von Redaktion

Heiligt der Zweck die Mittel?

Zum Themenschwerpunkt Emotionalisierung der Medien am Communication Summit äussert sich auf medienwoche.ch auch die Wissenschaft in einem Pro (Vinzenz Wyss) und Kontra (Kurt Imhof). Dabei zeigt sich: Das Aufmotzen medialer Inhalte mit Gefühlen und Menschlichallzumenschlichem ist aus wissenschaftlicher Sicht nur mit Vorbehalten vertretbar.

PRO

Vinzenz Wyss

Anspruchsvolle Aufgabe

Als Journalismusforscher läge es für mich zunächst nahe, Emotionalisierung naserümpfend als Inszenierungsstrategie im Wettbewerb um knappe Aufmerksamkeit abzutun. Emotionalisierung reduziert durch Personalisierung, Konfliktstilisierung und Moralisierung  den grundsätzlich komplexen Zusammenhang von Struktur und Handlung auf die gefühlserregenden Taten oder Betroffenheiten von Personen. Da wird beispielsweise die Bankgeheimnisdebatte in eine simple Sieg/Niederlage-Geschichte gegossen, in der ein hässlicher Bösewicht die kleine Heldin bedroht und beim scheinbar betroffenen Publikum Empörung hervorruft. Die Story lässt sich dann ohne kognitiven Aufwand repetitiv in die Welt twittern. Solches Lechzen nach emotionaler Wucht vergiftet kostbare Öffentlichkeit. Es schleckt aber auch keine Geiss weg, dass narrativ eingebettete Emotionen Menschen im Rezeptionsprozess helfen, sich mit komplexen Sachverhalten überhaupt erst auseinanderzusetzen und Situationen, Ereignisse oder Verhaltensweisen anderer besser einzuschätzen.  Das lehrt uns die Kommunikationspsychologie, wobei nicht verschwiegen werden sollte, dass Menschen mit eskapistischen Zügen mehr darauf ansprechen. Ich plädiere hier also für den bewussten und verantwortungsvollen Einsatz von Emotionalisierung, was im Journalismus durchaus funktional sein kann. Etwa dann, wenn es gelingt, bei der Thematisierung gesellschaftsrelevanter Probleme strukturelle Aspekte über emotionalisierte Personenthematisierungen in Anschlag zu bringen. Der Zweck heiligt das Mittel. Eine anspruchsvolle Aufgabe also, die in den Händen des Billigjournalismus kaum gut aufgehoben ist.

Vinzenz Wyss ist Medienprofessor an der ZHAW und Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Kommunikations- und Medienwissenschaft

CONTRA

Kurt Imhof

Tyrannei der Intimität

Eine Frontseitenanalyse aus dem letzten Quartal des Jahres 2009 zeigt bei den größten Zeitungen der deutschen und der französischen Schweiz »20minuten« bzw. »20minutes« (tamedia) einen Anteil an Kommunikationsereignissen des Human Interest von 40.5% bzw. 36.3%. Politische Kommunikationsereignisse schaffen es gerade noch auf 27.4 in der deutschen bzw. 29.4% in der französischen Ausgabe. Die Thematisierungsintensität von kolportierten Personen jenseits jeglicher Leistungsrollen (»mikro rollenfern«) erreicht bei beiden Zeitungen über 20% und der Berichterstattungsstil ist in diesen beiden Gratisblättern zu 43.2 bzw. 48.8% moralisch-emotional, d.h. die Beiträge sind zu diesem Anteil darauf ausgelegt Stimmungslagen wiederzugeben sowie moralischen und emotionalen Entäußerungen von irgendwelchen Promis Ausdruck zu geben. Die Aufmacherbeiträge der Hauptnachrichtensendung »Züri News« von »Tele Züri« (tamedia) bestehen aus nicht weniger als knapp 60% Human Interest, 30% rollenferne Personenbezüge und 62.5% moralisch-emotionaler Berichterstattung.
Diese Beispiele (ohne Boulevardzeitungen!) sollen hier genügen, denn: Es geht nicht um die simple Frage Emotionalität ja oder nein – eine journalistisch gute Katastrophen- und Kriegsberichterstattung etwa lässt sich ohne Empathie nicht machen. Es geht vielmehr darum, dass die öffentliche Kommunikation in der Gefühlssuppe des Human Interest ersäuft. In dieser Gefühlssuppe fehlt der Sauerstoff, um das zu debattieren, was uns alle tatsächlich etwas angeht.

Kurt Imhof ist Professor für Soziologie an der Universität Zürich. Er leitet den Forschungsbereich Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög).

Leserbeiträge

Heinz Mauch-Züger 02. Februar 2011, 13:45

Man spricht immer wieder vom „gesunden“ Menschenverstand. Ein solcher entsteht ja nur durch die sich wiederholende Auseinandersetzung mit der eigenen Tätigkeit. Das wäre also ganz klar ein Parameter in der Ausbildung von Journalisten. Konkret: Ein Gespür dafür zu entwickeln, wieviel Emotionalität der zu vermittelnden Sache angemessen ist. Sachlichkeit zeichnet sich ja durch den gelungenen Mix von Emotionselementen aus und nicht durch Abwesenheit von Emotion (dann gäbe es auch keine Sachlichkeit).