Buhmann und Hauptverursacher für das vorzeitige deutsche Ausscheiden an der laufenden Fussball-WM machte. Wie tatsachenfern und ressentimentgeladen die Kritik an Özil ist, zeigen die Reaktionen auf seine Leistung im verlorenen letzten Gruppenspiel gegen Südkorea. Mit Blick auf seine Leistungsbilanz war Özil sogar einer der besten deutschen Spieler auf dem Platz. Aber das spielt keine Rolle mehr. Nach dem Auftritt mit dem türkischen Präsidenten Erdogan war Özil als Buhmann gesetzt. Dabei geht gerne vergessen, dass es noch nicht lange her ist, als der gleiche Özil als Beispiel einer gelungenen Integration gefeiert wurde. Die Kampagne verläuft nach dem bekannten Boulevard-Prinzip: Wer mit den Medien hoch fährt, fährt auch mit ihnen wieder runter.

Bibliotheken tun sich schwer mit dem digitalen Wandel

Klingt eigentlich einfach, erweist sich in der Praxis aber als umständlich und kompliziert: Bibliotheken bieten vermehrt elektronische Bücher zur digitalen Ausleihe an, auch bekannt als «Onleihe». Eine erste Hürde stellt die Software dar. Die Nutzung der e-Books erfordert die Installation einer datenhungrigen Plattform von Adobe. Damit soll sichergestellt werden, dass nur die dazu berechtigten Personen das Buch ausleihen können. Das sei ein Problem, findet Arne Cypionka, der sich das System für Netzpolitik.org genauer angeschaut hat: «Diejenigen, die Bücher rechtmässig ausleihen, werden vor grössere Schwierigkeiten gestellt als solche, die die e-Books unrechtmässig herunterladen.»

Mann erschiesst fünf Mitarbeitende der «Capital Gazette»

In Annapolis, einem Vorort der US-Hauptstadt Washington, hat gestern ein 38-jähriger Mann fünf Mitarbeitende der Lokalzeitung «Capital Gazette» mit einer Schrotflinte erschossen. Der Täter focht mit dem Blatt in der Vergangenheit einen erbitterten Rechtsstreit aus. Die Polizei macht darum einen direkten Zusammenhang zur Tat: «Das war ganz offensichtlich jemand, der eine alte Rechnung mit der Zeitung offen hatte.» Als Reaktion auf das Attentat verschärften zahlreiche Medienunternehmen in den USA ihre Sicherheitsmassnahmen. Trotz des schrecklichen Verlusts ihrer Kolleginnen und Kollegen brachten die Überlebenden der «Gazette»-Redaktion auch heute eine Zeitung heraus und würdigten die Opfer prominent auf der Titelseite.

Weitere Beiträge dieser Woche

Trolle sind wir alle

Adrian Daub, Literaturprofessor an der Stanford University, versucht sich in der NZZ an einer Typologie des Internet-Trolls. Wobei, wie er schreibt, von einem eigenen Typus nur bedingt gesprochen werden könne. Denn «Trolle sind wir alle, manchmal, unter den richtigen (oder falschen) Umständen.» Grund dafür sei unter anderem, dass wir Staat, Gesellschaft und Institutionen in einem Modus permanenter Enttäuschungsbereitschaft begegneten. «Wir verlangen Dinge ultimativ und in einem Ton, der klarstellt, dass wir nicht wirklich annehmen, sie zu erhalten. Die Position metaphysischer Verlassenheit, aus der der Troll seinen Guerillakrieg gegen den Mainstream führt: Wir alle kennen ihre Verlockung.»

Vor dem Entscheid über die Abschaffung des freien Internets

In einer Woche entscheidet das Europaparlament über eine Reform des Urheberrechts, die weitreichende Konsequenzen für die Nutzerinnen und Nutzer des Internets hätte. Zum einen sollen sogenannte Upload-Filter eingeführt werden, womit mögliche Urheberrechtsverletzungen automatisch erkannt werden sollten, so wie das heute Youtube macht beim Hochladen der Videos. Kritiker erkennen darin ein Zensurpotenzial, wenn eine Software entscheidet, was Rechtens ist und was nicht. Ausserdem soll auf europäischer Ebene ein sogenanntes Leistungsschutzrecht für Verlage eingeführt werden, womit die Verlinkung von Medieninhalten entschädigungspflichtig würde. Das Fachmagazin golem.de beschreibt die Lobbyschlacht, die eine Woche vor dem Entscheid hinter den Kulissen läuft.

Prozess gegen Deniz Yücel beginnt in Istanbul

Es ist ruhig geworden um ihn, seit er im Februar aus dem Gefängnis in der Türkei entlassen wurde. Doch nun rückt Deniz Yücel wieder ins Rampenlicht. Gegen den während eines Jahres inhaftierten ehemaligen Türkei-Korrespodenten der «Welt» beginnt heute in seiner Abwesenheit der Prozess in Istanbul. «Yücel wollte diesen Prozess, um seine Unschuld zu beweisen», schreibt ARD-Korrespondentin Karin Senz. Veysel Ok, der Anwalt des Journalisten, wird beantragen, dass die Vorwürfe fallengelassen werden. Dass Yücel Propaganda für eine Terrororganisation gemacht hat, dass er Menschen aufgestachelt haben soll, sei für den Anwalt absurd, schreibt Senz weiter. «Unter normalen Bedingungen müsste das Verfahren eingestellt werden.» Aber in der Türkei herrschen nun mal keine «normalen Bedingungen».

Mediengängelung via Vertraulichkeitsvereinbarung

«Unsere Rechtsabteilung schlug bei der Lektüre des Dokuments die Hände über den Kopf zusammen», schreiben die Redaktionen von Heise Online und dem c’t-Computermagazin. Die entsetzte Reaktion erfolgte nach der Lektüre einer Vertraulichkeitsvereinbarung des Computerchip-Herstellers Nvidia. Darin fordert das Unternehmen unverhohlen eine positive Berichterstattung. Vertrauliche Informationen dürften ausschliesslich «zu Gunsten von Nvidia» verwendet werden. Informationen über das Unternehmen erhalten demnach nur noch Medien, die diese Vereinbarung unterzeichnen. Heise tut das selbstverständlich nicht. Denn «damit degradiert Nvidia die unabhängige Presse zu einem Marketing-Instrument.»